Regel 987-B-17 des Superheldencodex besagt, dass eine Superkraft nie auf Kleidung beruhen darf (beschlossen nach der tragischen Auflösung von Pullovermann). Und überhaupt, der Trans-Look bringt den ganzen Superheldenclub in Verruf. So spricht es der Vorsitzende des Mitgliedschaftstribunals. Und dahin ist die Karriere von Dragman.
Sein angebliches Manko: Er trägt nicht die konventionelle Superheldenkluft in Form von Strumpfhosen, dafür aber Strümpfe unter dem Paillettenkleid, die ihm die Fähigkeit verleihen, zu fliegen. Nach seiner gescheiterten Bewerbung im Club der Superhelden, von denen ohnehin die meisten überheblich oder abgehalftert sind, hängt er seine Frauenkleider an den Nagel.
Erst Jahre später – Dragmans Alter Ego August Crimp hat sich mittlerweile in Mary verliebt und mit ihr ein Baby – muss Dragman wieder mit seiner alten Partnerin Dog Girl in Aktion treten, was ihn in ein ziemliches Fiasko stürzt. Immerhin geht es darum, die Machenschaften eines übermächtigen Konzerns aufzudecken, die Seelen der Menschen zu retten, einen Serienkiller zu stellen.Über etliche Jahre hat der Brite Steven Appleby – ein renommierter Cartoonist, der unter anderem für The Times und The Guardian zeichnet – an der 300 Seiten starken, verästelten Graphic Novel „Dragman“ gearbeitet. Seit 2007 lebt Appleby offen als Transperson. Seine Erfahrungen sind ganz offensichtlich eingeflossen in diese tiefgründig-witzige und ganz nebenbei gesellschaftskritische Superheldensaga.
Sie spielt in einer imaginären Version von London, in der die Läden Schilder wie „Hai Immobilien“ und „Café Hoffnungslos“ tragen und die Zeitung schlicht Schockerblatt heißt. Seit es einem Wissenschafter gelungen ist, die Seele von Lebewesen zu scannen, auf kleinen Scheiben zu speichern und zu übertragen, hat sich ein skrupelloser Seelenhandel etabliert.
Nur wer eine Superheldenversicherung abgeschlossen hat, kann auch wirklich damit rechnen, in Not Hilfe zu bekommen. Der Black-Mist-Konzern scheint überall die Fäden zu ziehen, und währenddessen werden immer mehr Morde an Transfrauen aus dem einschlägigen Club „Pretty Pretty“ bekannt.
In all dem Chaos und zwischen der fetzigen Action findet Dragman zu sich selbst – und zeigt, dass es keine Lizenz zum Superhelden oder zur Superheldin braucht. Ganz egal, wie man angezogen ist.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 15.12.2021 auf dem Standard-Comicblog Pictotop.
Hier gibt es eine weitere Kritik zu „Dragman“.
Karin Krichmayr arbeitet als Wissenschaftsredakteurin für Der Standard. Außerdem betreibt sie für die österreichische Tageszeitung den Comicblog Pictotop.