Der alte Mann und das Kind – „Die Adoption“

Ein Rentner von echtem Schrot und Korn ist er, der alte Gabriel: er brummelt sich durchs Leben, ist mit der Berufswahl seines Sohnes Alain unzufrieden (anstatt wie ein echter Mann das väterliche Gewerbe des Metzgers zu ergreifen, muss der feine Herr ja unbedingt Versicherungsmakler werden), fristet eine Gewohnheitsehe mit seiner Frau und trifft sich mit seinen Kumpels Gaston und Gerald (die „Geges“, wegen 3x G) zum pro forma-Sport und gemütlichen Bierchen. Alles soweit im Rahmen also, bis sein Leben gehörig durcheinander gewirbelt wird. Denn als in Arequipa, der wunderbaren weißen Stadt in den Anden im fernen Peru, die Erde bebt, wird das Leid Tausender zur Chance für Alain und dessen Frau Lynette: der lang vergeblich gehegte Kinderwunsch erfüllt sich in Form der kleinen Qinaya, die als Waise von der Familie adoptiert wird. Anfangs kann der alte Brummbär damit gar nichts anfangen – zu alt sind die beiden doch mittlerweile, und außerdem kann die Kleine nicht mal die Sprache. Aber nachdem seine Frau ihn ordentlich in den Senkel stellt, wandelt sich Gabriel allmählich. Er, der sich nie um seine eigenen Kinder gekümmert hat, entwickelt nach und nach Sympathie und Liebe für seine neue Enkelin. Anfänglich widerwillig, dann immer freudiger kümmert er sich um Qinaya – und entdeckt dabei nicht nur Lebensfreude, sondern auch die Beziehung zu seiner Frau neu. Aber dann ziehen finstere Wolken am Himmel auf und drohen das fragile Glück brutal zu zerstören…

Was sich auf den ersten Blick liest wie eine furchtbare Hollywood-Feelgood-Schmonzette – alter Griesgram wird durch kleines Kind geläutert, und man tanzt gemeinsam durch eine amerikanische Großstadt Ihrer Wahl – , das gerät in der Feder von Zidrou (der sich ja auch um „Die neuen Fälle des Rick Master“ kümmert) zu einer anrührenden, witzigen und ergreifenden Geschichte von der Kraft der Zuneigung, die auch ein scheinbar unrettbar eingefahrenes Leben durcheinanderwirbeln kann. Gabriel gefällt sich anfangs in der Rolle des Miesepeters, der vom Leben enttäuscht ist und es nur noch abwickelt. Nach den deutlichen Maßregelungen seiner Frau („Liebe muss man sich verdienen!“) entdeckt er allerdings die Chance, sein versäumtes Vater-Sein nachzuholen – wie dies in der Realität der Baby-Boomer-Generation tausendfach zu beobachten ist, in der die in der Regel abwesenden Väter der 60er Jahre (eine rühmliche Ausnahme durfte ich genießen) nun hingebungsvoll den Opa machen.

Dabei geht es in „Die Adoption“ auch sehr humorig zu, vor allem in Form der Rentner-Gang der „Geges“, die Qinaya einfach zu ihren Treffen mitnehmen – wo die Kleine, die in allen Sprachkursen stumm bleibt, plötzlich auftaut und freudestrahlend ihr erstes französisches Wort wiederholt: „Nutte!“. Auch Gabriels plötzlich wieder erwachtes, auch körperliches Interesse an seiner Frau trägt zu viel wohlwollendem Schmunzeln bei. Dass dabei nicht alles eitel Sonnenschein ist, deutet sich bald an, etwa als Qinaya fragt, wann sie denn nun endlich zu ihrer Mama nach Peru nach Hause dürfe – und das Ende von Band 1 präsentiert einen Cliffhanger, wie er dramatischer und herzzerreißender nicht sein könnte. Anro Monin trägt das Geschehen in ruhigem, stilisiertem, typisch europäischem Duktus vor, mit teilweise filmisch wirkenden Details ohne Dialoge, aber auch schönen Szenerien wie etwa dem Eröffnungspanel des wunderbar eingefangenen Arequipa mit seinen schneeweißen Kirchen und Häusern. So entsteht eine bezaubernde, höchst emotionale Reise, die jenseits aller Kitschmomente, die gängige Kommerz-Filme dieses Genres üblicherweise ruinieren, berührt und mitnimmt. Wir hoffen inständig, dass alles gut ausgeht. Band 2 folgt in Bälde.

Eine Leseprobe gibt es hier.

Zidrou, Arno Monin: Die Adoption Band 1: Qinaya. Splitter, Bielefeld 2017. 72 Seiten, 16,60 EUR