Comic-Salon Erlangen 2018 – Angoulême in Bayern

Internationaler Comic-Salon Erlangen – Foto: Erich Malter, 2018

Eigentlich sind wir ja deutlich zu alt zum Zelten, das haben wir früher gemacht, und schon da doch eher ungern. Insofern sahen wir der diesjährigen großen Ausspielung in Erlangen durchaus gespannt entgegen, stand doch der übliche Austragungsort – die Heinrich-Lades-Halle – wegen dringend notweniger Sanierung nicht zur Verfügung. Von Zelten als Heimstatt des mittlerweile 18. (!) Comic-Salons war im Vorfeld die Rede – wie das wohl gehen sollte, fragte man sich. Und um die größte Überraschung des Hauptevents für alle Comicfreunde gleich vorwegzunehmen: Aus der vermeintlichen Not wurde nicht nur eine Tugend, sondern eines der absoluten Festival-Highlights. Durch die Platzierung mitten in der Stadt direkt auf und um dem Schlossplatz ergab sich nämlich ein völlig neues Flair: Der Comic-Salon war plötzlich ins Stadtleben integriert, man konnte entspannt durch den nahegelegenen Schlossgarten flanieren, der mit Exponaten und Sitzgelegenheiten zum Verweilen einlud und nach der Brüllhitze des Donnerstags vor allem am angenehm temperierten Freitag und Samstag zum Publikumsmagnet avancierte.

Das klappte sogar so gut, dass man mit 30.000 Besuchern einen Rekord verzeichnen durfte – offenbar fühlten sich deutlich mehr Tages- und Zufallsgäste vom bunten Treiben in den Zelten angesprochen als in der doch etwas finsteren und vor allem deutlich entlegeneren Halle. Und noch ein weiteres Lob an die Organisatoren: Die Zelte waren allesamt weitgehend wirkungsvoll klimatisiert – nur an einigen neuralgischen Ecken wurde es einem zu warm ums Herz, aber mit den sinkenden Temperaturen ab Freitag fügte sich auch das zum Guten. Zumal die Zelte so stabil waren, dass am Donnerstagnachmittag auch der obligatorische Starkregentest mit Bravour gemeistert wurde. Und dass man das Hauptzelt kurzerhand um das Standbild des Universitätsgründers Friedrich Markgraf von Brandenburg Bayreuth herumgebaut hatte, verlieh dem Geschehen doch einen fast schon kulturgerechten Touch.

Das „Format“ passte somit bestens für die rund 200 Aussteller, die in den verschiedenen Zelten ihr Programm an den Mann und die Frau zu bringen suchten. Für die Sonntags-Feuilleton-Fraktion gab es die üblichen Leckerlis wie Themenschwerpunkte (dieses Mal die Comic-Reportage), Ausstellungen (unter anderem zum Titanic-Bierdeckel-Cartoon-Duo Greser & Lenz, Marc-Antoine Mathieu, Szenestar Jeff Lemire und dem umtriebigen Flix, dessen Spirou-Band leider nicht rechtzeitig zum Salon fertig wurde), Workshops und einem eigenen kleinen Comic Film Fest, im Rahmen dessen z. B. die aktuelle französische Realverfilmung von „Spirou und Fantasio“ zu sehen war (ein Blick ins Programmheft genügte hier dem einen oder anderen allerdings bereits). Gewohnt launig führte Hella von Sinnen durch das literarische Bildschriften-Quartett genannt Comic Talk, und auch der Max und Moritz-Preis wurde wieder festlich verliehen, wobei Reinhard Kleist die Trophäe für den besten deutschsprachigen Comic-Künstler abstaubte und auch „Die drei ??? – Das Dorf der Teufel“ von Ivar Leon Menger, John Beckmann und Christopher Tauber als bester Kindercomic punkten konnte (hier die vollständige Liste der Preisträger).

