„Wie ich Frankreich erobert habe“ lautet der Titel der neuen Graphic Novel des finnischen Starzeichners Ville Ranta, die kürzlich bei Reprodukt erschienen ist. Der Comickünstler mit dem wilden Strich wurde in Finnland mit dem Comic Finland Award sowie den Suomi-Preis vom finnischen Ministerium für Bildung und Kultur prämiert. Er ist seit über 20 Jahren in der finnischen Comicszene aktiv, landesweit bekannt ist er vor allem für seine politischen Karikaturen, für der 2023 mit dem Finnish Grand Prize for Journalism als „Journalist des Jahres“ ausgezeichnet worden ist. In „Wie ich Frankreich erobert habe“ erzählt Ranta vom Verlagswesen, von den Nöten und Aspirationen junger Autor*innen und von dem Widerspruch zwischen künstlerischer Integrität und kommerziellem Erfolg. Und er liefert einen amüsanten Blick hinter die Kulissen der millionenschweren Comicindustrie in Frankreich. Im Presse-Interview gibt Ville Ranta Einblick in seine Arbeit.
Lieber Ville, vielen Dank, dass du dir die Zeit für uns nimmst. Zu Beginn wollen wir gerne von unseren Autor*innen ein bisschen über ihre Anfänge hören. Was hat dich denn in die Welt der Comics verschlagen?
Ich schätze, das Tor zur Welt der Comics haben für mich die Arbeiten von Hugo Pratt aufgestoßen, vor allem seine „Corto Maltese“-Reihe, die mir in der Stadtbücherei in die Hände fiel, als ich 11 oder 12 Jahre alt war. Ich glaube, ich habe schon davor den Wunsch gehegt, Comiczeichner zu werden, aber Pratts Werk war etwas, das meine Vorstellung von der gesamten Kunstform und ihren Möglichkeiten nachhaltig veränderte. Eine weitere wichtige Erfahrung machte ich Ende der neunziger Jahre, als ich als Literaturstudent an der Universität Helsinki auf die neue Welle französischer Comics stieß, auf die Bücher von L‘Association und anderen „Indépendants“. Damals fasste ich den Entschluss, ein professioneller Comiczeichner zu werden, und begann nach Wegen zu suchen, meine Arbeiten veröffentlichen zu können. In Finnland konnte ich einige Sachen in Fanzines, im Selbstverlag und in einem kleinen Verlag veröffentlichen, den ich mit anderen jungen Künstler*innen in Helsinki gegründet habe. Den Asema-Verlag gibt es tatsächlich immer noch. Aber der eigentliche Durchbruch in der Branche war das Album „Célébritiz“, das Lewis Trondheim mir anbot, nachdem ich ihm meine Arbeit auf dem Comicfestival in Angoulême vorgestellt hatte. Dieses Album kam 2006 bei Dargaud heraus und eröffnete mir sowohl in Frankreich als auch in Finnland viele neue Möglichkeiten.
Wie steht es denn um den Comic in Finnland? Welche kulturelle Bedeutung hat die Kunstform?
In gewisser Weise bin ich der prototypische finnische Comickünstler, weil ich meinen ganz eigenen Stil habe. Die finnische Comicszene existiert nur als alternative Künstlerszene, es gibt praktisch keine kommerzielle Comicindustrie in Finnland. Die meisten neuen finnischen Comiczeichner*innen kommen von Kunsthochschulen, und die Szene ist recht aktiv und international gut vernetzt. Comics als zeitgenössische Kunst werden professionell an der Kunsthochschule Aalto in Helsinki gelehrt, und das ist nicht der einzige Ort, an dem man Comics studieren kann. Finnische Comics sind oft sehr stark auf den grafischen Aspekt fokussiert und sehr „künstlerisch“. Meine Inspiration kommt größtenteils direkt von den französischen Comics, und das kann man in meiner Arbeit sehen.
Apropos französischer Comic – davon erzählt auch deine neueste Graphic Novel: „Wie ich Frankreich erobert habe“ zeigt dich als getriebenen Künstler, der versucht, in Frankreich groß rauszukommen. Was ist es, das dich zu der französischen Comicszene so hingezogen hat?
Ich war ein großer Fan des französischen Comics, aber ich sah auch zu der Branche an sich auf. Hier war eine Industrie, die erfolgreicher und anerkannter nicht hätte sein können – der größte europäische Markt für zeitgenössische Comics. Ich blickte nach Frankreich und sah die Möglichkeit, als Künstler von Comics zu leben – und ich wollte Teil dieser Szene sein. Ich bin nach Frankreich gereist und habe dort alle kennengelernt, was auch nicht schwer war. Und seit 2006 werde ich in Frankreich auch viel veröffentlicht. Aber ich habe nie wirklich den Durchbruch geschafft, von dem ich als junger Künstler geträumt habe. Zum Glück sind meine politischen Karikaturen in Finnland sehr populär geworden, sodass ich mich nur noch auf meine Kunst und das Zeichnen konzentrieren kann. Ich muss meinen Arbeitsraum nicht mehr verlassen, außer wenn ich für Lesungen oder Signierstunden auftrete.
