„Ich nehme den deutschen Comicmarkt gerade als sehr spannend wahr“ – Im Gespräch mit Ingo Römling und Peter Mennigen

Im Juni erschien beim Splitter Verlag der dritte Band von Ingo Römlings und Peter Mennigens Gemeinschaftsserie „Malcolm Max“ und dies in gleich zwei Editionsvarianten: als reguläres Album (eine Leseprobe gibt es hier) und als limitierte bibliophile Gesamtausgabe, die vom Verlag im Rahmen der 10-Jahre-Splitter-Sondereditionen veröffentlicht wurde. Diese Ausgabe enthält einen umfangreichen Teil mit Bonusmaterial, zu dem u.a. ein ausführliches Interview mit den beiden Künstlern gehört. Comic.de präsentiert einen stark gekürzten Auszug des Gesprächs als exklusive Online-Veröffentlichung.

Ingo Römling

Ingo Römling

„Malcolm Max“ begann ursprünglich im Jahr 2008 als Teil der Hörspielreihe „Geister-Schocker„. Wie kam die Idee zustande, ihn als Comic-Figur in ein weiteres Erzählmedium zu übertragen?

Peter Mennigen: Vor der „Geister-Schocker“-Reihe feierten die „Malcolm Max“-Hörspiele beim Tigerpress-Verlag ihr Debüt. Und zwar als kostenlose Beilage zu den Nachdrucken meiner alten „Gespenster Geschichten“-Comics, die ich mal für den Bastei Verlag geschrieben hatte. Nach der Insolvenz von Tigerpress setzte der Verleger Joachim Otto die Serie unter seinem Label „Geister-Schocker“ fort.
Da die „Malcolm Max“-Hörspiele aufgrund ihrer enormen Verbreitung durch die Gespenster-Nachdrucke einen sehr hohen Bekanntheitsgrad und auch schon eine Fanbase hatten, nutze ich die Popularität der Serie und setze sie als Comic um. Ein weiteres Argument für eine solche Umsetzung sind die Einschränkungen, denen das Hörspielmedium unterliegt, weswegen ich das Potential von „Malcolm Max“ nie richtig ausschöpfen konnte.
Im Comic kann ich beliebig viele Personen mitspielen lassen, beim Hörspiel dagegen erhöht jede Figur die Produktionskosten, da für jede Rolle ein Sprecher engagiert werden muss. Gleiches gilt für die anfallenden Studiokosten, die das Budget mit jeder zusätzlichen Aufnahmeminute in die Höhe treiben. Außerdem ist die Laufzeit einer Story durch die Kapazität des Speichermediums CD limitiert.
Im Gegensatz dazu kann ich Comic-Szenen beliebig detailliert ausarbeiten. Auf 46 Albenseiten kann ich ungleich mehr an Handlung unterbringen als auf einer Hörspiel-CD. Hörspiele haben zweifellos ihren Reiz und ich schreibe sie auch wahnsinnig gern, aber der Comic bietet mir als Autor mehr Möglichkeiten, eine Geschichte in all ihren Facetten zu erzählen.

Peter Mennigen

Peter Mennigen

Welche ist die schönste, welche die schwierigste Phase bei der Entwicklung eines neuen Malcolm-Abenteuers?

Peter Mennigen: Die bei weitem schwierigste Phase läuft für mich parallel zu der Arbeit am Exposé, am Skript mit der Panelaufteilung und dem Schreiben der Sprechblasen-Dialoge plus Textboxen ab: Abstand gegenüber der eigenen Arbeit gewinnen und permanent jedes Wort in Frage stellen. Sich nie mit dem Geschriebenen zufrieden geben, sondern alles immer und immer wieder auf den Prüfstand stellen. Sich beim Schreiben hinterfragen, ob das wirklich gut ist, oder vielleicht doch nicht so grandios, wie man dachte. Die Geschichte beim Ausarbeiten und auch später bei den gefühlten hundert Überarbeitungen mit einer Distanz betrachten, als lese man den Text zum ersten Mal, um dann ggf. Passagen oder Handlungsstränge zu streichen oder umzuschreiben.
Das ist ein schmerzhafter Prozess, weil man vorher viel Arbeit und Herzblut in die betroffenen Stellen der Story gesteckt hat und sich Selbstzweifeln gegenüber öffnen und dann mit ihnen rumschlagen muss.
Die schönste Phase ist zweifellos, wenn ich morgens den Computer hochfahre und Ingo mir eine Mail mit einer neuen Malcolm Max-Seite geschickt hat.

