Alte Männer danken ab – Re-/Generationswechsel im Popkultur-Refugium – „Logan: The Wolverine“

Bild © 20th Century Fox

Wie der zweite ist auch der dritte Wolverine-Standalone von einem Regisseur, der wie ein Gemüse heißt, sich an gore aber nicht satt sehen kann. War es James Mangold in „The Wolverine“ (2013) aufgrund des PG-13-Ratings nicht möglich, seine Gelüste gar so arg auszuleben, darf er es diesmal umso mehr. Dass animalische Wutausbrüche in Kombination mit Metallkrallen und Unverwüstlichkeit ein Gemetzel veranstalten, das sich nun auch explizit auf der Leinwand in allen brutalen Details präsentiert, ist bestimmt zum Teil auf den Erfolg von „Deadpool“ im Jahr zuvor zurückzuführen. Nach dem Nolanschen dark & gritty und der Whedonschen Schmunzel-Ironie kann – und im weiteren Verlauf wohl auch: muss – Comicblockbuster nun also auch „John Rambo“ (2008). An den erinnert nicht allein der simpel gehaltene Titel: der body count in „Logan“ ist ähnlich hoch wie der body des Actionstars arg ramponiert. Hugh Jackmann (in Liebhaberkreisen auch huge jacked man genannt), der den titelgebenden X-Mann spielt und hier ein bisschen so aussieht wie das wandelnde R-Rating Mel Gibson, hat, ähnlich wie Stallones Mordmaschine, genug vom Kampf, der ohnehin schon verloren ist. Ein Leben an der Front beschädigt, und das sieht man dem Körper des Wolverine an: übersät von Narben ist klar, dass seine Mutantenkräfte sich im Schwinden befinden. Weder haut es mit der Regeneration mehr so richtig hin noch mit den Adamantiumklingen, die er manchmal nur zur Hälfte ausfahren kann. Der Verlust seiner Virilität und die drohende Impotenz legen nahe, dass nicht nur er, sondern sein Typus den Zenit bereits überschritten hat.

Nichts anderes gilt für Professor X, den der schleichende Wahnsinn in Form der Demenz plagt. Seine immensen geistigen Fähigkeiten werden durch die Krankheit unkontrollierbar und er von der Regierung als Weapon of Mass Destruction eingestuft. Ein Grund, warum er sich verstecken und seine gemütliche School for Gifted Youngsters gegen einen ausrangierten, verrosteten Wasserturm in der mexikanischen Wüste tauschen muss (der nicht zufällig an die Reste des sphärischen Kräftemultiplikators namens Cerebro erinnert). Dort wird er von Logan mit Medikamenten versorgt und von einem in der Erscheinung stark an Nosferatu erinnernden Mutanten, der noch dazu allergisch gegen Sonnenlicht ist, sorgsam aber genervt umhegt.

Das prekäre Dasein in der schrulligen assisted living-WG und das Ruinen-Setting lassen schon erahnen, in welcher Zeit „Logan“ angesiedelt ist: Nein, nicht heute, wo immer mehr Menschen weder fähig noch finanzstark genug dazu sind, alleine zu wohnen, sondern recht weit nach dem letzten X-Men-Film, also nach der Apocalypse. Als drohende ermöglichte sie im insgesamt neunten Ableger des Franchise das Bündnis zweier rivalisierender Parteien, als bereits passierte hat sie im zehnten jeglichen Zusammenschluss gesprengt. Im größeren Stil wäre eine solche Allianz ohnehin nicht mehr möglich, denn so wie die Kraft der Alten schwindet auch die Mutantenpopulation insgesamt. Aber eine neue kommt nach, diesmal im Labor gezüchtet. Als sich die Kids aber zu störrisch geben, wechselt der Konzern, der sie als biologische Waffen zum Einsatz zu bringen beabsichtigte, gleich ins Klon-Business, was heißt, die fehlgeschlagenen Experimente mit zu viel Eigensinn wieder abzubrechen. Dem Tod entronnen, findet sich ein Retortenmutanten-Mädchen, das dieselben Fähigkeiten wie Wolverine und sogar ein Adamantiumskelett besitzt, in seiner Obhut wieder. Gemeinsam mit Prof. X brechen sie, stets auf der Hut vor ihren Verfolgern, auf Richtung Norden, wo es ein Freakrefugium namens Eden geben soll.

