So finster die Macht – „Quai d’Orsay“

Dass der Untertitel „Hinter den Kulissen der Macht“ hier ausnahmsweise hält, was er verspricht, ist das Resultat einer außergewöhnlichen Liaison. Für seine Comicerzählung „Quai d’Orsay“, benannt nach jener Pariser Straße, die zum Metonym des französischen Außenministeriums wurde, suchte sich der Zeichner Christophe Blain, der sonst solo oder mit engen Freunden arbeitet, ungewöhnliche Verstärkung. Mit Authentizität darf man rechnen, wenn sich hinter dem Pseudonym seines Co-Autors Abel Lanzac ein früherer Redenschreiber des zwischen 2002 und 2004 amtierenden französischen Außenministers Dominique de Villepin verbirgt. Die Anonymität wird nicht nur angesichts der Popularität des zweibändigen Werks, das sich in Frankreich über 300.000mal verkauft hat und in Deutschland als Gesamtausgabe erschien, die richtige Wahl gewesen sein. So amüsant wie hier wurde das Werden und Wirken des hemdsärmeligen Staatsadels noch nie analysiert.

Lanzacs Alter ego Arthur Vlamnick ist ein unerfahrener Doktorand, der als „Berater des Ministers in sprachlichen Fragen“ in den Stab Alexandre Taillard de Vorms gerät, Lanzacs Version des konservativen Villepine. So sehen wir ihn aus Vlamicks Perspektive: als Maschinenwesen X-OR, als Darth Vader, als charismatische Führungsperson im Dauereinsatz. Taillard will politisch eine ganze Menge, vor allem aber den vorhersehbaren Krieg im Irak (der hier Lousdem heißt) abwenden. Der Minister tarnt seine geradezu manische soziale Inkompetenz als Charisma: Jedes Gespräch, jede Begegnung, jede Konferenz endet mit großen Gesten, jovialem Pathos und der Selbstüberschätzung eines hyperaktiven Strategen, der seine Sicht auf die Weltkonflikte mit gezücktem Stabilo auf markige Zitate vorzugsweise Heraklits eindampft – sofern er seine Mitarbeiter nicht dazu anhält, ihm diese Arbeit abzunehmen. Es ist schließlich in der Tat eine bizarre Aufgabe, Immergleiches in immer neue Worte zu kleiden.

Blain nutzt hierzu das Serialitätsprinzip des Comics in Perfektion. Taillards Hände, größer als der Kopf dieses Hünen, sind meist in Bewegung, wirbeln symmetrisch zum Redeschwall, bis sie mit gewaltigem „WAMM“ auf dem Tisch landen. Dann ist die Ansprache vorbei; ihre Dynamik rührte aus der ständigen Wiederholung dieser Gesten, weniger aus dem Inhalt. Selten wurde im Comic eine Figur so präzise durch Soundwords charakterisiert: „WAMM“ schlagen die Türen, „WAMM“ klatschen die Hände, und „TACK TACK TACK“ tönt es aus dem Ministermund, wenn er seine Argumentationsketten übereinanderstapelt. Die kleinen Variationen im Konterfei und Händewirbeln erinnern nur um so vehementer an den geistigen Stillstand, über den diese laute Selbstüberzeugung hinwegtäuschen soll.
Das gegenteilige Prinzip gilt übrigens für den Auftritt Berlusconis, dessen ganze Schmierlappigkeit in gerade mal sechs Bildern für die Ewigkeit zusammengefasst ist. Aber das schauen Sie sich bitte selbst an.

Christophe Blain (Zeichnungen), Abel Lanzac (Text): Quai d’Orsay. Hinter den Kulissen der Macht. Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock. Reprodukt, Berlin 2012. 200 Seiten. 36 Euro

Sven Jachmann ist Comic.de- und Splitter-Redakteur und Herausgeber des Filmmagazins filmgazette.de. Beiträge u. a. in KONKRET, Tagesspiegel, ND, Taz, TITANIC, Junge Welt, Jungle World, Das Viertel, Testcard sowie für zahlreiche Buch- und Comicpublikationen und DVD-Mediabooks.

Dieser Text erschien zuerst in: Konkret