Ingo Römling: Ich liebe das Zeichnen, aber das Kolorieren finde ich manchmal erschöpfend. Ich habe mir angewöhnt, erst das ganze Album schwarzweiß durchzuzeichnen und dann in einem Rutsch zu kolorieren. Zeitmäßig ist das am ökonomischsten, aber es kann recht eintönig werden. Und ich unterschätze immer wieder, wie viel Arbeit das ist. Bei „Malcolm Max“ oder auch „Star Wars Rebels“ schaffe ich zwei Seiten am Tag, und dann ist Schluss. Bei 48 Seiten sind das immer noch vier bis sechs Wochen, die man da einkalkulieren muss. Absurderweise sträube ich mich trotzdem gegen den Gedanken, jemand anders meine Comics kolorieren zu lassen. Ich habe das einmal aus Zeitgründen gemacht und es war eine eher negative Erfahrung.

Malcolm_Max_Geburtstagsband_coverMalcolm Max steckt voller Anspielungen auf literarische wie filmische Horror-Klassiker. Ingo, du hast außerdem Beiträge zur Zombie-Anthologie „Die Toten“ beigesteuert und zeichnest gemeinsam mit Autor Christopher Taubert für den Webcomic „Survivor Girl“ verantwortlich, einen exzellenten Funny-Strip, in dem das berühmte Final Girl der Slasher-Filme die Titelfigur darstellt. Woher kommt diese große Affinität zum Horror-Genre, und was zeichnet für euch Horror gegenüber anderen Spielarten der Phantastik aus?

Ingo Römling: Ich habe eigentlich gar keine besondere Vorliebe für Horror. Ich mag gute Geschichten, die mich fesseln. Was mich fasziniert, ist die Begegnung mit dem Fremdartigen, dem Unerklärlichen.
„Spielart“ ist eigentlich genau das richtige Wort. In der Phantastik geht es ja immer irgendwie um die Frage „was wäre, wenn“. Und um den Spaß an dieser Frage. Ganz gleich, ob es nun Horror, Sci-Fi oder Fantasy oder von allem ein bisschen was ist. Bei „Die Toten“ haben zwei Dinge mein Interesse geweckt.
Einmal natürlich das Endzeit-Szenario, das dem „Zombie-Invasion-Ding“ ja meistens innewohnt. Zum anderen die Projektion auf eine Realität, die dem idealisierten US-Schema entgegensteht. Bei „Die Toten“ kämpfen keine eingeölten Role-Models mit Waschbrettbauch, sondern ganz normale Typen, Randfiguren, Loser, Spinner. Und sie kämpfen auch nicht, um die Welt zu retten, sondern weil es ihnen an den Kragen geht. Oder weil sie zu viele Drogen eingeworfen haben. Oder weil jemand aus der Wohnung nebenan um Hilfe schreit.
„Survivor Girl“ ist mehr aus der Begeisterung für die Horror-B-Movies und die Independent-Filmszene entstanden. Christopher Tauber ist ja nicht nur einer der geistigen Väter von „Die Toten“ – er ist ebenso eine Art wandelnde Datenbank des Horrorfilms.
Meine Motivation dabei ist eher, dass ich sehr großen Spaß an den Figuren habe. Ich habe längst nicht das Hintergrundwissen über Horrorfilme wie Christopher, ich könnte solche Gags gar nicht entwickeln. Aber ich verstehe die Figuren, ich kann mich in sie hineinversetzen.

