Errol Flynn und Astrid Lindgren lassen den Rum kreisen – „Der Fluch der Piratenbraut“

Jamaika verbindet man hier und heute wohl eher mit Anlässen, bei denen zerknautschte Politiker betrübt in die Kamera blinzeln und zu Protokoll geben, man sei da irgendwie jetzt doch nicht weitergekommen. Aber 1728, das Jahr, in dem „Der Fluch der Piratenbraut“ einsetzt, da waren rund um Port Elisabeth noch Männer von echtem Schrot und Korn unterwegs: Die sieben Meere werden von waschechten Piraten unsicher gemacht, die auch die Häfen in Angst und Schrecken versetzen. Als ihr Vater, der feiste Gouverneur Maygun, königlichen Besuch erwartet und dafür ein schmackiges Festmahl ausrichten will, lernt seine Tochter Apollonia auf der Straße ein zerlumptes Mädchen kennen, das einigen Frechdachsen gerade tatkräftig Mores lehrt. Als die „verfluchte Piratenbraut“ gibt die forsche Kleine sich zu erkennen und erzählt ihre Geschichte: Sie sei die Tochter eines berühmten Piraten, der auf dem legendären Schwarzen Wasser der Omertá kreuzt. Bald will sie einen Weg gefunden haben, sich ihm anzuschließen, da ist sie sich ganz sicher.

Jeremy Alan Bastian (Text und Bilder): „Der Fluch der Piratenbraut, Band 1“.
Hinstorff Verlag, Rostock 2017.
144 Seiten. 19,99 Euro

Beim Festmahl des Gouverneurs eskaliert die Lage dann: Anstatt brav zu repräsentieren, mischt Apollonia, begeistert von der Erzählung der Piratenbraut, die Sache ordentlich auf. Empört sperrt ihr Vater sie in den Weinkeller und schickt einen Mordbuben, um den unliebsamen Einfluss auf seine Tochter aus dem Weg zu räumen. Der finstere Geselle kann die Kleine zwar entführen, fällt aber einem Hai zum Opfer, während ein mysteriöser Papagei namens Pepper Dice der Piratenbraut zu Hilfe eilt, sich in einen Fisch verwandelt und gemeinsam mit der jungen Dame auf dem Grund des Ozeans Hinweise auf den Verbleib des Vater sucht. Neben ein paar streitsüchtigen Schwertfischen in Ritterrüstung finden die beiden tatsächlich eine Spur und tauchen beim Piratenschiff Carrion wieder auf. Dort residiert allerdings nicht der liebe Vater, sondern Kapitän Holly, der die Piratenbraut gefangen nimmt und in die Kombüse steckt. Hier lernt sie den Schiffskoch Jacob kennen, der ihr verrät, dass von den ursprünglich fünf Piratenschiffen auf der Omertá nur noch vier übrig sind. Die wackere junge Dame weigert sich zu glauben, dass ihr Vater nicht mehr unter den Lebenden weilt, inszeniert virtuos eine abenteuerliche Flucht und macht sich auf in Richtung nächstes Schiff, immer auf der Suche nach ihrem ersehnten Ziel…

Der US-Künstler Jeremy A. Bastian legt mit seinem „Cursed Pirate Girl“, so der Originaltitel, eine wilde Fahrt durch Literatur-, Film- und Kunstgeschichte vor, die es in sich hat: Wie in einem klassischen Piratenfilm gibt es Schatzkarten, versteckte Schlüssel, das „x“ markiert manchmal eben doch den relevanten Punkt, der Papagei radebrecht durchaus passable Menschensprache, die Buddel voll Rum kreist, und der dekadente, obrigkeitshörige Gouverneur beherrscht die Hafeninsel voller Willkür. So weit, so Errol Flynn. Dazu mischt Bastian aber eine gehörige Prise Astrid Lindgren: Die Piratenbraut lebt wie eine gewisse Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf gegen jede Konvention selbstbestimmt alleine und träumt davon, ihren Vater auf seinen sagenumwobenen Fahrten zu begleiten. Auf dem Weg dorthin verlassen wir zunehmend die Realität und tauchen in eine märchenhafte Traumwelt ein, in der Papageien in Fische schlüpfen, Piraten aussehen wie große Kartoffeln, Sägefische wie gestandene Ritter gegeneinander antreten, groteske Fabelwesen allgegenwärtig sind und man unter Wasser bestens atmen kann.

Hier geben sich also Jules Verne und George Méliès die gegenseitige kreative Ehre, was sich dann auch in der zeichnerischen Gestaltung niederschlägt: Wie die Kupferstiche der viktorianischen illustrierten Romane kommen die Zeichnungen Bastians daher, die mit Stift und Pinsel auf dreilagiges Pergamentpapier aufgebracht werden, was die unwirklich-fantastische Note des Geschehens optisch wunderbar unterstreicht. Dazu kommen dann noch symbolisch-überhöhte Zwischenepisoden, die den Leser zwar manchmal etwas ratlos hinterlassen, aber andererseits zur Faszination dieses wunderbar einfallsreichen Spiels mit Motiven und Handlungsbögen beitragen. Ein Piratenmärchen für Erwachsene also, das mit Band 1 einen verheißungsvollen, durch einen Anhang mit Skizzen u. a. von Mike Mignola und Scott Schulman ergänzten Anfang nimmt.

Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.

Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben dem Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.