Protein-Athener – „300: Rise of an Empire“

© Warner Bros.

Zack Snyders „300“, eine Verfilmung der gleichnamigen Comicvorlage des um so politisch unkorrekte, wie nervige Kernigkeiten nie verlegenen Rechtsaußen Frank Miller, war eine groß angelegte Peinlichkeit des Kinojahres 2007: markig im Ton, künstlich im Bild, virtuell das Geschlachte, Geschwafel und Gebrülle. Ein bleiernes Filmerlebnis, das sich zudem noch vom Vorwurf, gleichermaßen xeno- wie homophob zu sein, trotz allen mit übergroßen Strichen gepinselten Überzeichnungen und Verschiebungen ins Camp-hafte, nie so wirklich reinzuwaschen vermochte. Schlimmer noch: In der Zuspitzung seines Kriegspathos, seiner eisernen Reden, seiner digital verplompten Welt wirkte der Film so lustfeindlich, gehemmt in seinen Vektoren des Begehrens, dass der Rezeptionsvorschlag des Films selbst, seine ausgebreiteten Transgressionen wenigstens als Tabubruch lustvoll mitzugehen, abperlte. Ein Lust vergrätzendes Ärgernis, eine gülden-bronzene Albernheit.

Ob es nun also am neuen Regisseur liegt, dass „300: Rise of an Empire“ seinen Vorgänger zwar nicht verleugnen kann, aber doch ein wuchtiger Blockbuster im besten Sinn geworden ist? Zack Snyder jedenfalls produzierte das Sequel „300: Rise of an Empire“ lediglich als einer von vielen mit, auch Frank Millers Vorlage „Xerxes“ ist noch gar nicht abgeschlossen, geschweige denn veröffentlicht (und alles, was darüber zu lesen ist, klingt nicht so, als hätte es viel mit dem Film zu tun). Stattdessen sitzt mit Noam Murro ein ziemlich unbeschriebenes Blatt auf dem Regiestuhl. Lediglich eine Romantic Comedy, „Smart People“, hat er vorzuweisen. Oder liegt es nur an der zwischenzeitlich noch mal deutlich avancierteren Technik, dass dem schon jetzt jämmerlich veralteten, texturarmen Vorläufer nun ein Sequel zur Seite steht, das den bei Snyder ins digital-unverbindliche geschobenen Körper wieder in seiner ganzen Kraft, Agilität und vor allem Verletztlichkeit ins Bild setzt?

Vielleicht liegt es auch einfach nur daran, dass „300: Rise of an Empire“ mit einer im Blockbusterkino selten geahnten, enthemmten Lust seinen Erregungs- und Affektpotenzialen freien Lauf lässt. Zum Vorteil gereicht es, dass die golden schimmernde Patina aus Teil 1 einer profunden, weihevollen Schwärze weicht, dass der Film über weite Strecken auf einem toll stürmischen Meer spielt und der alberne Monstertand aus Snyders „300“ beinahe konsequent ignoriert wird: „300: Rise of an Empire“ ist ein Fetischfilm reinsten – oder besser: schwärzesten – Wassers, der eine Lust an allem entwickelt, was körperlich ist und was auf den Körper einwirkt, was ihn fesselt, freisetzt, verstümmelt, zum Bluten und zum Beben bringt; nicht zuletzt den Körper des Zuschauers, der sich – eine entsprechende Soundanlage im Saal vorausgesetzt – inmitten einer stählern dröhnenden Höllenwelt hoch zu Wasser wiederfindet.

