Ein Klassiker der Pulp-SF – „Flash Gordon“

Damals, in den späten 70er und ganz frühen 80er Jahren gehörte es zum montagabendlichen Ritual, im Bayrischen Rundfunk die neueste Episode einer wunderlichen Space Opera zu verfolgen und sich darüber äußerst zu amüsieren. Da flogen Pappmaché-Raumschiffe mit Wunderkerzenantrieb umher, ein blondgeschopfter Held öffnete im Weltraum auch schon mal die Außenluke und schoss per Revolver andere Gefährte ab, und das mit großem Brimborium angekündigte „Monster von Mongo“ entpuppte sich als kaum kaschierter Menschenaffe mit aufgepapptem Gummihorn. Was uns damals bestenfalls kurios schien, erweist sich in der Rückschau allerdings als aufwändige und vor allem sehr vorlagengetreue Verfilmung jenes Zeitungs-Comic-Strips, mit dem Alex Raymond, der bis dahin die Serie „Secret Agent X-9“ mit Dashiell Hammett realisierte, Mitte der 30er Jahre Pionierarbeit für ein ganzes Genre leistete: die Abenteuer von Flash Gordon, die ab dem 7. Januar 1934 in den Sonntagszeitungen des King Features Syndicate erschienen, faszinierten Heerscharen von Lesern in den von der Depression geschüttelten USA mit exotischen Schauplätzen, mit denen man der Tristesse der Großstädte oder der endlosen Farmen entging, mit husarenhaften Helden, denen man allzu gerne nacheiferte, mit in der Regel äußerst spärlich bekleideten Frauen (die sich mal mehr, mal weniger damenhaft gebärdeten), wunderbar ins Feindbild passenden, vornehmlich orientalisch anmutenden Bösewichten, Fabelwesen aller Art und märchenhaft-albtraumhaften Landschaften.

Alex Raymond (Text und Zeichnungen): „Flash Gordon Band 1. Die Sonntagsseiten 1934-1937“.
Hannibal Verlag, München 2018. 208 Seiten. 35 Euro

Sicherlich zauberte Raymond diese Welten nicht eigenständig aus dem Hut. Das junge Gerne der Pulp-SF war gerade 1927 mit Hugo Gernsbacks Magazin „Amazing Stories“ aus der Taufe gehoben worden, worin ein Held namens Anthony Rogers seine Premiere gefeiert hatte. Runderneuert mit einem zackigeren Vornamen trat „Buck Rogers in the 25th Century“ ab 1929 den Siegeszug auch auf den Cartoon-Seiten der Zeitungen an, weshalb man bei King Features ganz bewusst eine konkurrierende Serie in Auftrag ab. Raymonds Meisterleistung bestand allerdings darin, Elemente der populären Abenteuer-Romane und -Filme – Mantel-und-Degen, Piraten, Forscher an exotischen Orten, Mad Scientists, alles ist geboten – mit dem gerade neu aufblühenden Gerne der Space Opera zu verbinden und Woche für Woche atemlose Cliffhanger zu liefern, die die Leserschaft unbarmherzig in ihren Bann zogen. Die Geschichte erzählt dabei nichts Geringeres als die Mär von einem, der auszog, Erde und Universum zu retten: Als sich ein fremder Planet gefährlich der Erde nähert, schnappt sich der besessene Dr. Hans Zarkov die ihm zufällig über den Weg laufenden Flash Gordon und Dale Arden und macht sich per selbstgebautem Raumschiff auf den Weg Richtung Mongo, um den Planeten doch noch in andere Bahnen zu lenken. Vor Ort trifft man alsbald auf den grimmen Herrscher Ming den Erbarmungslosen, eine Art Weltraum Fu Manchu, der sofort beschließt, die hübsche Erdenfrau Dale zu ehelichen, Dr. Zarkov in seine Dienste zwingt und Flash in die Gladiatorenarena wirft. Mings Tochter Aura wirft ihrerseits ein Auge auf den feschen Erdenmann und versucht fortan, Flash in ihre Krallen zu bekommen.

Es folgen stets neue Szenarien von Gefangenschaft, tollkühner Flucht und Rettung aus scheinbar aussichtslosen Situationen: Flash freundet sich mit Thun an, dem Prinz der Löwenmänner, der ebenfalls gegen Mings Gewaltherrschaft kämpft. Mit knapper Not entrinnt man einem grausamen Schicksal in der Unterwasserstadt der Haimänner, bohrt sich per Untergrundschiff einen Tunnel direkt in Mings Palast, übersteht diverse Schaukämpfe und landet schließlich in der fliegenden Stadt der Falkenmänner, die vom rabiaten König Vultan mit eiserner Faust regiert wird. An den Atomöfen soll Flash sich zu Tode schuften, aber Dr. Zarkov und der neue Gefährte Prinz Barin – der rechtmäßige Herrscher von Mongo – sabotieren die Atomstrahlen, die die Stadt am Himmel aufrecht halten. Als die Katastrophe droht, bietet Zarkov die Rettung gegen die Freiheit seiner Freunde. Vultan nimmt zähneknirschend an und schließt Frieden mit seinen Gefangenen. Das missfällt dem grimmen Ming zutiefst, der höchstselbst anreist und die Auslieferung seiner Widersacher fordert. Aber Vultan beruft sich auf ein uraltes Gesetz: Im Turnier des Todes steht jedem Bewohner von Mongo des Recht zu, sich gegen seine Gegner durchzusetzen und ein eigenes Königreich zu beanspruchen. Prinz Barin, unrettbar in Aura verliebt, tritt ebenfalls an und steht im finalen Kampf Flash gegenüber…

