Frank Kitchen ist ein ganz harter Hund. Ein Auftragskiller, der nicht fragt, sondern seine Jobs ausführt, unauffällig und zuverlässig. Wie zum Beispiel den gefeierten Modemacher Sebastian, den Frank nach einer Fashion Show in New York emotionslos umlegt. Sein Auftraggeber Charles Gleason scheint wie stets zufrieden mit ihm, gemeinsam mit dem Totschläger Jin Tao treffen sie sich mit Frank in San Francisco und geben ihm gleich den nächsten Job. Der lässt allerdings ein wenig auf sich warten, weshalb Frank sich in einer Bar die Zeit vertreibt und dort Johnny aufgabelt, eine Krankenschwester, die keine Lust auf lange Vorreden hat, sondern ihn mit klarer Ansage (Spaß, sonst nichts) mit nach Hause nimmt. Trotzdem lässt sie Frank ihre Nummer da, nur für alle Fälle, versteht sich. Frank hat allerdings bald andere Probleme: in seiner Wohnung warten schon Jin Tao und seine Spießgesellen auf ihn und knallen ihn nieder. Irgendwann erwacht der schwer verletzte Frank in einem verlassenen Zimmer, bandagiert, bei ihm nur ein Diktiergerät. Beim Blick in den Spiegel wird Frank klar, dass man mit ihm ein ganz besonders Spiel veranstaltet: anstelle des Killertypen schaut ihn da nämlich eine durchaus heiße Dame an, an der auch anderweitig alle weiblichen Attribute vorhanden sind. Eine mysteriöse Ärztin erklärt ihm per Band, das sei ihre ganz persönliche Form der Rache: anstelle ihn einfach zu töten, habe sie dafür gesorgt, dass er sein Dasein nun als Frau zu fristen habe. Frank stürzt in eine massive Krise, landet erst in der Gosse und dann in einem Kirchenasyl, bevor er/sie sich wieder zusammenrappelt und bei der staunenden Johnny unterkommt, die die Wahnsinnsgeschichte überraschend leicht abkauft. Konsequent räumt die Braut formerly known as Frank nun in Gleasons Organisation auf, legt einen Handlanger nach dem anderen um und tastet sich immer näher an den Kern der mysteriösen Vorgänge heran…
Nach „Querschläger“ (Splitter) legt Walter Hill gemeinsam mit Jef und Matz num mit „Tomboy“ bereits seit zweites Comic-Script vor, das erneut eindeutig seine Handschrift trägt. Hill, der mit seinen Regiearbeiten vor allem das Action-Kino der frühen 80er Jahre prägte und dabei nicht zuletzt das Genre des Buddy-Movies definierte (Nur 48 Stunden, Red Heat), setzt dabei eine klassische film noir-Konstellation in ein perfide verdrehtes Szenario. Der Antiheld Kitchen wird dabei nach klassischer Thriller-Manier von seinen Auftraggebern hintergangen, vermeintlich tot zurückgelassen und setzt sich mit neuer Identität auf ihre Fersen, um sie einen nach dem anderen zur Rechenschaft zu ziehen – das hat uns schon Mel Gibson in Payback (und vor ihm Lee Marvin in Point Blank) vorgemacht. Auch die Rückkehr in neuer Gestalt schöpft Hill aus der reichen noir-Filmhistorie, nicht zuletzt Humphrey Bogart steht hier Pate, der in „Dark Passage“ nach einer Gesichtsoperation auf die Suche nach den Mördern seiner Frau geht. Die deformierten Gestalten, das durchweg negative Bild einer Gesellschaft voller Verbrechen, Gewalt, Lügen und Betrug sowie durchgängiger Einsamkeit der Figuren (Kitchen gesteht sich ein, Johnny sei die erste Person, der er überhaupt irgendwelche Gefühle entgegenbringe) stehen ebenso im Gefolge der Welten eines Raymond Chandler wie der innere Monolog Franks.
Der anschließende Rachefeldzug Kitchens allerdings wirkt dann eher wie eine Mischung aus der düsteren Ausspielen zweiter Gangsterseiten in Hills eigenem Last Man Standing und der erbitterten Vendetta des Punishers Frank Castle wirkt, der schon im Namen des Protagonisten mitschwingt. Im zentralen Konzept des geschlechtlichen Seitenwechsels allerdings bringt Hill dann eine aufregend neue Note ins Geschehen: die durchgeknallte Ärztin macht an wehrlosen Opfern, nach denen keiner fragt (Obdachlose, Prostituierte), ihre grausamen Experimente – Viktor Frankenstein lässt grüßen und geht hier mit Hannibal Lecter eine unheilvolle Liaison ein. Ganz nebenbei lernt Kitchen in seinem neuen Körper allerdings auch, mit welchen Anfeindungen, Sexismen und Gewaltattacken Frauen tagtäglich konfrontiert sind – und eben darin entdeckt er nach den blutigen Ereignissen seinen neues Lebensinhalt: mit einem ruppig anpassenden Feminismus der tödlichen Art dreht sie den Spieß um, ganz ohne dass hier moralingeschwängert die Läuterung eines Machos vorgeführt werden müsste. Trefflich fürs Comic adaptiert von Matz und opulent gezeichnet von Jef bietet Tomboy einen alptraumhaften Fieberrausch der Rache: überwiegend großformatige, pastellgetönte Panels, explizite neben ebenso explizierter Erotik (die aber immer geschmackvoll bleibt), so bestürmt uns dieser großformatige, schön eingerichtete Band, der sogar einen kleinen optischen Gag bereithält: als Frank die Straße überquert, marschieren im vier bärtige Gestalten in Anzügen und ohne Schuhe entgegen – die Beatles in der Abbey Road. Ein kleines Augenzwinkern, das einen kleinen comic relief bringt, als die Ereignisse dem Höhepunkt entgegenlaufen.
Walter Hill, Matz, Jef: Tomboy. Splitter, Bielefeld 2016. 128 Seiten, € 24,80