Jean-Claude Mézière mit Miguelanxo Prado (links)

So weit also zum offiziellen Teil – in der doch etwas sagen wir einmal fixierteren Fan-Fraktion wurde – ebenso wie immer – natürlich zum alljährlichen Halali auf die Dédicaces geblasen, die persönlich zugewidmeten Zeichnungen und Signaturen, die für den „harten Kern“ die eigentliche Motivation bieten, zu lauern, zu taktieren und sich in erster Linie stundenlang in Schlangen zu stellen (und damit anderen Leuten den Weg zu versperren, was der einzige Kritikpunkt an der Zeltkonstruktion war – in den Gängen ging es teilweise arg gedrängt zu, und sobald eine Warteschlange entsprang, war teilweise kein Durchkommen mehr). Wir versuchten hier unser Glück natürlich unter anderem bei einem der Grandseigneurs der Szene, dem man durchaus leidlichen Legendencharakter unterstellen darf: Jean-Claude Mézières gab sich die Ehre – ganz unter dem Motto: wenn man schon den Sonderpreis für ein herausragendes Lebenswerk einheimst, kann man sich auch mal halbstundenweise an den Carlsen-Stand setzen und ein paar Exemplare „Valerian und Veronique“ unterschreiben. Mehr war es nämlich leider nicht, es gab jeweils 30-Minuten-Slots und ausschließlich Signaturen, die meist sogar noch ausgewürfelt (!) wurden.

Etwas ergiebiger zeigte sich da schon Shooting Star Jeff Lemire (die Aussprache seines Nachnamens wurde unter uns weidlich diskutiert, bevor wir uns angesichts des deutlich amerikanischen Zungenschlags des Kanadiers auf Lemair einigten, im Gegensatz zur traditionellen „Stimme“ des Salons, die sich für die französische Variante entschied), der an allen Ständen herumgereicht wurde, bei denen er Veröffentlichungen vorzuweisen hat. Wir schnappten den Kollegen an der Splitter-Station, wo natürlich seine wunderbare Helden-Hommage „Black Hammer“ im Mittelpunkt stand. Klare Maßgabe: eine Zeichnung, Rest nur Signatur, und das in einer Geschwindigkeit, die sogar Hans Rosenthal nur noch mit Dalli Dalli bezeichnet hätte. Somit kam jeder Wartende irgendwann zu seinem Recht/Bild, was ja durchaus etwas für sich hat, wollen wir doch meinen. Besondere Standfestigkeit bedurfte es dann, wenn man in der wunderbaren neuen Disney-Edition „Micky und der verlorene Ozean“ eine Illustration aus der Feder von Silvio Camboni erhaschen wollte: Bei Ehapa stapelten sich schon früh morgens die hungrigen Jäger, deren Warten allerdings durch wunderbare Mickys oder – manch einer war etwas origineller in seinen Wünschen – auch Goofys entlohnt wurde.

Jérôme Lereculey

Ähnlich beharrlich zu sein hieß es bei Jérôme Lereculey, der in gewohnt höflich-freundlicher Manier in Jesus-Frisur seinen „Wollodrin“ verzierte, oder auch bei Rick Master-Zeichner Simon van Liemt, dessen erste Signierstunde aufgrund höherer Gewalt in Form von Flugverspätung entfallen musste, aber am Folgetag umso beherzter nachgeholt wurde, wobei wir uns mit dem Meister trefflich über die unterschiedlichen Namensgebungen des Helden unterhielten (im Original heißt der blonde Ermittler bekanntlich Ric Hochet, ein feines Wortspiel, das wir bei der deutschen Benennung leider nicht bestätigen konnten). Von der schnellen Truppe zeigte sich auch der uns von unserem Interview in München bestens bekannte Enrico Marini, der bei Panini (neben dem allgegenwärtigen Mike Perkins mit den üblichen Würfelspielen) seine Batman-Story „Der dunkle Prinz“ signierte (Zeichnungen gab‘s leider keine) und dabei so schnell war, dass sogar mehr Schlachtenbummler zum Zuge kamen als geplant. Bei der generalstabsmäßigen Logistik auch kein Wunder: Für alle, die eine persönliche Widmung in die Variant-Ausgabe wünschten, hielt man einen eigenen Stapel bereit, auf dem das obligatorische „Für“ schon eingetragen war. So spart man wertvolle Sekunden – Henry Ford wäre stolz gewesen.

