„Gespenster Geschichten“ – Teil 1 Oder: Wie wird man Comicautor?

Seit 1977 schrieb der Schriftsteller und Comicautor Peter Mennigen zunächst deutsche Geschichten für Comicreihen wie „Gespenster Geschichten“, „Spuk Geschichten“, „Conny“, „Biggi“, „Vanessa“, „Felix“, „Lasso“, „Phantom“, „Axel F.“ und zahlreiche weitere Serien des Bastei Verlags. Ab den 90er Jahren arbeitete er für andere Verlage wie Egmont (Disney-Magazine), Panini (Jessy, Sternentänzer, Willi will‘s wissen) und Ravensburger (u.a. Fix und Foxi). In dieser Zeit verfasste er auch internationale Comics: „Lucky Luke“, „Schlümpfe“, „Bessy“ und „Isnogud“. Aktuell arbeitet er zusammen mit Ingo Römling an der Mystery-Steampunk-Serie „Malcolm Max“. Für comic.de blickt er in unregelmäßigen Abständen zurück auf seine Arbeit im deutschen Comicverlagsgeschäft.

Hier findet sich der 2. Teil zu „Gespenster Geschichten“.

Das Jahr 1977 sollte für meine berufliche Laufbahn einen wichtigen Wendepunkt markieren. Im Frühsommer schickte ich eine Mappe mit Illustrationen an den Kauka Verlag, um mich als „Fix & Foxi“-Zeichner zu bewerben. Doch dieser Traum platzte noch in derselben Woche. Statt einer Zusage erhielt ich die Rücksendung der Zeichnungen nebst einem Ablehnungsschreiben. Kauka hatte Studios aus Italien und Spanien unter Vertrag, die das Artwork lieferten. An einer Zusammenarbeit mit anderen Zeichnern bestand daher kein Interesse. Manfred Klinke, dem damaligen Chefredakteur von Kauka, gefielen jedoch meine Geschichten. Deswegen lud er mich in den Verlag nach München ein, wo er mir einen Job als Comicautor anbot. Allerdings verließ Manfred Klinke den Verlag nur wenige Wochen später. Sein Nachfolger beabsichtigte „Fix & Foxi“ künftig in den Studios schreiben zu lassen, die die Storys zeichneten.

Außer Kauka produzierte seinerzeit kein anderer deutscher Verlag eigene Comics. Aufgrund der damit verbundenen Perspektivlosigkeit stand ich karrieremäßig quasi vor dem Aus. Einen „Berufsplan B“ hatte ich nicht. Als vage Option blieb noch der Bastei Verlag in Bergisch Gladbach, einer Kleinstadt nahe Köln, etwa sechzig Kilometer von meinem Wohnort entfernt. Bastei veröffentlichte zwar eine Palette sehr erfolgreicher Comics, aber das waren alles Lizenzprodukte wie z.B. „Bessy“ (Studio Vandersteen) oder die seit März 1974 publizierten „Gespenster Geschichten“ mit Nachdrucken diverser amerikanischer Horror-Comics.

Obwohl ich meine Erfolgsaussichten nach der Negativerfahrung bei Kauka auf nahe Null einschätzte, riskierte ich einen Schuss ins Blaue. In einem formlosen Schreiben an Manfred Soder, dem Chefredakteur der Bastei Jugendredaktion, bewarb ich mich als Comic-Autor. Drei Wochen wartete ich vergeblich auf Antwort. Eigentlich hatte ich die Sache schon zu den Akten gelegt, aber eine innere Stimme drängte mich, mir die Absage bestätigen zu lassen.

„Gespenster Geschichten“, Ausgabe 500, Artwork: Ugurcan Yüce

Also rief ich Manfred Soder an. Statt mit dem Chefredakteur verband mich die Telefonistin von Bastei jedoch mit einem Redakteur der Jugendredaktion: Werner Geismar. Zu meiner Überraschung wusste er sofort, wer ich war und wunderte sich, weshalb ich mich erst jetzt meldete. Man habe mir bereits vor zwei Wochen eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch geschickt. Offensichtlich war der Brief auf dem Postweg verloren gegangen, weshalb wir einen neuen Termin für den nächsten Freitag vereinbarten.

Es war ein dunkler, regnerischer Sommertag, als ich zum ersten Mal einen Fuß in das Bastei Verlagsgebäude setzte, ohne recht zu wissen, was mich dort erwartete. Werner Geismar empfing mich in seinem Büro, als seien wir alte Bekannte. Wir waren vom ersten Moment an auf derselben Wellenlänge und redeten in den folgenden Stunden über nichts als Comics. Wobei ich – in meiner jugendlichen Überheblichkeit und Ahnungslosigkeit, was die Produktion von Comics betraf – zu wissen glaubte, wie man gute Comics macht. „Blueberry“, „Andy Morgan“, „Bruno Brazil“, „Comanche“ hießen meine damaligen Vorbilder. Was Bastei produzierte, war in meinen Augen eher zweite Wahl.

