Man kommt aber auch nie zur Ruhe: da will Mihael endlich mal so richtig schön feiern, und schon ruft die nächste Mission. Der Meister der Inquisition – somit Mitglied der noblen Gilde, die im Reiche Oszitanien quasi als schnelle Eingreiftruppe mit Magie und unbestechlicher Wahrheitsfindung Recht und Ordnung hütet – schifft sich mit seinem Elf Shaween ein in Richtung Enesien-Inseln.
Auf den ersten Blick scheint die Sache eines Inquisitors gar nicht würdig: eine Krankheit bedroht die Reisernte, weshalb sich Mihael reichlich überqualifiziert vorkommt. An Bord des Schiffs ändert sich diese Einschätzung dann aber relativ schnell: als man in einen gewaltigen Sturm gerät und der Kahn zu sinken droht, spürt Mihael eine enorme, finstere Macht – und erblickt eine riesige Seeschlange, die offenbar ein massives Leck verursacht hat, das sie allerdings alsbald wieder schließt. Unter einigen Opfern – der Kapitän hält Kurs, wird aber über Bord gespült, und Shaweens Bein wird zerschmettert, als der Mast zusammenbricht – erreicht die bunte Horde gerade noch eine rettende Insel, die bislang auf keiner Karte verzeichnet ist.
Dort reißen die seltsamen Begebenheiten keineswegs ab: man findet 12 nagelneue, verlassene Hütten vor – exakt so viele, wie die Überlebenden als Unterschlupf brauchen. Der mächtige Ork Otof kehrt von einem Ausflug zum Wasserholen nicht zurück: lediglich Spuren eines gewaltsamen Zusammentreffens mit allerlei seltsamen Wesen – offenbar halb Mensch, halb Echse – finden die Gestrandeten. Der durchtriebene Isok, der erfolglos versucht hat, sich an der holden Weiblichkeit zu vergreifen, trifft im Dschungel auf sirenenhafte Damen, denen er sich nur allzu gerne hingibt – und ebenfalls (bis auf seine Kleidung) spurlos verschwindet. Einstweilen flickt man das Schiff notdürftig wieder zusammen, während Noenn, die kleine Tochter des Kapitäns, auf ein kleines Mädchen trifft, das angeblich nur mit ihr spielen möchte…
Die geheimnisvolle Insel. King Kong. Alien. Die Grundidee, dass man mit einem Fahrzeug havariert, auf einer feindseligen Umgebung festsitzt und nacheinander von unsichtbaren Mächten ereilt wird, stellt ein bewährtes Rezept dar, das Nicolas Jarry im vierten Band dieser Konzept-Serie um die Meister der Inquisition geschickt arrangiert. Wie in jeder Episode steht ein Ermittlerduo, jeweils bestehend aus Inquisitor und seinem Elf, im Mittelpunkt, wobei Mihael der bislang bodenständigste und handfesteste Vertreter seiner Zunft ist. Die Korrektheit seines Elfs, der permanent seinen Vorgänger Adrael als leuchtendes Beispiel heraufbeschwört, nervt ihn ein wenig an, er ist einem ordentlichen Gelage nicht abgeneigt und sieht sich auch sonst etwas weniger existentialistisch als seine Ordenskollegen Obeyron (aus Band 1) oder auch Nikolai (Band 3).
Somit passt dieser Charakter auch bestens zur straighten Adventure Horror-Story, die der ja eigentlich für höchst komplexe Stoffe bekannte Jarry (Durandal, Troja) hier entfaltet. Dass auf der Insel etwas nicht mit rechten Dingen zugehen kann, das ist von Anfang an auch dem unbedarftesten Ork klar, wobei es Jarry dennoch gelingt, durch den süffisanten inneren Monolog Mihaels einen ordentlichen Spannungsbogen zu zimmern. Häufiger werden mittlerweile die Querverweise auf andere Inquisitoren: Mihael kennt Obeyron und Samael (Band 2) offenbar persönlich und vergleicht seine Vorgehensweise wiederholt mit ihnen, was vorausweist auf Band 6, „In Angesicht des Chaos“, wo sich alle Figuren quasi als ultimatives Inquisitoren-Team Up ein Stelldichein geben werden. Zeichnerisch liegen die Federführung in dieser Episode bei Jean-Paul Bordier (u.a. Die Saga der Zwerge, Elfen), der das Geschehen stimmig im Fantasy-Modus, inklusive viel Freude am Detail, inszeniert und vor allem in den Sturm-Sequenzen eine achtsame Dynamik entfaltet. Band 5, „Aronn“, ist für Juli avisiert, bevor dann im Oktober das Chaos hereinbrechen soll.
Nicolas Jarry, Jean-Paul Bordier: Die Meister der Inquisition 4: Mihaël. Splitter, Bielefeld 2017. 56 Seiten, € 14,80