Um dem bunten Treiben aus kuriosen Beinkleidern, verwegenen Frisuren und grenzwertigem Schuhwerk ordnungsgemäß zu begegnen, gönnten wir uns bisweilen ein kleines Getränk der Gastronomie, das wir in immer erfindungsreicheren Variationen benannten und somit teilweise für Erstaunen sorgten, als wir wahlweise nach einem Fruchtzwerg oder einem Löschzug verlangten. So gestählt, nahmen wir auch gerne die Möglichkeit war, mit der deutschen Zeichner-Fraktion näher Kontakt aufzunehmen: Neben Frauke Berger, die ihre SF-Öko-Saga „Grün“ signierte (und seltsamerweise eine blaue Frisur trug – Arch-Enemy-Referenz oder künstlerischer Kontrapunkt?), plauderten wir ausführlich mit Claudya Schmidt, die offenbar Gefallen an unserer Würdigung ihres Debüts „Myre“ gefunden hatte. So durften wir erfahren, dass die Dame ihre Inspiration in erster Linie aus Filmen und Musik bezieht und die Comic-Welt erst allmählich für sich entdeckt, wobei sie als Panel-Teilnehmerin beim Comic Talk und auch während der Messetage auskunftsgemäß sehr viel Spannendes kennengelernt hatte.

Greser mit Lenz bzw. Lenz mit Greser

Über das Thema Crowdfunding plauschten wir ebenso mit ihr wie über die Tatsache, dass die Faszination von Rollenspielen sich teilweise nur schwer erschließt (also die Fantasy-Brettspiel-Variante, nicht irgendwelche Krankenschwestern-Wildhüter-Nummern, die natürlich immer bestens sind). Mit Jens Harder ergründeten wir, wie moderne Superhelden-Comics nicht zuletzt auf griechische Sagen à la Herakles zurückgreifen, während der Gute uns seine Fassung des Gilgamesch-Epos signiert, und bei Kristina Gehrmann holten wir uns eine Zeichnung in ihrer Adaption des Upton Sinclair-Romans “Der Dschungel”. Zusammen mit der in der Tat brillanten Location, willkommenen Auflockerungen durch Späße mit der wunderbaren Pfälzer Crew von Salleck (dort signierte u. a. der alte Haudegen François Walthéry seine „Natascha“-Gesamtausgabe) und auch Fachsimpeleien mit Josch vom Dantes Verlag verging die Zeit wieder einmal wie im Fluge, bevor wir uns dann mit wundgelaufenen Füßen dann doch irgendwann Richtung Heimat machten.

Zumindest der Termin der nächsten Ansetzung steht schon fest: Der 19. Internationale Comic-Salon Erlangen wird vom 11. bis 14. Juni 2020 stattfinden. Ob dann in der Halle, im Zelt oder in freier Wildbahn, wird sich zeigen. Schon 2019 allerdings lockt die Schwesterveranstaltung in die bajuwarische Landeshauptstadt: Das Comicfestival München wartet vom 20.-23.06.2019 an gewohnter Stelle mit klingenden Namen wie Eduardo Risso (100 Bullets, Torpedo 72), Matthias Schultheiss (Die Haie von Lagos, Die Wahrheit über Shelby), Djinn-Zeichnerin Anna Miralles und vor allem wieder Dave McKean auf – letzterer live in concert. Vielleicht geht da ja was zusammen mit dem Rockavaria…

Dieser Text erschienen zuerst auf Comicleser.de.

Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben dem Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.