Als die Menschheit feststellt, dass die Religion verantwortlich für nicht enden wollende Kriege, Konflikte und all das Leid ist, das Menschen einander zufügen, fasst sie einen folgenschweren Entschluss. Mit einer chemischen Formel soll der Teil des menschlichen Gehirns gezielt zurückentwickelt werden, der für den Glauben an höhere Mächte verantwortlich ist. Dummerweise entgleist dieser erwünschte, evolutionäre Rückschritt und wirft beinahe die ganze Welt zurück in eine archaische und brutale Steinzeit, voll grunzender Kriegerstämme und riesigen, monströsen Kreaturen. Als die junge Raja dem brutalen Nazi-Stammesführer Gil in die Hände fällt, offenbart sie ihm ihr Ziel. Rajas Vater war einer der für die „Devolution“ verantwortlichen Wissenschaftler und hinterließ der Menschheit einen Notfallplan: Eine weitere Formel, die den Evolutionsprozess wieder in die ursprüngliche Richtung lenken soll…
Rick Remender hat sich nicht nur bereits durch den halben Marvel-Kosmos geschrieben, sondern ist bekannt als Autor hervorragender Science Fiction Comics wie dem psychedelischem „Black Science“ oder der verstörend schönen Unterwasser-Dystopie „Low“. Wer nun „Devolution“ mit diesem erzählerischem Anspruch begegnet, sollte gewarnt sein: Auch wenn politische und religiöse Überlegungen auf den ersten Blick die Grundsteine für seine neue Geschichte legen, sind sie im Grunde nur ein hübsch formuliertes Alibi. „Devolution“ ist ein archaisch-brutaler Genre-Comic in bester Schwermetall-Tradition, dessen hanebüchen überzogene Achtziger-Ästhetik einem von jeder einzelnen Seite entgegenschreit.
Sahen sich die deutsche Version des legendären, französischen Comic-Magazins „Metal Hurlant“ und vergleichbare Genrepublikationen damals stets mit harter, oft ungerechter Zensur konfrontiert, die selten bis gar nicht den künstlerischen Wert dieser Geschichten einbezog, sieht die Welt heute ganz anders aus. Anders als der nicht zuletzt durch „The Walking Dead“ zementierte, grau-braune und leblose Endzeitstandard pulsiert, zuckt und blubbert die farbenfrohe Welt von „Devolution“, das es eine wahre Freude ist. Im Grunde kann man „Devolution“ als das „Heavy Metal“-Pendant zu Mark Millars kongenialer Agentenaction „Kingsman – The Secret Service“ verstehen. Die verstand sich ebenfalls als eine detailgetreue Hommage an ein klischeebehaftetes Genre und modernisierte es mit zeitgenössischer Staccato-Action und natürlich auch mit jeder Menge lächerlich überzogener Gewalt.
Machen wir uns nichts vor, selbst ein so feinsinniger, intelligenter Erzähler wie „Low“-Schöpfer Rick Remender wird einer Szene nicht viel Klasse verleihen, in der ein fetter, muskelstrotzender, vergewaltigender Südstaaten-Redneck mit einem auf die Schläfe tätowiertem Hakenkreuz Heerscharen herbeiströmender Neandertaler mit einer Gatling-Kanone in Fetzen schießt. Aber er gießt seine Hommage an diese Epoche der auf Szenarien gestreckten Plattencover in ein stimmiges, packendes und schamvoll unterhaltendes Paket für all jene Comic-Freunde, die Kunst nicht nur in selbsternannter Hochkultur erkennen.
Rick Remender, Jonathan Wayshak: Devolution. Splitter, Bielefeld 2017. 160 Seiten, Hardcover, 24,80 Euro.