Im Vergleich: Rechts die restaurierte Farbversion

Wenn man diese extravaganten Exkursionen erstmals (oder wieder) liest, ist der Schatten, den Raymonds Schöpfung auf das gesamte SF- und Comic-Gerne wirft, übermächtig. Schon 1936 lieferte das erste Serial mit dem kongenial besetzten Larry „Buster“ Crabbe eine aus heutiger Sicht überraschend nah an der Vorlage bleibende Umsetzung, in der alle ikonischen Momente, von Mings Thronsaal über die Unterwasserstadt bis hin zu den fliegenden Falkenmännern, getreulich wiederzufinden sind. Die offenkundigen Versatzstücke – der leicht manische Wissenschaftler mit exotischem Namen Zarkov, die blonde Dale als unschuldige Holde, die dunkelhaarige Aura als typischer Vamp, mannigfaltig elektrisch zischende Geräte, todesmutige Kämpfe und tollkühne Rettungen – fanden sich in ungezählten Gruselklassikern der 30er und 40er wieder, von denen sich Raymond wiederum wohl selbst hatte inspirieren lassen. Auch einige Ideen wie etwa Hitzestrahlen, massive Kampfmaschinen oder exotische ferne Welten dürfte Raymond aus Vorlagen wie H. G. Wells‘ „Krieg der Welten“ oder Edgar Rice Burroughs‘ Mars-Romanen entnommen haben, aber er brachte die Verbindung von feudalen Strukturen, traditionellen Waffen (man trägt unzählige Fechtkämpfe aus) und Hochtechnologie zu einer ersten Perfektion, an die viel später Don Lawrence mit seinen „Storm-“ und „Trigan“-Abenteuern anschließen sollte.

Bis hin zum definierenden Epos des Science Fiction Kinos reicht der lange Einfluss: Bekanntlich plante George Lucas zunächst eine Verfilmung des Flash Gordon-Stoffs, bevor er sich aufgrund von scheiternden Vertragsverhandlungen zu seiner eigenen Space Opera entschloss, die in Personal, Handlung und Optik – man denke nur an die nach oben entschwebenden Einführungstexte – unübersehbar im Gefolge der Strips und Serials stand (den Namen seines draufgängerischen Helden entnahm er wohl allerdings eher Buck Rogers, der in der Zukunft gegen eine Outlaw-Gang namens Han kämpft). Aber auch dem in den 30ern ebenfalls neu erblühenden Metier der Superheldencomics drückte Raymonds blonder Held seinen Stempel auf: The Bat-Man, der sogar identisch benannte Flash, all die Figuren mit ihren Spandex-Anzügen und Umhängen sind Verwandte des ersten All American Hero überhaupt – bis hin zum direkt von den Falkenmännern „inspirierten“ Hawkman, der ab 1940 mit bis auf die Federn und Flügelhelm identischem Look durch die Seiten der DC-Comics flatterte.

Raymond zeichnete indes so akribisch genau, dass seine Kollegen ihm oft nahelegten, doch weniger detailliert vorzugehen, um sein Pensum schneller absolvieren zu können. Aber Raymond bestand auf seinem präzisen, ausgefeilten Strich (den er in seinem Folgewerk „Rip Kirby“ nochmals verfeinerte), der in dieser von Alan Tepper sorgfältig eingerichteten und übersetzten Neuauflage durch sorgsame Kolorierung und möglichst originalgetreue Wiedergabe der ursprünglichen Seitenanordnung wunderbar zur Geltung kommt (so etwa erscheinen die seinerzeit in größerem Format vorgelegten Seiten entsprechend arrangiert). Versehen mit einem Vorwort von Alex Ross, der vor allem Raymonds physiognomisch naturgetreuen Stil (für den wie später bei Ross häufig reale Menschen Modell standen) als eine seiner Inspirationen preist, und einer historischen Verortung von Doug Murray präsentiert diese 206 Seiten starke Ausgabe die Sunday Pages vom 07. Januar 1934 bis 18. April 1937, ergänzt um rare, teilweise lange nicht verfügbare Skizzen und Zeichnungen. Ein echtes Kompendium für alle, die sich an die seligen Montagabende erinnern – und für alle, die sich damals fragten, wen genau denn dieser Sänger mit spaßigem Schnurrbart meint, den er in höchster Kopfstimme besang: „Flash! Ahaaaaaa…“

Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.

Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben dem Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.