Väter ohne Söhne – „Descender“

Descender“ gehört zu den aufregendsten SF-Comics der letzten Jahre. Die Story um den Androiden Tim-21, seinen bösartigen Maschinenzwilling Tim-22 und allerlei menschliche wie maschinelle Begleiter ist eine furiose Geschichte über Partnerschaft, Familie und Technologie. 2015 erschien die erste Ausgabe aus der Feder des kanadischen Autors Jeff Lemire und dem Wasserfarbkasten des amerikanischen Zeichners Dustin Ngyuen. Im Juni 2018 hat Splitter den fünften von sechs Sammelbänden mit den Kapiteln 22-26 herausgebracht: „Aufstand der Roboter“.

Jeff Lemire (Text), Dustin Nguyen (Zeichnungen): „Descender Bd. 5: Aufstand der Roboter“.
Aus dem amerikanischen Englisch von Bernd Kronsbein. Splitter Verlag, Bielefeld 2018. 120 Seiten. 19,80 Euro

Der Kampf des Menschen gegen die Maschinen ist ein uralter Topos: kalter Kaffee auf rostigem Draht (oder so ähnlich). Schon immer haben sich die Geschöpfe des Menschen gegen ihre Erzeuger gewendet. Für den Golem der jüdischen Mythologie gilt das ebenso wie für Dr. Frankensteins ungehörige wie ungeheure creature. Weder Magie noch Naturwissenschaften haben je geholfen, die künstlichen Menschen gefügig und kontrollierbar zu machen. Eltern, deren kleine Kinder auch bei gleißendem Sonnenschein und tropischen Temperaturen partout lieber Gummistiefel anstelle wetterangepasster Sandalen tragen wollen, wissen das.

Auch in Jeff Lemires Werk kehren die Themen Vaterschaft und Familie immer wieder – sei es in „The Underwater Welder„, „Essex County“ oder der aktuellen Serie „Black Hammer„. In „Descender“ geht es um biologische (Tesla und General Nagoki), künstliche (Dr. Quon und seine Tim-Serie) sowie metaphorische Väter (Dr. Quon und Prof. Solomon). Glänzen Lemires Väter sonst vor allem durch ihre Abwesenheit, sind sie in „Descender“ völlig überpräsent, und so wird das Gummistiefelproblem zum interstellaren Supergau. Notabene: Die Väter machen es nur immer schlimmer. Zu Beginn von „Aufstand der Roboter“ kämpft Mensch gegen Maschine, Mensch gegen Mensch und Maschine gegen Maschine. Beziehungsstatus: Es ist kompliziert.

Lemire bereitet in diesem Band das Ende der „Descender“-Serie vor. Er sagt, dies habe er immer von Anfang an im Blick und arbeite dann konsequent darauf hin. Nach vier Bänden, in deren Verlauf die Menschen (bzw. Humanoiden) von außerirdischen Robotern angegriffen werden und sich nun für einen erneuten Angriff wappnen (so die kühne Kurzfassung der bisherigen 480 Seiten), steigen Lemire und Ngyuen dort ein, wo Band 4 endete: Tim-21 befindet sich mit seinem Schöpfer, Dr. Quon, und Telsa Nagoki an Bord eines Rauschiffes auf dem Weg zum Wasserplaneten Mata, auf dem sie die Überreste eines alten Androiden vermuten, der womöglich Aufschluss über die Herkunft der robotischen Angreifer gibt. Leider ist nicht Tim-21 an Bord, sondern sein böser und menschenfeindlicher „Zwilling“ Tim-22. Der ist nun wirklich keine große Hilfe bei dem Projekt „Rettet die Menschheit“, und so beschließt Dr. Quon eine erzieherische Maßnahme, die über das Versohlen seines metallenen Hinterns hinausgeht.

Die Übersetzung ist manchmal so eine Sache: Dass der Arbeitsroboter „Driller“ mit „Bohrer“ übersetzt wird, ist korrekt und vielleicht auch sinnvoll für den deutschen Markt, nimmt seinem Mantra „Driller a killer“ leider die poetische Pointe: „Bohrer sein Killer.“ Spätestens aber bei der Übertragung des Namens der Cyborg-Anführerin „Queen Between“ hat die Übersetzung dem Comic einen Bärendienst erwiesen: „Queen Interim“ ist weder treffender noch verständlicher, vielleicht hätte man „Queen Between“ durchaus stehenlassen können.

Es gibt eine ganze Reihe interessanter Comics rund um das Thema „Künstliche Intelligenz“: „Pluto“ von Naoki Urasawa (2003-09), „Alex + Ada“ von Jonathan Luna und Sara Vaughn (2013-15) oder „Injection“ von Warren Ellis, Declan Shalvey und Jordie Bellaire (seit 2015), aber das ist einen eigenen Artikel wert. „Descender“ ist auf jeden Fall auch in dieser hochkarätigen Gesellschaft ein besonderer Beitrag zum Thema, weil die Serie nicht nur die Möglichkeiten technologischer Innovationen auslotet, sondern auch gesellschaftliche Fragen von Gleichheit und Gerechtigkeit oder überzeitliche Themen wie Familie und Elternschaft reflektiert.

Ach ja: Die Serie ist bei Image Comics gerade mit #32 abgeschlossen worden, in Deutschland wird der letzte Band für Februar 2019 angekündigt. Und Jeff Lemire und Dustin Nguyen haben schon neue Pläne. Ab März 2019 wird mit „Ascender“ eine fantastische Fortsetzung von „Descender“ in die Regale kommen. Zunächst in die amerikanischen. Dann in die deutschen. Und allerspätestens dann auch in meine.

Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.