„Silver“ – Vampire, Silber und ein Meisterdieb

silver-cvrNew York City im Jahr 1931. James Finnigan ist ein Meisterdieb. Er und seine beiden Vertrauten Mullins und Brantley haben eigentlich ausgesorgt und wollen sich zur Ruhe setzen. Ihr aktueller Coup soll ihr letzter sein: Die Stiftung der verstorbenen Jonathan und Mina Harker versteigert zu einem guten Zweck Silber. Silber, das Finnigan haben will. Mit einem Trick verschafft er sich unerkannt Zutritt, fliegt aber bald auf. Nur mit viel Glück gelingt ihm die Flucht, bei der er in einem verborgenen Keller landet, wo er zwei Dinge findet: Harkers Tagebuch und einen alten Silberbarren. Als sich das Trio in einem Hotelzimmer versteckt, erfährt Finnigan durch das Tagebuch, was er da stibitzt hat: Während Harkers „Aufenthalt“ in Transsylvanien auf dem Schloss eines gewissen Graf Dracula entdeckte dieser einst einen sagenhaften Silberschatz, den Silberdrachen, den ein mongolischer Kriegsherr 2.800 v. Chr. anhäufte und der seitdem verschwunden ist. Bis heute. Natürlich wittert Finnigan das große Geschäft und schmiedet einen Plan, für den er die Enkelin eines gewissen Dr. van Helsing aufsucht. Deren Spezialität: Vampire finden und zur Strecke bringen…

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Was wie ein klassischer Thriller beginnt und mit einem charismatischen Gentleman-Dieb an Thomas Crown und Konsorten erinnert, wandelt sich langsam. Denn Autor und Zeichner Stephan Franck nimmt sich angenehm viel Zeit für die Entwicklung von Handlung und Charakteren. Nachdem der vermeintlich letzte Coup Finnigans beinahe schief und dann auch noch das angehäufte Vermögen des Trios unvermittelt flöten geht, nordet sich die Story langsam in Richtung Vampir-Genre ein. Bevor es richtig losgeht, nämlich in Richtung Transsylvanien, scharen Finnigan und seine beiden Vertrauten eine kuriose Crew um sich, deren Aufgabe noch im Dunklen liegt: Einen abgetakelten Schauspieler, einen schwerhörigen Fälscher und einen Jungen, der offenbar hellseherische Fähigkeiten hat. Doch der Star des Ensembles ist zweifelsohne Vampir-Jägerin Rosalynd Sledge, die Enkelin van Helsings, eine taffe, wortkarge und zynische Elektra/Michonne-Figur samt Silberschwert. Mit ihrem ersten Auftritt erlangt Finnigan dann auch in einer furiosen Action-Sequenz die finale Gewissheit, dass Untote real sind.

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Silver“ ist das Comicdebut von Stephan Franck, der bisher im Animations- bzw. Zeichentrick-Film tätig war, als Animator (Space Jam), Storyboarder (Drachenzähmen leicht gemacht) und auch als Regisseur (Die Schlümpfe – Eine schön schaurige Schlumpfgeschichte). Dabei zollt er mit seinem schwarz-weiß Stil filmischen Genre-Vorbildern Respekt, indem er auf Graustufen verzichtet und mit großen, dunklen Schwarzflächen arbeitet, was eine Reminiszenz an die expressionistische Komponente der klassischen Universal-Horrorfilme wie Dracula, Frankenstein & Co. darstellt (die nebenbei bemerkt zu der Zeit entstanden, in der „Silver“ spielt). Farbliche Abstufungen erreicht er durch die Verwendung von Rastern, die zusätzlich Tiefe und Komplexität in die Bilder einbringen. Ansonsten ist sein Zeichenstil klar und bestimmt mit – wen wundert‘s – filmischen Einstellungen (ursprünglich lag die Story als Drehbuch vor), die vor allem in den Actionsequenzen zum Tragen kommen.

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So bietet „Silver“ eine Art Quereinstieg in einen Klassiker der Weltliteratur, der als Zugang zu einem Abenteuer dient, das sich in den Folgebänden noch entwickeln wird. Aber vorerst werden die klassischen Genre-Zutaten noch wohl dosiert eingesetzt, Dracula, Transsylvanien und natürlich der Silberdrache dräuen noch in weiter Ferne, sowohl verheißungsvoll als auch gefährlich. Aber der Tanz der Vampire wird noch kommen. Ein ausführliches und informatives Making-Of, in dem Stephan Franck seine Arbeitstechniken und Intentionen erklärt und schildert, gefolgt von einer Cover-Galerie rundet den Band und damit den ersten Akt der Geschichte ab. Teil 2, „Orient Express“, spielt dann offensichtlich bereits in Europa und ist in Vorbereitung.

Stephan Franck: Silver, Band 1: Der Fluch des Silberdrachen. Verlag Schreiber & Leser, Hamburg 2016. 112 Seiten, 14,95 Euro