Der Zahn wurde mir schnell gezogen, nachdem ich nähere Einblicke in die Tätigkeiten hinter den Kulissen bei Bastei erhielt. Spätestens als ich an meiner Schreibmaschine vor einem leeren Blatt Papier saß und meinen ersten Comic schreiben sollte, erkannte ich, wie viel mehr Arbeit hinter jedem Heft steckte. Serien wie „Lasso“ oder „Silberpfeil“ mochten vielleicht kein „Blueberry“ sein, trotzdem setzte die Jugendredaktion bei den Storys strenge Qualitätsmaßstäbe an, die man beim Schreiben einhalten musste.

Bevor mein erster Besuch in der Jugendredaktion endete, zeigte mir Werner Geismar die Verlagsräume und stellte mich einigen Redakteuren vor. Als erste lernte ich Kurt Köppe und Ewald Fehlau kennen, die sich ein Büro teilten. Kurt Köppe betreute später zahllose meiner „Bessy“-Geschichten redaktionell. Ewald Fehlau war für die „Gespenster Geschichten“ verantwortlich. Für ihn und mich war es an dem Tag der Beginn einer sehr langen, sehr intensiven und sehr freundschaftlichen Zusammenarbeit (auch bei anderen Serien wie „Spuk Geschichten“, „Geister Geschichten“, „Axel F.“).

Inzwischen ging es auf Feierabend zu und ich hatte mit Werner Geismar noch kein einziges Wort über einen möglichen Job bei Bastei gewechselt. Als wir uns verabschiedeten, drückte er mir einen Umschlag mit Schwarzweiß-Abzügen amerikanischer Horror-Geschichten in die Hand, die in „Gespenster Geschichten“ erscheinen würden. Die Zeichnungen waren auf dickem Fotopapier kopiert. Sämtliche Sprechblasen und Textboxen waren leer, obwohl es im Original natürlich englische Texte gab. Aber ich sollte mir eigene Texte ausdenken. Was wohl als Test gedacht war, ob ich mich für den Job überhaupt eignete.

Story von Peter Mennigen aus Ausgabe 500, Artwork: Cesar Spadari

Offenbar tat ich es, denn in den kommenden Monaten erhielt ich regelmäßig amerikanisches Material zum Texten, bis ich im Herbst einen Anruf von Werner Geismar bekam, der sowohl für mich als auch die Jugendredaktion einschneidende Veränderungen nach sich zog. Da das Comicmaterial aus den USA inzwischen knapp wurde, stand man bei Bastei vor der Wahl: Entweder stellte man den Verkauf der „Gespenster Geschichten“ von wöchentlich auf monatlich um, oder Bastei produzierte die Comics selbst. Man entschied sich für die zweite Option und suchte nun Autoren für das Projekt.

Ich sollte auch einige Exposés dafür beisteuern. Davon ausgehend, dass gleichzeitig zahlreiche gestandene Bastei-Autoren an den Gespenster-Comics arbeiteten, hielt ich mich als „der Neue“ im Team mit der Menge an Geschichten noch etwas zurück. Ich schrieb vier Exposés, schickte die zum Verlag und erhielt sie alle wenige Tage später – mit einigen kleinen Anmerkungen und Änderungswünschen versehen – genehmigt zurück. Nachdem ich die Geschichten als Skripte ausgearbeitet und zum Verlag gesandt hatte, wartete ich vierzehn Tage, ehe ich die nächsten vier Exposés an Bastei verschickte.

So lief das einige Wochen bis Werner Geismar anfragte, ob ich meinen „Ausstoß“ nicht etwas erhöhen könnte. Wie es aussah, wurden die übrigen selbstproduzierten „Gespenster Geschichten damals von Ewald Fehlau und Werner Geismar geschrieben. Und die waren mit ihrer redaktionellen Arbeit sowieso schon ausgelastet. Zumal der Bedarf an eigenen Storys kontinuierlich zunahm, weil man die Veröffentlichung von amerikanischem Linzenzmaterial drosselte und schließlich ganz eingestellt.

Nach dem Telefonat mit Werner Geismar schrieb ich jede Woche Exposés für ein komplettes Gespenster-Heft plus zwei Ersatzgeschichten, für den Fall, dass der Redaktion einer meiner anderen Vorschläge missfiel. Jedes Gespenster-Heft beinhaltete eine längere und meist vier kürzere Geschichten. Wobei ich die Genres und die Epochen der Handlungen mischte, sodass ein unterhaltsamer und abwechslungsreicher Mix entstand. Bei einem Umfang zwischen vier bis maximal sieben Seiten pro Comic brauchte ich mich dabei nicht mit Nebensächlichkeiten aufzuhalten. Die Geschichten kamen ohne Umschweife sofort zur Sache und endeten idealerweise mit einem für den Leser unerwarteten Schluss.