Peter Mennigen: Ich bin jetzt auch nicht der große Horror-Fan, obwohl ich in der Vergangenheit für Bastei Tausende Grusel-Comics geschrieben haben. Allerdings mag ich auch Horror-Bücher und -Filme. Keine Splatter-Streifen. Ich stehe mehr auf subtilere Sachen wie „Die Stunde, wenn Dracula kommt“. Ansonsten gucke und lese ich jedes Genre gern, ganz gleich welches, Hauptsache die Story ist gut.
Dass ich „Malcolm Max“ entwickelt habe, liegt daran, dass der Tigerpress Verlag eine Hörspiel-Beilage für die „Gespenster Geschichten“-Comics wollte. Was zwangsläufig ein Horror-Thema nahe legte.
Wobei ich bei „Malcolm Max“ versucht habe und immer noch versuche, nicht zu sehr in Klischees zu verfallen, was bei Genres wie Horror oder Fantasy nicht einfach ist. Man arbeitetet bei unheimlichen Geschichten im Grunde immer mit den gleichen Elementen wie „Totenerweckung“, „Geisterspuk“, „Vampire“, „Zombies“, „magische Artefakte“ usw. Den Unterschied macht für mich, ob man einen originellen Ansatz findet, um daraus etwas Neues zu kreieren. Bei „Malcolm Max“ versuche ich das durch einen nicht unbedingt fehlerfreien Helden und die Art und Weise der Erzählung mit einer sehr speziellen Textsprache, die der Serie eine besondere Atmosphäre, Brutalitäten eine gewisse Poesie und einer düsteren Story eine unterschwellige Ironie verleihen soll.
Bei der Unterscheidung zwischen Horror und anderen Spielarten der Phantastik gilt für mich folgendes streng subjektive Kriterium: Horror ist, wenn ich bei einem Buch oder Film das Zimmer fluchtartig und mit einem Schrei auf den Lippen verlasse. Bleibe ich dagegen ruhig auf dem Sofa sitzen, läuft das Gesehene stilistisch bei mir unter Phantastisches.

308656-20150604090908Ihr seid ja beide tief und seit langer Zeit im Comic verwurzelt. Derzeit ist das Titel-Angebot so breit wie noch nie, gleiches gilt für die mediale Aufmerksamkeit, die Comics heute erhalten. Gleichzeitig ist es zunehmend schwerer geworden, noch an den rosigen Auflagenzahlen vieler Serien der 1980er Jahre anzuknüpfen. Wie nehmt ihr aus Künstlersicht den heutigen Comicmarkt wahr?

Ingo Römling: Ich nehme den deutschen Comicmarkt gerade als sehr spannend wahr, er entwickelt sich. Es herrscht Aufbruchsstimmung. Da gibt es einerseits eine sehr lebendige Subkultur, Independent-Künstler, die ihr ganz eigenes Ding machen, vielleicht auch mal schräg und auch mal nicht so zugänglich, aber für jeden was dabei – und es gibt auch eine Menge deutsche Zeichner, die eigene Geschichten erzählen, die vielleicht mehr „Mainstream“ sind, sich aber wirklich sehen lassen können und die auch international Erfolge feiern. Ich finde es super, gerade jetzt dabei sein zu dürfen.
Und zur medialen Aufmerksamkeit … hm. Also ich finde, da geht noch was. Besonders hierzulande. Es gibt – von den medialen „Machern“, sag ich mal – immer noch diese weit verbreitete, erschütternd einseitige Sicht auf Comics.
Es gibt hier in Deutschland eine sehr quirlige und lebendige Comic- und Convention-Kultur, da treffen sich Fans, Zeichner, Filmemacher, Autoren, Schauspieler, Kostümbildner, Musiker, da entstehen hochinteressante und qualitativ extrem hochwertige Sachen. Comics und Graphic Novels gewinnen Preise, sie reflektieren Zeitgeschehen, sie dienen der Unterhaltung – und behandeln gleichzeitig große und relevante Themen, genauso wie es Theaterstücke, Bücher und Filme tun. Und trotzdem schreiben Zeitungen nach dem Besuch einer internationalen Comic-Messe immer noch Headlines wie „Zack, Bumm, Peng, Tröt – wenn Asterix, Donald und die Schlümpfe eine Party feiern“ oder so. Da kann man echt nur den Kopf schütteln. Aber na ja, vielleicht dauert das alles einfach noch ’ne Weile.

