„Ich habe einfach keine Lust, Büros, Politiker und Flugzeuge zu zeichnen“ – Im Gespräch mit Bastien Vivès

Bastian Vives

Bastien Vivès, geboren 1984, gehört zu den wichtigsten jüngeren Comic-Zeichnern in Frankreich. Bekannt ist er vor allem für seine feinfühlig erzählten Liebesgeschichten („Der Geschmack von Chlor“, „In meinen Augen“). Er zeichnet auch die Manga-Serie „Lastman“. Aktuell erschienen ist der komödiantische Action-Thriller „Olympia“ (alle Titel auf Deutsch bei Reprodukt).

Christoph Haas: Mon­sieur Vivès, mit gerade 33 Jahren haben Sie schon rund ebenso viele Alben und Graphic Novels veröffentlicht. Sind Sie eigentlich permanent am Zeichnen?

Bastien Vivès: Im Wesentlichen: Ja! Ich arbeite jeden Tag in meinem Atelier, von Montag bis Sonntag. Ich habe keine Familie, der ich mich widmen muss, sondern kann mich ganz meiner Leidenschaft hingeben. Das ist ein Glück und ein Luxus. Ich nehme meine Arbeit allerdings auch sehr ernst, bis zu dem Grad, dass ich manchmal den Eindruck habe, das Leben zu versäumen.

Zeichnen Sie mitunter auch rein zum Vergnügen?

Das kommt schon vor, etwa wenn ich abends nach Hause komme, an einem Tag, wo ich ausnahmsweise wenig getan habe. Aber wichtigsten ist es mir, mit dem Projekt, an dem ich gerade sitze, voranzukommen. Das ist ein großer Druck, aber auch immer wieder sehr zufriedenstellend. Man sieht, wie das Album wächst, von Strich zu Strich, von Panel zu Panel, von Seite zu Seite.

Haben Sie schon als Kind gezeichnet?

Ja. Zuerst habe ich Spinnen gezeichnet, da war ich drei, vier Jahre alt, dann bin ich zu Dinosauriern und Ninjas übergegangen. Mit zwölf habe ich angefangen, Frauen zu zeichnen, und das mache ich, ehrlich gesagt, heute noch am liebsten.

Sie schreiben oft auch ihre Szenarios selbst. Was ist für Sie wichtiger, die Story oder die Bilder?

Allgemein ist es das Zeichnen, das mich motiviert, ein Album zu beginnen. Ich will auch eine Geschichte erzählen, klar, aber am Anfang stehen immer die Bilder. Daher werde ich nie einen politischen Comic machen. Ich habe einfach keine Lust, Büros, Politiker und Flugzeuge zu zeichnen.

Ihre Zeichnungen sind nicht sehr detailliert, sondern eher skizzenhaft.

Das hat Vorteile, was die Mise en Scène angeht. So ist es viel besser möglich, Akzente zu setzen, bestimmte Aspekte hervorzuheben, als wenn man alles detailliert zeichnet.

Sie achten sehr genau auf die Körpersprache Ihrer Figuren. Mimik und Gestik sind oft wichtiger als die Dialoge.

Unbedingt! Viele Comics scheitern meiner Ansicht nach daran, dass die Bilder zu ästhetisch und illustrativ sind, nicht expressiv genug. Ich will dagegen versuchen, Inhalte und Emotionen über die Bilder zu vermitteln, nicht über die Dialoge oder eine Off-Stimme. Wenn man etwa in „Der Geschmack von Chlor“ sieht, wie sich die Hauptfigur in einer Schwimmbadkabine auszieht, dann versteht man sofort: Dieser junge Mann ist schüchtern, er fühlt sich nicht wohl in seinem Körper, er ist sexuell gehemmt.

Eines Ihrer bevorzugten Themen ist die Liebe. Aber gerade Ihre anrührendste Figur führt ein Leben, in dem die Liebe keine Rolle spielt. Ich meine die Ballerina Polina, Hauptfigur der gleichnamigen Graphic Novel. Polina lebt nur für ihre Kunst.

Polina ist zweifellos meine Lieblingsfigur, und ich bin superglücklich, sie erschaffen zu haben. Sie ist für mich wie ein Avatar, der es mir ermöglicht hat, von Dingen zu reden, die mich zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Comics sehr beschäftigt haben. Ich war von der Liebe enttäuscht und habe mich gleichzeitig gefragt: Was ist eigentlich Kunst? Was habe ich für ein Verhältnis zur Kunst?

Gustave Flaubert hat gesagt: „Madame Bovary, das bin ich.“ Dasselbe könnten Sie von Polina sagen.

Ja! (lacht) Sehr wichtig ist mir auch die Beziehung Polinas zu ihrem Tanzlehrer. Er ist sehr streng – wie kann man so eine Figur entwerfen, ohne dass sie völlig unsympathisch wirkt? Und was für Emotionen kann es in der intensiven Beziehung zwischen ihm und Polina geben, auch wenn sie nie ein Liebespaar werden?

Sie machen auch Genre-Comics. „Lastman“ ist eine stark von den Mangas beeinflusste Fantasyabenteuerserie, „Olym­pia“, Ihre jüngste deutsche Veröffentlichung, ist ein nicht ganz ernst gemeinter Actionthriller, in dessen Zentrum drei Kunstdiebinnen stehen.

Diese Titel haben mich aus verschiedenen Gründen gereizt. Zunächst einmal habe ich sie nicht allein kreiert, sondern in Kooperation mit anderen. Das ist angenehm: Man trägt nicht für alles die Verantwortung, man kann mit Freunden zusammensein und herumalbern. Außerdem mag ich es, wenn Comics oder Filme einerseits spektakuläre Unterhaltung bieten, andererseits aber auch eine gewisse Tiefe besitzen. Was mich in „Lastman“ daher am meisten fasziniert hat, ist die Beziehung des jugendlichen Helden Adrian zu seiner Mutter. Ich habe Seiten über Seiten gezeichnet, wo es nur um diese beiden geht, und immer unendlich viel Spaß dabei gehabt.

Dieses Interview erschien zuerst in der taz.

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