Was vom Verstand übrig bleibt – „Berge des Wahnsinns“

Ende 1930 verlässt eine bestens ausgerüstete Expedition mit zwei Schiffen den Hafen von Boston. Ihr Ziel: die Antarktis. Ihre ambitionierte Mission: dem noch weitgehend unbekannten Kontinent seine letzten Geheimnisse zu entreißen. An Bord sind Wissenschaftler und Gelehrte, von denen Professor Dyer die Leitung innehat. Die Reise verläuft problemlos und nach der Ankunft auf der Ross-Insel in Antarktika baut die Mannschaft die Flugzeuge zusammen, die die Reichweite der Forscher signifikant erhöhen sollen. Mit einem neuartigen Bohrer werden aus der Tiefe Gesteinsproben entnommen. Darunter entdeckt der Biologe Professor Lake Proben mit einem seltsamen Streifenmuster, das er als organischen Ursprung deutet. Lake findet ähnliche Proben und setzt schließlich eine eigene „Untermission“ durch, getrieben von einer Mischung aus Wissensdurst und falschem Ehrgeiz. Mit zwei Flugzeugen und eigener Mannschaft sucht er 300 Meilen vom Basislager weiter und entdeckt zuerst ein schroffes, schwarzes Gebirge und anschließend eine Höhle, in der die Überreste einer bisher gänzlich unbekannten Spezies liegen.

Gou Tanabe (Autor und Zeichner): „Berge des Wahnsinns 1“.
Aus dem Japanischen von Jens Ossa. Carlsen, Hamburg 2020. 296 Seiten. 18 Euro

Nach „Der Hund und andere Geschichten“ und „Die Farbe aus dem All“ steigert sich der Mangaka Gou Tanabe kontinuierlich, (nicht nur) was die Länge der Lovecraft-Vorlagen betrifft, und adaptiert nun in zwei Bänden mit „At the Mountains of Madness“ einen Roman des Autors, in dem sich Horror und Science Fiction kreuzen. Bereits 1931 erschienen, aber erst 1936 als Fortsetzungsroman in „Astounding Stories“ veröffentlicht, führt uns der Schauplatz weg von Neuengland in die Antarktis mit dem recht diffusen Expeditionsziel, dieser Eiswelt ihre letzten Geheimnisse abzutrotzen. So kartographiert, bohrt und sprengt man fröhlich vor sich hin, bis Professor Lake, der aussieht wie der Evil Twin von Bendict Cumberbatchs Sherlock, seine vermeintlich bahnbrechende Entdeckung macht und fortan nicht lockerlässt. Dass spätestens ab jetzt Unheil dräut, ist klar und weiß man auch – schließlich hat man es hier mit Lovecraft zu tun – und bekannte Begriffe, die in den Dialogen fallen, wie das Necronomicon, das Plateau von Leng oder der Cthulhu-Mythos verdichten die Spannung, die Tanabe hier äußerst gelungen immer weiter anwachsen lässt.

Close-ups vielsagender Blicke, entsetzter Gesichter oder sorgenvoller Mienen stehen dabei zunächst im Kontrast zu der menschenfeindlichen weißen Umgebung, dann zu dem schroffen, titelgebenden schwarzen Gebirge und schließlich zu den uralten, fremden Lebensformen, die Lake sezieren will und damit unwissentlich eine Katastrophe heraufbeschwört. Denn als ein heftiger Sturm aufzieht, bricht der Kontakt zum Lake-Camp ab, und als Professor Dyer dort schließlich eintrifft, kann er sich die verheerenden Verwüstungen an Mensch, Tier und Material nicht erklären.

Gou Tanabe nimmt sich viel Zeit bei der Story und dehnt den Spannungsbogen sukzessive. Als der Sturm hereinbricht, meint man fast den tosenden Wind als Vorboten der nahen Katastrophe zu spüren. Das schwarze Gebirge ist verschlungen und zerklüftet visualisiert, mit schroffen Zacken und Gipfeln, fast kristallin, was die Berge in Mordor wie Hügel aussehen lässt. Für die filigran gezeichneten Darstellungen könnte man sich gerne ein größeres Format vorstellen. Band 2, in dem hinsichtlich des Cthulhu-Mythos so einiges ans Licht kommen wird, erscheint Ende Oktober. Wir sind dabei.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.

Panel aus „Berge des Wahnsinns 1“ (Carlsen)