Ein Comic, zwei Kritiken – „Grün“

Frauke Bergers Comic-Debüt ist eine lyrische Öko-Parabel mit vielen Monster-Wucherungen.

Eine lyrische Öko-Parabal

Nachhaltigkeit sieht anders aus: Da war der grüne Planet irgendwo in der Galaxis jahrelang beliebter Handelsposten und Rohstofflieferant. Doch dann tritt ein garstiger Virus auf, der die bis dahin wohlwollende Vegetation entweder verschlingt oder in boshafte Monsterpflanzen verwandelt. Die Bewohner des einstigen Paradieses ziehen sich in Enklaven zurück und wagen es auch kaum noch, die vordem so profitablen Rohrbäume zu ernten – zu groß ist die Gefahr, nie mehr aus den wilden Wuchereien zurückzukehren. Auf futuristischen Archen versuchen einige Wagemutige, der Unbill zu entkommen, aber diese Gefährte landen reihenweise im endlosen Sand der neuen Wüsten. Man schlägt sich durch, so gut es geht – so auch die Nomadin Lis, in deren mysteriöser Vergangenheit irgendwo auch der Schlüssel zur Rettung zu liegen scheint. In einem ehemaligen Steinharpyenhorst findet sie Unterschlupf bei einer Truppe, die den alten Techniken folgt und Spanwein, Faserleinen und Rindenpapier herstellt.

Frauke Berger: „Grün“, Band 1.
Splitter Verlag, Bielefeld 2018. 56 Seiten. 15,80 Euro

Lis muss allerdings bald feststellen, dass es bei diesen Gesellen nicht mit rechten Dingen zugeht: um ein Auskommen zu haben, hat sich das Scherflein nebenberuflich als Sklavenhändler verdingt. Als die kommen, um die nächsten armen Opfer abzuholen, muss der Anführer Lis zu Hilfe eilen: sie hat wertvolle Karten und gehört zum westlichen Stamm, was offenbar brandgefährlich ist. Als aus einem herumwandernden Transport-Sairoth schließlich einige Verdammte entströmen, die sich gegen die Gemeinschaft vergangen haben, wittert man die Chance: hier kann man doch die zehn geforderten neuen Sklaven rekrutieren. Unter dem Vorwand, sie durch die Wüste zu führen, marschieren Lis und der Stammesführer los. Nachts entdeckt Lis bei einer der Unglückseligen ein Amulett, das ihre Aufmerksamkeit fesselt – aber bevor sie richtig weiterkommt, muss sie lernen, dass auch vermeintliche Freunde sie hintergehen: sie selbst wird als zehntes Opfer der Sklavenkarawane einverleibt und in Richtung der Tiefgärten geschleppt, wo mit dem Ältesten – einem mächtigen Pflanzenwesen – eine handfeste Überraschung wartet…

Neues aus deutschen Landen! Mit „Grün“ legt Frauke Berger aus Freiburg, ihres Zeichens Autorin und Zeichnerin in Personalunion, ihren ersten Comic vor, der sowohl optisch als auch erzählerisch durchaus anspruchsvolle Kost serviert. Malerisch, lyrisch, abstrahiert, teilweise wie ein Kinderbuch illustriert, entfaltet sich die Geschichte um das verlorene Paradies, in dem sich Züge eines verödeten Garten Eden ebenso finden wie die ökologisch-zivilisationskritischen Anklänge, die auch schon den Vater aller Öko-Anti-Utopien, Frank Herberts „Dune“, durchziehen, in dem bekanntlich Nomaden die Einöde auf wunderlichen Wesen bereisen und auf der Suche nach einem Messias sind.

All dies vermengt Berger – auch im Geiste eines gewissen Kleinen Prinzen, der ja seinerseits die Wüste durchmisst – mit Fragen der Freundschaft, Integrität und Verantwortung, die in einem vor allem anfangs eher szenisch-assoziativen Erzählfluss präsentiert werden, der dem Leser durchaus einiges an Aufmerksamkeit abverlangt. Gleichzeitig würzt Berger das Geschehen mit einer gehörigen Prise Mystery – die Vergangenheit von Lis sowie ihre Bedeutung für die Geschicke des Planeten werden mehrfach angedeutet, bleiben allerdings zunächst bewusst im Dunkeln. Mit jeder Menge Fabelwesen, Wüsteneien und Bedrohungen ist somit für mehr als genug Stoff für Teil 2 gesorgt, der bei Splitter ebenfalls bereits in Vorbereitung ist. Neben den allgegenwärtigen, voluminösen Biographien mehr oder weniger notorischer historischer Figuren ein willkommener, frischer Beitrag zur deutschen Szene.
HOLGER BACHMANN

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Monster-Wucherungen mit klaren Vorbildern

Auf einem fernen Planeten verbringen diverse humanoide Spezies ihr Leben auf der Flucht vor einer alles grün überwuchernden Seuche. Unterschiedliche Nomadenstämme verschanzen sich in notdürftig befestigten Forts oder haben das Glück, sich auf titanischen, laufenden Archen in relativer Sicherheit vor dem sinistren Wildwuchs zu befinden. Kann Lis gemeinsam mit alten und neuen Freunden die Stämme wieder vereinen und in eine sichere Zukunft führen?

Frauke Bergers Comic-Debüt ist bemerkenswert, weil es sehr viel wagt, obwohl es dabei vielleicht sogar bewusst nicht immer gewinnt. Die mit dem ersten Band bereits zur Hälfte vorliegende Erzählung lässt sich für diesen weit fortgeschrittenen Handlungsverlauf extrem viel Zeit bei der Einführung der Charaktere und der Entwicklung des ausgesprochen stimmungsvollen und visuell beeindruckenden Szenarios. Das kann eine gewisse Inspiration durch Manga-Klassiker wie „Nausikaa“ genauso wenig leugnen wie die Anerkennung für Zeichner-Legende Moebius bei den prachtvollen, sehr sauber strukturierten Totalen. Trotz dieser Einflüsse haben Fraukes Bilder aber extrem viel eigenen Charakter und Charme, mit ihren groben Indieschraffuren und den verhältnismäßig kräftigen Linien. Eigentlich hätte man in diesem visuellen Kontext eher feine, sich verjüngende Pinselstriche erwartet. Auch wenn es bei den menschlichen Protagonisten ein paar kleine, proportionale Ungereimtheiten gibt und ein etwas ausdrucksstärkeres Spiel mit Mimik dem Band mehr emotionale Überzeugungskraft gegeben hätte: „Grün“ sieht insgesamt klasse und vor allem wahnsinnig originell aus.

Dem abschließenden, zweiten Band des ökologisch-postapokalyptischen Abenteuers bleibt noch zu wünschen, dass er alle offenen Fragen im nun notwendigen, sehr hohen Erzähltempo auch befriedigend beantworten kann. Im Zweifel kann Frauke Berger aber noch ein paar Doppelseiten mit ihren hinreißend detailreichen Monster-Wucherungen vollzeichnen. Das macht offen gesagt so viel her, dass der Rest dabei eh keine so wahnsinnig große Rolle mehr spielt.
MATTHIAS PENKERT-HENNIG

Dieser Text erschien zuerst auf: DeinAntiheld.de