Das Lemireverse expandiert – „Sherlock Frankenstein und die Legion des Teufels“

Wir erinnern uns: Am Ende des ersten Bandes von Jeff Lemires Superhelden-Saga „Black Hammer“ gelangt Lucy Weber, die Tochter des titelgebenden, tragisch verstorbenen Superhelden in jene seltsame Parallelwelt, in der Hammers ehemalige Mitstreiter in einer ländlichen Kleinstadt gestrandet sind. Hier müssen sie nun vorgeben, sie seien völlig normale Landeier. Der erste Band der Ableger-Serie „Sherlock Frankenstein und die Legion des Teufels“ zeigt seinen Lesern nun die bewegte Vergangenheit von Lucy. Vom schicksalhaften Abschied ihres Herrn Papa bis hin zur späteren Spurensuche nach ihm als junge Erwachsene und Journalistin…

Jeff Lemire (Text), David Rubin (Zeichnungen): „Sherlock Frankenstein und die Legion des Teufels“.
Aus dem amerikanischen Englisch von Katrin Aust. Splitter, Bielefeld 2018. 152 Seiten. 19,80 Euro

Wer Befürchtungen hatte, Lemire könnte nun seine epische und elegante Erzählung wie die großen Heldenverlage durch halbgare Schnellschüsse für einen schnellen Dollar verwässern, der darf beruhigt aufatmen. Abgesehen davon, dass statt Dean Ormston diesmal der nicht minder talentierte Spanier David Rubin („Rumble“, „Ether“) den Zeichenstift schwingt, ist das Spin-off ein vollwertiges und stimmungsvolles Comic-Vergnügen ganz im Sinne der Hauptreihe. Tatsächlich betrachten wir hier dieselbe Handlung aus einer anderen Perspektive, was bei weniger erfolgreichen Indie-Serien ohne diese Möglichkeit der parallelen Veröffentlichung sonst nur extrem langwierig und zäh möglich ist.

Die obskure Galerie herrlich komischer Superfieslinge bereitet vor allem heldenaffinen Leseveteranen diebisches Vergnügen und kommt tatsächlich trotz der düsteren Cartoon-Optik auch etwas humorvoller daher als das eher melancholische „Black Hammer“ selbst. Neben Lucys Ausflügen in Altersheime und Gefängnisse für Superschurken ist es vor allem die Beziehung zwischen Erzbösewicht Sherlock Frankenstein und der tragisch-rotzigen „Golden Gail“, die Lemires höchsteigenem Helden-Universum noch viel mehr Tiefe und Charakter verleiht, als es ohnehin schon auf die Waage bringt.

In dieser Qualität und mit solch einer dichten, fesselnden Atmosphäre darf das „Lemireverse“ gern auf dekadente Marvel-Dimensionen anwachsen. Genug kreatives Potential dafür scheint ganz offensichtlich vorhanden zu sein. Auch deutsche Leser müssen übrigens gar nicht mehr so lang auf weitere Abenteuer warten, denn noch bevor im April des kommenden Jahres der dritte reguläre Band auf den deutschen Markt kommt, bringt Splitter schon im Januar den ersten Band zu „Doctor Star“, der auf den Seiten von „Sherlock Frankenstein“ das erste Mal in Erscheinung tritt.

Dieser Text erschien zuerst auf: DeinAntiheld.de

Mattes Penkert-Hennig ist Betreiber des Online-Comicmagazins DeinAntiHeld.de, Autor für Comic.de, war Juror beim „Rudolph Dirks Award“, Panelmoderator auf Comicmessen und hat bereits viele Video-Interviews mit namhaften, internationalen Comic-Künstlen geführt. Darüber hinaus produziert er mit Begeisterung animierte Video-Trailer für Comics und artverwandte Medien.