„Gespenster Geschichten“, Ausgabe 503, Artwork: Ugurcan Yüce

Etwas Besseres als „Gespenster Geschichten“ konnte einem Neuling wie mir nicht passieren. Zum einen waren die Storys kurz, gradlinig und relativ simpel gestrickt, sodass sie keine allzu große Herausforderung an meine noch nicht sehr ausgeprägten schriftstellerischen Fähigkeiten stellten. Zum anderen konnte ich bei den kurzen Comics mit Genres, Storyaufbau und Dramaturgie experimentieren und so mittels der guten, alten „Learning-by-doing“-Methode enorm viel lernen.

Werner Geismar und Ewald Fehlau ließen mir beim Schreiben totalen Freiraum. Einzige Einschränkungen waren: keine Brutalitäten, kein Blut und kein Sex (erst ab Mitte der Achtziger wurden die Geschichten freizügiger). Hintergrund der Beschränkungen war die Angst vor einer möglichen Indizierung durch die BPjS, der „Bunderprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“, die seinerzeit rigider agierte als heutzutage. Schließlich sollten „Gespenster Geschichten“ ohne Altersbegrenzung verkauft werden können. Zielgruppe waren eigentlich Kinder von sechs bis zwölf Jahren. Wie sich jedoch herausstellte, wurden die Comics zu fast fünfzig Prozent von älteren Jugendlichen und Erwachsenen gelesen. Trotz aller Einschränkungen kamen die Comics oftmals richtig böse und zynisch daher. Nicht selten besiegte am Schluss nicht der Held das Böse, sondern das Böse triumphierte über das Gute. Das Artwork lieferten in der Hauptsache renommierte Zeichner der Studios Ortega (Spanien), Spadari (Argentinien), Norma (Spanien) und Giolitti (Italien).

Die große Frage lautete nun: Wie würde die Leserschaft auf das Experiment mit den selbstproduzierten Geschichten reagieren? Dank moderner Computertechnik kann man heute die Abverkäufe relativ schnell einsehen. Damals dauerte es in der Regel sechs Hefte lang, ehe die ersten verlässlichen Verkaufszahlen auf dem Tisch lagen. Die Spannung während dieser „Wochen der Ungewissheit“ war entsprechend groß. Umso größer war die Erleichterung, dass sich an den Verkaufszahlen nach Umstellung zu Eigenproduktionen nichts änderte. Im Laufe der kommenden Monate stiegen die Verkaufszahlen sogar an. Das ermutigte die Jugendredaktion dazu, weitere Lizenzserien selbst zu produzieren.

Story von Peter Mennigen aus Ausgabe 503, Artwork: Tomas Marco Nadal

Als nächstes übernahm ich die Zweitgeschichten des großformatigen „Phantom“-Heftes. Damit ich mich ganz auf das Verfassen der Skripte konzentrieren konnte, reduzierte ich allmählich das Schreiben der schnörkellosen Sprechblasentexte. Das übernahm nun Hajo F. Breuer. In Bezug auf unsere Credits tat sich Bastei immer schwer. Es war schon erstaunlich, dass in den „Gespenster Geschichten“ die Zeichner genannt wurden. Erst als in der Mitte der 1980er Jahre neben mir auch andere Schreiber „Gespenster Geschichten“ zu verfassen begannen, fanden die Autoren und Sprechblasentexter ebenfalls namentliche Erwähnung unter jedem Comic.

Nachdem immer mehr Serien in meine Verantwortung fielen und ich dabei die zwei wichtigsten Kriterien eines Comicautors erfüllte – nämlich verwertbare Geschichten liefern und gnadenlos jede Deadline einhalten – lud mich Werner Geismar zu einem Meeting in den Verlag ein. Dort trommelte er dann sämtliche Redakteure in seinem Büro zusammen und verkündete, dass ich alleiniger Autor aller selbstproduzierten Serien der Jugendredaktion sei. Was ich de facto – wie ich anhand meiner genehmigten Skripte leicht erkennen konnte – eigentlich schon war. Trotzdem empfand ich die offizielle Bestätigung meines Status als eine nette Anerkennung meiner Arbeit.

Ausgabe 608, Artwork: Ugurcan Yüce


Story von Peter Mennigen in Ausgabe 608, Artwork: Andres Balcells


Ausgabe 642, Artwork: Ugurcan Yüce


Story von Peter Mennigen in Ausgabe 642, Artwork: Perez


Ausgabe 654, Artwork: Ugurcan Yüce


Story von Peter Mennigen in Ausgabe 654, Artwork: Prunés


Ausgabe 705


Story von Peter Mennigen in Ausgabe 705, Artwork: Sunol


Ausgabe 732


Story von Peter Mennigen in Ausgabe 732, Artwork: Studio Norma