Die in Deutschland bei Panini erscheinende Endzeit-Serie „Crossed“ des US-Publishers „Avatar Press“ polarisiert, so wie ein Großteil des Verlagsprogramms. Obwohl man häufig extrem profilierte Autoren wie Garth Ennis oder sogar Altmeister Alan Moore (V for Vendetta, Watchmen) gewinnen konnte, überwiegen der trashige Gewalt-Fokus und der sehr digitale Look vieler Avatar-Produktionen im Gesamtbild. Die Tatsache, dass die Infizierten in der Welt von „Crossed“ Menschen nicht „nur“ töten und essen, sondern zunächst vergewaltigen ist für einige Leser genau der künstlerische Tabubruch, der das Genre belebt, für viele sicher einfach bloß nackte Sensation und für manche eben auch eine Grenze, die man auf diese Art und Weise nicht übertreten darf. Das provokative Konzept geht auf, „Crossed“ ist auch in Deutschland ein kommerzieller Erfolg.
Fast scheint es da etwas schade, dass ein Juwel wie „Rover Red Charlie“ mehr oder weniger eine Art Auskopplung aus der kontroversen Serie ist, obwohl es auch hervorragend für sich und außerhalb der Diskussion funktionieren würde. In der nun vollständig in einem deutschen Sammelband erschienenen Miniserie dürfen die Leser das stark strapazierte Szenario der Zombie-Apokalypse aus einer völlig neuen Perspektive betrachten. Durch die Augen der nun herrchenlosen Hunde einer zerstörten, trostlosen Welt.
In bester Tradition düsterer, moderner Fabeln, wie Richard Adams auch als Trickfilm umgesetzten Meisterwerks „Watership Down“ wendet Kult-Autor Garth Ennis (Preacher, Punisher) einen ganz besonderen, erzählerischen Kniff an. Statt seine tierischen Protagonisten einfach nur Disney-kompatibel zu vermenschlichen, behält er tierische Kommunikationsformen bei und drückt sie durch menschliche Sprache aus. So bedeutet ein schlichtes Bellen zur Begrüßung also nicht „Hi, mein Name ist Rover! Freut mich dich kennenzulernen!“ sondern einfach bloß „ICH BIN EIN HUND, ICH BIN EIN HUND!“. Natürlich werden die Dialoge im Laufe der gleichermaßen rührenden und schockierenden Abenteuergeschichte auch komplexer und vermenschlichter, schließlich will man bei aller wissenschaftlicher Authentizität nicht ganz vergessen, die Leser auch zu unterhalten. Aber die Berücksichtigung tierischer Kommunikationsformern verleiht „Rover Red Charlie“ sein ganz eigenes Flair.
Die sexuellen Entgleisungen aus der Mutter-Serie sind auch im tierischen Ableger nicht völlig vergessen, funktionieren aber deutlich subtiler, sind eher angedeutet und schockieren so deutlich effektiver. Obwohl er durchgehend digital arbeitet, trägt „Crossed“-Coverkünstler Michael Dipascale maßgeblich zum warmen, herzlichen Kern der Geschichte bei, der sich mit erhobenem Haupt seinen Weg durch die menschenverachtende, kalte und schockierende Umwelt bahnt. Die sehr handwerkliche Optik mit schicken Buntstiftschraffuren entfernt sich erfreulich weit vom oft cleanen und sehr technischen Avatar-Look.
„Rover Red Charlie“ ist ein großartiger und extrem eigenständiger Comic, der seinen Lesern aller Niedlichkeit zum Trotz aber auch sehr starke Nerven abverlangt. Denn der Spagat zwischen ekelerregender Brutalität und unschuldiger Natur ist es, der den wahren Reiz der zeitgenössischen Fabel ausmacht.
Garth Ennis, Michael Dipascale: Rover Red Charlie. Panini, Stuttgart 2016. 160 Seiten, Broschiertes Softcover, € 16,99 / Limitiertes Hardcover, € 39,99