„Wie ich Frankreich erobert habe“ ist eine sehr deftige Satire auf die französische Comicbranche und ihre Eitelkeiten, aber ich haue auch mich selbst in die Pfanne. Ich wollte meine Schwächen, meine Naivität und meinen Egoismus als junger Künstler zeigen, der in seinem Streben nach Erfolg vergisst, was in der Kunst und im Privatleben wirklich wichtig ist. Die Geschichte ist ziemlich autobiografisch, aber nicht zu hundert Prozent. Es ist eine Satire, also habe ich mich selbst, mein Leben, meine Gedanken und auch andere verändert und karikiert. Aber die Grundzüge der Geschichte sind wahr.
Dein Comic setzt sich mit einem Konflikt auseinander, mit dem die meisten kreativen Menschen irgendwann im Laufe ihrer Laufbahn ringen: Der (vermeintlichen) Unvereinbarkeit von künstlerischem Anspruch und kommerziellem Erfolg. Warum war dir dieses Thema so wichtig?
Ich wollte diese Geschichte erzählen, weil ich denke, dass es wirklich gefährlich ist, sich nach Erfolg zu sehnen. Am Anfang meiner Karriere war ich nicht so. Ich dachte nur, dass ich veröffentlicht werden wollte, damit die Leute meine Kunst sehen können und weil ich Bücher liebe (Bücher sind eines der schönsten Dinge auf der Welt). Aber als ich anfing, mich in der französischen Szene zu bewegen mit all den Verlagen und den riesigen Auflagen, und als ich um mich herum erfolgreiche Kollegen sah, wollte ich so sein wie sie. Ich wollte Erfolg haben! Und diese Phase war auch nicht gerade kurz – zehn oder fünfzehn Jahre habe ich mit dem Erfolg gerungen! Ich hatte eine eigene Vision von meiner Kunst, aber gleichzeitig war ich bereit, sie aufzugeben, wenn dadurch kommerzieller Erfolg möglich geworden wäre. Schließlich wurde mir klar, dass das nur zu Ängsten und Frust führte und es dann irgendwann sogar so weit ging, dass mich meine Arbeit unglücklich machte. Heutzutage ist es sehr verbreitet, dass der Wert der Kunst an ihrem Erfolg gemessen wird, an der Zahl der verkauften Bücher. Künstler*innen sollten nicht so denken. Sie sollten in der Lage sein, diese Art der Bewertung ihrer Arbeit abzulehnen.
„Wie ich Frankreich erobert habe“ ist eine Art Schlüsselroman, zu den meisten deiner Figuren gibt es echte Menschen als Vorlage, z. B. den bekannten Zeichner und Verleger Lewis Trondheim. Hattest du Hemmungen, echte Menschen aus deiner Branche zu Comicfiguren umzuwandeln? Oder ist es in Frankreich eh an der Tagesordnung, dass man als Nebenfigur in einer autobiografischen Graphic Novel enden kann, wenn man mit Comiczeichner*innen abhängt?
Ach, das passiert öfter, als man denkt! Ich kenne etliche Leute aus der Szene, die zu Protagonist*innen von teils sehr bissigen Comics geworden sind. Benoît Mouchart, die Vorlage für die Figur des Lancelots in meinem Buch, hat es mit Humor genommen. Ich hatte wirklich Angst, dass er sich aufregen und nie wieder mit mir reden würde. Ich habe die Namen und das Aussehen geändert, weil ich deutlich machen wollte, dass die Geschichte nur meine Sichtweise ist. Und selbst diese Sichtweise ist durch viel Ironie und Emotionalität gefiltert. Die echten Personen dahinter sind leicht zu erkennen, ich habe nicht einmal versucht, sie zu verstecken. Wie auch immer, es ist nicht wichtig, die meisten Leser*innen in Finnland oder Deutschland oder selbst in Frankreich kennen diese Leute nicht. Sie sind Figuren in einer Geschichte, keine realen Personen.
Du hast es ja schon erwähnt – in Finnland bist du vor allem für deine politischen Zeichnungen bekannt. Welchen Stellenwert nimmt diese Form des Zeichnens in deinem Werk ein?
Es ist verrückt – aber politische Cartoons sind das, wofür ich am bekanntesten bin. Zu Beginn waren politische Karikaturen für die Zeitungen nur eine Möglichkeit, etwas Geld zu verdienen. Heute veröffentlicht die größte Tageszeitung Finnlands, „Helsingin Sanomat“, zweimal die Woche meine Cartoons – und ich bin der namhafteste Karikaturist des Landes. Das hat mein Berufsleben natürlich ganz schön verändert. Das soll aber keine Beschwerde sein – politische Satire war mir schon immer nah gewesen. Und Karikaturen sind ein guter Kontrast zu dem Comic-Teil meines Zeichneralltags. Comics sind persönlich, herausfordernd und langwierig zu machen, und die Leser*innenschaft kann man an einer Hand abzählen. Bei Cartoons ist das Gegenteil der Fall. Ich weiß nicht einmal mehr, was ich letzte Woche in der Zeitung gezeichnet habe, aber bei meinen Graphic Novels vergesse ich selbst eine schlechte Seite nie.
Ville Ranta: Wie ich Frankreich erobert habe • Aus dem Finnischen von Elina Kritzokat • Reprodukt, Berlin 2025 • 164 Seiten • Hardcover • 20,00 Euro