Im neunten Buch seiner „Politeia“ hat der griechische Philosoph Platon den Tyrannen als einen vom Wahnsinn und seinen Trieben beherrschten Menschentyp beschrieben, für den das lustige Leben ausgerechnet dann vorbei ist, wenn er endlich den Gipfel der Macht erreicht hat. Der von allerlei Grausamkeiten und Schandtaten gezeichnete Weg dorthin fordert schließlich seinen Tribut: Viele mögen sich ihm anbiedern und als vermeintliche Freunde ausgeben, in Wahrheit jedoch muss man sich jeden waschechten Tyrannen als einen sehr einsamen Menschen vorstellen. Dass aus dieser meist selbst eingebrockten Nummer kein stilvoller Abgang mehr möglich ist, kann man derzeit z. B. in Weißrussland am Beispiel des seit beinahe dreißig Jahren regierenden Alexander Lukaschenko beobachten. Je einsamer es im inneren Zirkel der Macht wird, desto rücksichtsloser schlägt der faktische Alleinherrscher zum Zwecke seines Machterhalts um sich. Vermutlich weil ihm sonst nicht mehr viel bliebe.
Machtgewinn und LiebesentzugMichael Beyer (aka Mic) hat mit dem finsteren Gewaltherrscher „Papa Dictator“ eine wunderbare Karikatur dieses autoritären Menschenschlages geschaffen. In der seit 2012 im Pixi-Format beim Berliner Jaja-Verlag erscheinenden Comicserie können die Leser*innen die Machenschaften eines struppig-kugelrunden Monsters verfolgen, dessen übergroße weiße Schirmmütze samt darauf prangendem Stern wohl nicht zufällig an lateinamerikanische bzw. arabische Juntisten wie Jorge Rafael Videla oder Muammar al-Gaddafi erinnert. Und so sollte man sich denn auch von dem cartoonhaften, verniedlichenden Zeichenstil der Comics nicht täuschen lassen. Denn in puncto Bosheit und absoluten Machtwillen kann sich Papa Dictator mit den oben Genannten durchaus messen lassen. Doch wie gesagt, wenn der Zuwachs an Macht nicht auf Charisma oder einem überzeugendem politischen Programm beruht, ist zwangsläufig ein fundamentaler Mangel an Zuneigung die Folge.
Wie wäre es, um den angekratzten Ruf aufzupolieren und Sympathiepunkte zu sammeln, so schlägt es ein Spindoctor dem unter Liebesentzug arg leidenden Tyrannen vor, mit einer Kampagne a la „Diktatur light: vegan, fair, sustainable“? Ähm, wohl eher nicht. Dann doch lieber die von der Diktatorentochter vorgeschlagene Katze, denn (viele) Menschen mögen bekanntlich diese flauschigen Schnurrhaarträger. Doch dass die Vorstellung von Katzen als dem Menschen zugeneigte, niedliche Kuscheltiere eine grandiose Fehleinschätzung ist, zeigt Mics empirische Studie „Die Katze des Diktators“. Denn Papa Dictators schwarzer Kater ist von seinen destruktiven Trieben nicht minder beherrscht als sein zweibeiniger Besitzer.Und man muss schon mit Blindheit geschlagen sein, um nicht festzustellen, dass das trollig-putzige Verhalten der haarigen Vierbeiner nichts weiter ist als arglistige Verstellung, „um den eigenen Willen auch gegen jegliches [menschliches] Widerstreben durchzusetzen“, wie schon der Soziologe, Nationalökonom und Katzenexperte Max Weber einst formulierte. Bezüglich des Willens zur Macht sind sich Mensch und Tier in diesem Fall jedenfalls absolut ebenbürtig. Dennoch, oder gerade deswegen, hat Papa Dictator hier einen Punkt gemacht: Er ist zweifelsohne nicht mehr allein. Und um die Welt zwischen zwei egomanischen Despoten aufzuteilen, ist sie allemal groß genug.
Analytik der MachtBittere Tränen ob seiner Verlassenheit weint der Regent eines namenlosen Königreichs in „Aldobrando“, getextet von Gian Alfonso Pacinotti (aka Gipi) und – zugegebenermaßen meisterhaft – gezeichnet von Luigi Critone. In seinem engsten Umkreis wittert er den zirkulierenden Spott über seine Vermählung mit der eigenen Adoptivtochter, die wiederum das sexuelle Begehren des stark adipösen Vaters zurückweist. Im Schatten dieses unausgesprochenen Skandals wächst die Furcht des König vor einer Verschwörung gegen seine Person und Herrschaft, die vom Inquisitor und obersten Foltermeister des Reiches, der aufgrund eigener politischer Ambitionen freilich ein doppeltes Spiel treibt, gut angefüttert wird. Und so ist es schließlich der Kopf der Prinzessin, der als Einsatz im Spiel um die Macht im Königreich herhalten muss.
Gipi und Critone liefern mit dieser Graphic Novel, deren Handlung in einem fiktiven Mittelalter angesiedelt ist, eine kluge Analytik der Macht, die sich vor allem über die Figurenkonstellation und das wohl bedeutungsvollste Motiv der Geschichte, „die Grube“ ausfaltet: Nicht nur die Beziehung des Königs zum reichseigenen Inquisitor ist durch das Medium der Macht gestört. Dem königlichen Schreiber etwa, der als einziger Kenner aller geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze des Reiches zugleich der wichtigste Vertraute und Berater in öffentlichen wie privaten Angelegenheiten ist, sind die Traditionen und Gepflogenheiten des Erhalts und des Endes einer Regentschaft letztlich doch näher als die Person des Königs. In einem – wie ich finde – sehr starken Moment innerhalb der Erzählung muss auch der König diese für ihn kummervolle Tatsache quasi am eigenen Leibe erfahren. Als striktes Gegenteil der Einsamkeit des triebgesteuerten Tyrannen fungiert dagegen die verschwörerische Gemeinschaft um den Zauberlehrling Aldobrando, die zur Rettung der Prinzessin antritt, schließlich ein Königreich ins Wanken bringt und gerade durch die Aufgabe persönlicher Motive und Ambitionen zusammengehalten wird. Der Showdown der Geschichte findet schließlich in der „Grube“ statt, eine Art Amphiteater, wo sich nicht nur das Schicksal der Verschwörer, sondern das des ganzen Reiches entscheidet. Ritualisierte Gewalt ist etwas, das nicht nur von Tyrannen bzw. Despoten ausgeht, sondern unweigerlich auf sie zurückkommt, wenn der Zenit ihrer Herrschaft längst überschritten ist und die Zeichen ihres Machtverfalls von selbigen nicht (an-)erkannt werden.
Diese Kritik erschien zuerst am 28.03.2021 auf: Taz-[ˈkɒmik_blɔg]
Mario Zehe (*1978) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Lehrer für Geschichte, Politik & Wirtschaft an einer Freinet-Schule bei Quedlinburg (Harz). Seit vielen Jahren liest er Comics aller Art, redet und schreibt gern darüber, u. a. im [ˈkɒmik_blɔg] der Taz und für den Freitag.