Mary Talbot erzählt die Geschichte des Dienstmädchens Sally Heathcote, das in den Kampf um das Wahlrecht für Frauen gerät.
Die junge Sally Heathcote ist eine einfache, junge Frau, die sich Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ihren Lebensunterhalt als Dienstmädchen verdient. Nicht zuletzt durch Emmeline Pankhurst und das Umfeld der intellektuellen Herrschaften, für die Sally arbeitet, erhält sie mehr und mehr Einblick in die politische Landschaft Englands, insbesondere in die Bewegung der „Suffragetten“. Diese Frauenrechtlerinnen erstritten in einem langen, harten Kampf gegen das System und vorherrschende Rollenvorstellungen das Wahlrecht für Frauen. Sowohl mit friedvollen, als auch mit äußerst radikalen Mitteln…
Obwohl Sally selbst eine fiktive Figur ist, trifft sie immer wieder auf penibel recherchierte, historische Figuren wie den damaligen, englischen Premierminister Asquith. Diese historische Genauigkeit und die komplexen Strukturen der unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Bewegung machen die Graphic Novel von Mary Talbot und ihrem Mann Brian Talbot (Grandville) zu einem informativen Einblick in die Wiege der Emanzipation.
Die zarten und dekorativen, schwarzweißen Illustration von Kate Charlesworth verleihen der durch den sehr hohen Informationsgehalt manchmal naturgemäß etwas trockenen Erzählung Charme und Wärme. Bizarrerweise erinnern die einzeln gesetzten Farbkontraste wie Sallys orangefarbenes Haar, rotes Blut oder Emmeline Pankhursts charakteristisch violette Garderobe augerechnet an Frank Millers Testosteron-Theater „Sin City“. Ob diese Assoziation erwünscht war, darf bezweifelt werden, es ändert aber nichts an der interessanten Dynamik dieser unwahrscheinlichen Gemeinsamkeit.
„Votes for Women – Der Marsch der Suffragetten“ fördert interessante und schockierende Details über den gesellschaftlichen Stellenwert der Frauen vor gerade mal einhundert Jahren zu Tage. Das ist deutlich aufregender und eingängiger als ein wissenschaftlicher, historischer Text. Trotz des ernsten Themas und der inhaltlichen Liebe zum Detail gelingt es Mary Talbot von Zeit zu Zeit auch spannende und bewegende Momente zu kreieren. Insbesondere die beschämenden Umstände, in denen sich die politischen Gefangenen unter den Suffragetten-Schwestern befanden, verfehlen ihre emotionale Wirkung nicht.
Ein bisschen mehr Mut zur Überzeichnung hätte das Kreativ-Team aber gern aufbringen dürfen. Die großartige Sequenz, in der die vor den Premierminister geladenen Damen als Mäuse und der Politiker selbst als diabolische Katze dargestellt werden zeigt, wieviel intensiver der Marsch der Suffragetten sich noch hätte anfühlen können. Politisch interessierte Leser dürfen Sally dennoch gern bei ihrem Kampf gegen die Unterdrücker begleiten. „Votes for Women“ ist eine anschauliche und interessante Geschichtsstunde, über einen Krieg, der viel zu schnell vergessen wurde.
Mary Talbot, Brian Talbot, Kate Charlesworth: Votes for Women – Der Marsch der Suffragetten. Egmont Comic Collection, Berlin 2015. 192 Seiten, € 24,99