Entkolonialisierung. So unglaublich das scheint, soll das auch vorkommen – bevorzugt, wenn sich die usurpierten Territorien für die selbst erkorenen Herren nicht mehr lohnen. So geschehen auch im Fall des Planeten Terra Holman, den man nach dem angeblich „goldenen“ Zeitalter der Besiedlung vor gut zehn Jahren wieder seinem Schicksal überlassen hat. Friedlich leben dort die indigenen Völker zusammen, genauer gesagt die Nildoror und die Sulidoror, die in den Nebelgebieten des Planeten weiterhin ihre uralten Riten pflegen. Genau die haben es einigen Erdforschern dann doch angetan, und so machen sich die Ethologin Dorothy Wingate und ihr Mann Sam auf den Weg in Richtung Belzagor, wie der neuerdings unabhängige Planet mittlerweile wieder genannt wird. Mit an Bord haben sie den ehemaligen Siedler Gundersen, der es auf Terra Holman bis zum Leiter eines Staudamms geschafft hatte, als von der Erde das Kommando zum Rückzug kam. Gundersen, der seiner Zeit auf Belzagor immer hinterher trauert, ist um die Chance froh, in die alte Wirkungsstätte zurückzukehren. Seine Funktion bei der Mission: Die Wingates wollen tief ins Nebelland vorstoßen, um eine Wiedergeburtsfeier der Ureinwohner auszuspionieren, was Menschen eigentlich streng verboten ist.
Dafür braucht die Expedition einen Führer, der das Terrain kennt wie seine Westentasche – und der in der Lage ist, aus den Reihen der Nildoror willige Träger zu rekrutieren. Schon kurz nach der Landung wird Gundersen allerdings von seiner Vergangenheit eingeholt: Sein ehemaliger Mitarbeiter Van Beneker, der pleite auf dem Planeten festsitzt und dringend von Belzagor weg will, bahnt sich seinen Weg in die Expedition, da nur er zwischen Gundersen und dem Anführer der Nildoror vermitteln kann. Und dann taucht auch noch ein gewisser Kurtz auf, unter dem Gundersen bei seiner ersten Ankunft auf Terra Holman Dienst tat – und der seinerzeit ein äußerst lukratives und höchst illegales Geschäft mit dem Gift der Naggiar betrieb, schlangenähnliche Wesen, deren Aussonderung Rauschzustände, aber auch nachhaltige gesundheitliche Schäden hervorruft. Je mehr diese bunte Truppe sich dem Nebelland nähert, desto komplexer wird die Gemengelage: Nicht nur verguckt sich Gundersen offenkundig in seine Auftraggeberin Dorothy, nein, auch seine Ex-Geliebte Seena – mittlerweile in einer von Abneigung zerfressenen Ehe mit Kurtz gefangen – konfrontiert ihn damit, dass „Gundy“ seinerzeit seine Rückkehr auf die Erde über ihre Beziehung gestellt habe. Und auch Gundersen selbst scheint dem Missbrauch von Naggiar-Gift und den geheimen Riten der Ureinwohner deutlich näher, als er zugeben will…Robert Silverberg gehört zweifelsohne zu den produktivsten Autoren der amerikanischen SF-Szene. Seit Mitte der 50er Jahre verfasste Silverberg Dutzende Romane und nach eigenen Angaben pro Jahr tausende Seiten für Magazine, eine Emsigkeit, die gleich mehrfach mit den begehrten Genre-Auszeichnungen Hugo, Nebula und Locus belohnt wurde. In der ersten Schaffensphase bis Ende der 50er lieferte Silverberg weitgehend straighte Space Opera-/Invasions-Action, wandte sich dann aber auf Initiative des progressiven SF-Magazin-Herausgebers Frederik Pohl, der ihm komplette künstlerische Freiheit zusagte, komplexeren, psychologischen, politischen und religiösen Themen zu. Der 1969 entstandene Roman „Downward To The Earth“, der auf Deutsch als „Die Mysterien von Belzagor“ erschien, behandelt Fragestellungen, die in der Literaturgeschichte bereits die Kolonialromane eines E.M. Forster („A Passage To India“), George Orwell („Burmese Days“), Paul Scott („The Jewel In The Crown“) und vor allem Joseph Conrad aufgeworfen hatten: Was geschieht, wenn sich selbst ernannte Herren plötzlich zurückziehen und ihre Herrschaftsgebiete wieder sich selbst überlassen? Welche Machtmechanismen rechtfertigen zuerst Besiedlung und dann Rückzug? Wie verändern sich Herrscher und Unterworfene?
Fast schon plakativ wird die Tradition von Joseph Conrad in der Figur des Militaristen Kurtz aufgerufen, der sich in einem Außenposten im Dschungel wie sein Namensvetter im Herzen der Finsternis zum Alleinherrscher aufschwingt und dabei die Schätze der Natur (bei Conrad Elfenbein, hier das Gift der Naggiar) radikal für seine Zwecke nutzt. Die politischen Botschaften der Ausbeutung und der fadenscheinigen Argumente der angeblich göttlichen Vorsehung kommen nicht zuletzt auch in der Figur Gundersens zum Tragen, der die Ureinwohner als Tiere sieht und in erster Linie seiner Zeit im vermeintlichen Paradies nachhängt. Neben diesen Standardmotiven der Kolonialliteratur stehen aber auch spannende zwischenmenschliche Aspekte, wie etwa die ehelichen Zweckgemeinschaften, die sowohl Dorothy als auch Seree pflegen und die Gundersen zu sprengen droht.Philippe Thirault (u. a. auch zuständig für das Südstaaten-Epos „O’Boys“) zeichnet in seiner Adaption die zentralen Handlungselemente des Romans stimmig nach, die vor allem in den Szenen der Ureinwohner, die per Bodentrommeln die gewaltigen Schlangen der Naggiar hervorlocken, durchaus deutlich an Edmond Hamiltons Pulp-Klassiker „Captain Future And The Space Emperor“ erinnern, in denen der rothaarige Curtis Newton 1940 erstmals auf den Plan trat, was der junge SF-Leser Silverberg einige Jahre später sicherlich mit heißen Ohren verschlang. Inszeniert wird das Geschehen malerisch von Laura Zuccheri, die hier einen ebenso bezaubernd-lyrischen, farbig-kraftvollen Stil pflegt wie in ihren „Gläsernen Schwertern“, die ebenfalls bei Splitter zu haben sind. Der abschließende Band 2 ist bereits in Vorbereitung.
Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.
Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben dem Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.