Das kennt das Mädel nur aus (noch dazu X-Men-)Comics, die hier als Medium der Wahrheitsfindung so explizit ins Bild kommen wie spritzendes Blut, abgetrennte Extremitäten, klaffende Wunden sowie Körper und Gesellschaft im Zerfall. Wie die X-Men-Filme bisher wartet also auch „Logan“ mit allerlei Allegorischem auf: verstoßene Aliens auf der Suche nach einem safe space up north, fliehend vor marodierenden Mordbanden in einer wüsten Welt, auf der es keinen Platz mehr für sie zu geben scheint, außer die Scheinidylle, die sie aus der Popkultur kennen, wie wir auch ass kickende Hit-Girls und von Comics inspirierte Möchtegernhelden. The nerds may have already inherited the world, die woke youngsters sind gerade erst dabei.

Das Ermüden des der Regenerationsfähigkeit der Zivilisation tendenziell zuträglichen Antagonismus zwischen zum Beispiel konfrontationssüchtigen Radikalinskis und pazifistischen Reformisten gebiert eine postapokalyptische Gesellschaft, die bereits in balkanisierte Gemeinschaften zerfallen ist, und in der allein die größere Niederträchtigkeit über Sieg und Niederlage, mittlerweile nur mehr ein Scheindualismus, entscheidet. Das fängt „Logan“ so prägnant und zwiespältig zugleich ein, wie er viele virtuos inszenierte und choreographierter Bilder für das Falsche im Falschen findet, das dafür noch lange kein Richtiges ergibt. Gegen Gewalt scheint nur noch Gegengewalt zu helfen, wogegen sich die Alten mit nostalgischen Verklärungen und die Jungen durch Einsatz von hippen Insignien der Kultur helfen. Dass es abseits von Slacktivisten und professionellen Begriffsverwirrern tatsächlich noch Menschen gibt, die sich nicht aussuchen können, ob sie nun böse Wörter und Bilder hören bzw. sehen oder sich in böser Absicht vor den Kopf knallen wollen, sondern ums Überleben kämpfen, davon gibt der Film so sehr eine Ahnung wie davon, dass Nomadentum oder prekäres Hausen in der Zwangsgemeinschaft für die meisten keine bloße Option im Lifestyle-Katalog ist.

Gleich vieler Wunden bleibt auch „Logans“ Ende offen; das Grab am Kreuz wird zum X, den Glauben an Gott und Jenseits will er ersetzt wissen durch einen an Pop und Diesseits. Anstatt allerdings eine frohe Botschaft zu verkünden, lässt er in Schwebe, ob es für Errettung nicht vielleicht schon zu spät ist. Das Franchise braucht diese nicht, zeigen allerlei geplante Spin-offs und Fortsetzungen von „X-Men: The New Mutants“ bis zum siebten Hauptfilm doch an, dass der Kampf auf der Leinwand noch lange nicht vorbei ist.

Dieser Text erschien zuerst auf: filmgazette.de

Logan
(Logan: The Wolverine)
USA 2017 – 137 min.

Regie: James Mangold – Drehbuch: Michael Green, David James Kelly – Produktion: Simon Kinberg, Hutch Parker, Lauren Shuler Donner – Kamera: John Mathieson – Schnitt: Michael McCusker – Musik: Cliff Martinez – Verleih: 20th Century Fox – FSK: ab 16 Jahren – Besetzung: Hugh Jackman, Patrick Stewart, Elizabeth Rodriguez, Boyd Holbrook, Stephen Merchant, Doris Morgado
Kinostart (D): 02.03.2017

David Auer ist gelegentlicher Filmkritiker. Hauptsächlich findet man seine Texte – meist über Blockbuster und Horror – im Wiener Stadtmagazin Falter, manchmal in der Filmzeitschrift kolik.film und auch auf filmgazette.de.