War „300“ noch der Versuch, eine Geschichte von Soldatenmut zu erzählen, erzählt „300: Rise of an Empire“ nur noch nebenbei. Seiner ästhetischen Programmatik ordnet er alles unter: Alles ist Exzess, alles Spielmaterial – Raum, Zeit, Körper, Ding und Wucht, Bewegung. Was in „300“ an erotischem Begehren noch albern übergepfropft wirkte, erfährt Konkretion: In jedes Bild schießt ein ekstatischer Überschuss, geradezu gefräßig ist dieser Film, wie er alles einer sehr dunklen Form des Begehrens unterordnet. „Die Ekstase von Stahl und Fleisch“ benennt ein Dialog es einmal konkret. Dem folgt eine schön ruppige Sexszene, die zugleich den Nukleus des Films bildet, seinen Mittelpunkt und seine Achse, in der das erotische Spiel nur eine Waffe innerhalb einer militärischen Auseinandersetzung mit schwerstem Gerät darstellt. Und Eva Green, die selten so schön war wie in diesem Film, führt das Regiment in dieser Auseinandersetzung noch dort, wo sie sich dem Schein nach unterwirft. Aus Königen macht sie Götter und Könige bringt sie zu Fall. Den Phallus hält am Ende dieser Sexszene eindeutig sie in der Hand.

„300: Rise of an Empire“ ist im Grunde kein Kinofilm, keine Sache der Öffentlichkeit. Eigentlich ist er der Halböffentlichkeit ästhetischer Produktionen zuzurechnen, die konkret und ungefiltert dem körperlichen Begehren entspringen: eine intimistische Fetisch-Séance in aller Öffentlichkeit, die überwältigen, einen mit ihrer eigenen Logik des Genusses infizieren will. Entsprechend gelten eigene Regeln, die mit denen des Kinos nicht wirklich übereinstimmen. Wie sollte etwa einem Sado-Maso-Porno, in dem erwachsene Beteiligte und Zuschauer die Sache unter sich ausmachen, mit allegemeinen Kategorien und Auflagen moralischen Handelns zu begegnen sein, ohne der Gesamtanordnung im höchsten Maße Gewalt anzutun? Ähnlich verhält es sich mit „300: Rise of an Empire“, der durch und durch Fantasie und Wonne am Fetisch ist: Politisch ist dieser Film rundheraus abzulehnen. Aber als überwältigender Fetischfilm macht er verdammt viel Spaß.

Das Uninteressanteste zum Schluss: Gewiss gibt es auch eine Geschichte. „300: Rise of an Empire“ wird teils als Prequel, teils als Parallelhandlung des Vorgängers, teils als dessen Fortsetzung erzählt. Quasi: die nachgelieferte Parallelmontage mit Überhang. Waren es im ersten Teil Computerspiele-Spartaner, die ihr Pixelblut ließen, geht es nun um Protein-Athener, die sich auf hoher See mit der Flotte des Xerxes aus dem fernen Persien herumschlagen müssen. Der Armada voran steht – kalblütig, sardonisch, breitbeinig, ein lüsternes Amalgam aus Eros und Thanatos – Artemisia, die den Griechen und ihren eigenen Männern ordentlich was mit auf den Weg gibt. Gespielt, wie gesagt, von Eva Green, einem dem Cine-Olymp entsprungenen Geschenk der Götter.

Dieser Text erschien zuerst am 06.03.2014 auf: perlentaucher.de

300: Rise of an Empire
USA 2013

Regie: Noam Murro – Drehbuch: Kurt Johnstad, Frank Miller, Zack Snyder – Produktion: Mark Canton, Bernie Goldmann, Gianni Nunnari, Deborah Snyder, Zack Snyder, Thomas Tull – Kamera: Simon Duggan – Schnitt: Wyatt Smith – Darsteller: Eva Green, Rodrigo Santoro, Mark Killeen, Jack O’Connell, Sullivan Stapleton, Hans Matheson, Callan Mulvey, Andrew Tiernan, Ashraf Barhom, Andrew Pleavin, Yigal Naor, Steven Cree, Vincent Walsh, Luke Roberts, Ben Turner – 102 Min. – Kinostart(D): 06.03.2014 – FSK: keine Jugendfreigabe

Thomas Groh, Jahrgang 1978, lebt seit 1997 in Berlin, ist Redakteur bei Deutschlandfunk Kultur und schreibt u. a. für die taz, den Tagesspiegel, den Perlentaucher und weitere Medien über Filme. Im Netz anzutreffen ist er in seinem Blog und auf Twitter.