306383Peter Mennigen: In den vergangenen Jahrzehnten unterlag der Comic-Markt immer zyklischen Schwankungen. Einer Titelschwemme folgte regelmäßig ein Einbruch des Angebots und dann wieder ein Aufschwung. Ich habe große Comic-Verlage erlebt, die eine Zeitlang fast so etwas wie ein Marktmonopol innehatten und die nach einigen Jahre in die Bedeutungslosigkeit oder ganz verschwunden sind.
Als ich im Herbst 1977 als Comicautor beim Bastei Verlag begann, erschienen die von mir geschriebenen Comicserien teils wöchentlich, teils zweiwöchentlich oder monatlich mit Verkaufsauflagen von 200.000 bis 400.000 Hefte pro Ausgabe. Bis Ende der 1980er Jahre war bei Bastei ein Comic mit einer Auflage von um die 60.000 Stück höchst einstellgefährdet. Heute knallen bei Verlagen die Sektkorken, sollte eine Serie überhaupt eine 60.000er Auflage erreichen.

Als Autor freut mich auf der einen Seite das offenbar gewachsene Interesse an Comics, als Fan bin ich von der Bandbreite des Angebots begeistert. Auf der anderen Seite erschreckt mich das Massenangebot auch etwas und ich frage mich: Wer soll das alles lesen? Bleibt zu hoffen, dass die Basis der Leserschaft tatsächlich wächst. Ansonsten mündet das steigende Angebot in einem Verdrängungswettbewerb. Immer mehr Titel und im Gegenzug immer kleinere Auflagen wären zum Beispiel ein Indikator, das jede neue Publikation einer anderen die Leser nimmt, was dann irgendwann zur nächsten Marktbereinigung führen wird.
Allerdings verdanken Ingo und ich dem in den vergangenen Jahren wachsenden Comicmarkt auch, dass es „Malcolm Max“ überhaupt gibt. Vor 2010 hätte man für ein sogenanntes „creator-owned“ Comicprojekt aus deutschen Landen nur sehr schwer einen der großen Verlage begeistern können, da man bis dahin fast ausschließlich auf die Publikation von Lizenz-Comics setzte. Die ist billiger und vor allem weniger risikobehaftet.

Was das Generieren neuer Leserschichten angeht, gibt es heute ein paar Faktoren, die es früher nicht gab.
Erstens: Megaerfolgreiche Comicverfilmungen. Durch die Filme kommen auch Leute mit Comics in Berührung, die vorher keinen Zugang zu dem Medium hatten und deren Interesse dadurch geweckt wird.
Zweitens: Creator-owned Comics, die vor allem in den USA eine zunehmende Erfolgsstory sind. Losgelöst vom Diktat der großen Verlage tun sich Autoren und Zeichner zusammen und machen ihr eigenes Ding. Was zur Folge hat, dass es immer mehr hervorragende und originelle Titel gibt, die vor Kreativität nur so sprühen. Ich kann mich nicht erinnern, in der Vergangenheit so viele extrem gute Comics für erwachsene Zielgruppen gelesen zu haben wie heute. Es ist kein Zufall, dass Hollywood bzw. die amerikanische Fernsehindustrie so gehäuft auf Comicstoffe für neue Filme oder TV-Serien zurückgreift.
Möglicherweise stabilisiert diese Überlagerung von Comicserien auf andere Medien die Leserschaft auf einem hohen Niveau. Und falls nicht, genießen wir es, solange es dauert.

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Zwei Seiten aus "Malcolm Max" Band 3: Nightfall (Splitter Verlag)

Zwei Seiten aus „Malcolm Max“ Band 3: Nightfall (Splitter Verlag)