Mit seiner (in zahlreichen Lieferungen fortgesetzten) „Dune“-Saga schuf Frank Herbert in den 60ern eine der wohl wirkmächtigsten SF-Mythen – und sei es über Bande: Die Geschichte des einen Auserwählten, der, ausgehend von einem Wüstenplaneten, eine Heldenreise antritt, um gegen ein Imperium zu rebellieren, nachdem er in die Mysterien eines Geheimzirkels eingeweiht wurde, deren magische Fähigkeiten er erlernt hatte -, dieser Stoff lieferte so überdeutlich eine Blaupause für „Star Wars“, dass man nur hoffen kann, dass George Lucas Frank Herbert wenigstens unter der Hand ein paar Scheine zugeschoben hat („Es fällt mir schwer, sie nicht zu verklagen“, sagte Herbert einmal in einem Interview).
Doch wo Lucas (wenigstens in der ersten Trilogie) sein Weltraumschrott-Universum noch märchenhaft auflud, um mit den ästhetischen Sensibilitäten von New Hollywood das naive Spektakelkino erneut in den Blick zu nehmen, verlieh Herbert seiner Erzählwelt eine politisch und ideologisch komplexe Architektur: Im Jahr Zehntausendirgendwas hat die Menschheit das All längst besiedelt, ist aber in feudale und religiöse Strukturen zurückgefallen. Computer und andere künstliche Intelligenzen sind tabu, seitdem sich die Menschheit im Jahr Sechstausendirgendwas von deren Joch befreit haben. Stattdessen wurden die Fähigkeiten des menschlichen Verstandes dramatisch weiterentwickelt: Sogenannte „Mentaten“ übernehmen hochkomplexe Berechnungen, der Nonnenzirkel der Bene Gesserit pflegt quasi-magische Fähigkeiten, während die Raumfahrergilde die für den politischen Fortbestand des Imperiums notwendige Raumfahrt durch das Krümmen des Raumes bewerkstelligt – ermöglicht durch exzessiven Konsum von „Spice“, einer geheimnisvollen Droge, die ausschließlich in den Wüsten des Planeten Arrakis, genannt Dune, zu finden ist und der nachgesagt wird, das Leben zu verlängern und geistige Fähigkeiten zu steigern.
Heißt: Wer Arrakis kontrolliert, kontrolliert das Spice – und damit das Imperium. Unschwer zu erkennen, dass Herbert für seine Geschichte lediglich auf die angespannte Lage im Nahen Osten, dessen Rohstoffe und die besorgniserregende Abhängigkeit des Westens vom Erdöl blicken und die daraus entstehenden Konfliktlinien extrapolieren musste.Seit Jahrzehnten liegt der Wüstenplanet als Lehen beim als teuflisch gezeichneten Haus Harkonnen. Aufstrebend im Landsraad (Herbert bedient sich in der Ausschmückung seiner Welt fröhlich am globalen Vokabular seiner Gegenwart) ist allerdings das Haus Atreides, das auch dem Imperator nicht geheuer ist. In einer Finte schiebt er Arrakis dem Haus Atreides zu, weiht das Haus Harkonnen ein, das sich pro forma zurückzieht, aber eine defizitäre Infrastruktur hinterlässt – was den Zorn der Raumfahrergilde heraufbeschwört und dem Imperator die Möglichkeit gibt, sich des Haus Atreides‘ gemeinsam mit den Harkonnen in einem sagenhaft brutalen Coup über Nacht zu entledigen.
Wobei die Bene Gesserit auch noch mitreden wollen. In Paul Atreides, Sohn des Herzog Leto und einer Konkubine aus dem Kreis des Zirkels, soll ein Jahrtausende währendes Zuchtprogramm an sein Ende kommen und damit den „Kwisatz Haderach“ (kurz gesagt: so etwas wie den Jedi-Ritter schlechthin) hervorzubringen. Was insofern ganz gut passt, als die indigene Bevölkerung von Arrakis – die Fremen, ein stolzes, in seiner Religion verhaftetes und in der Wüste verschanztes Volk von Kriegern, eine Art Mischung aus Vietcong, Taliban und Apachen – ihrerseits das Heraufdämmern eines Messias erwartet, der laut Prophezeiung von einem anderen Stern zu ihnen kommen soll.
Dass Frank Herbert dieses Gebräu an Ränken, Intrigen, Bösartigkeiten und Prophezeiungen mit haufenweise Dokumenten historischer Schriften, Lehren und Traktaten aus der Geisteswelt seiner Zukunftsvision anreichert, macht die Sache noch geerdeter und grimmiger. Eine Vielzahl von Dogmen, ideologischer Hartnäckigkeiten, Verblendungen und doppelt geschachtelter Interessenlagen bilden das Geflecht, auf dem der Autor eine waghalsige Superhelden-Origin-Story aufbaut, nur um sie (allerdings erst in Buch Zwei seiner Reihe) konsequent zu dekonstruieren, da schließlich auch der Befreiungskampf der Fremen in interstellarer Schlachterei und Unterdrückung mündet. Dass Herbert seine Fremen diesen Befreiungskampf „Jihad“ nennen lässt, macht seinen „Dune“-Zyklus in seiner ungebrochenen Zeitgenossenschaft nur noch gespenstischer.Die Ansicht, dass „Dune“ unverfilmbar sei, ist natürlich Quatsch und wahrscheinlich dadurch genährt, dass Alejandro Jodorowsky den Stoff seinerzeit besonders größenwahnsinnig umsetzen wollte, dabei aber über den Status von Storyboards nie hinauskam (die Concept Art von H. R. Giger ging dann immerhin in Ridley Scotts „Alien“ ein). Auch David Lynchs Adaption von 1984 wird von vielen als gescheitert angesehen – was wohl eher ästhetische Gründe hat: Während Produzent Dino De Laurentiis sich einen Blockbuster nach damaliger Mode erhofft haben dürfte, hatte Lynch einen barock ausstaffierten Kunstfilm im Sinn, mit dem Resultat, dass beide Entwürfe nicht recht zusammenfanden, während das zugrunde liegende Szenario selbst inhaltlich recht stimmig abgebildet wurde – mit dem Unterschied vielleicht, dass Lynchs Version im aufgepeitschten Finale ziemlich delirant ins Gloria auf den siegreichen Jihad einstimmt.
Den Beweis, dass sich „Dune“ auch ästhetisch stimmig adaptieren lässt, tritt nun der Kanadier Denis Villeneuve an. Ähnlich wie sein britischer Kollege Christopher Nolan begann Villeneuve mit cleveren kleinen Genrefilmen, um sich Schritt für Schritt ans Format „Blockbusterkino mit autorenfilmartiger Handschrift“ heranzutasten, in dem er seit „Arrival“ (2016) buchstäblich angekommen ist. Im auf entsprechend künstlerisch angekantete Großproduktionen spezialisierten Filmstudio Legendary Pictures, für das Nolan ebenfalls lange arbeitete, hat Villeneuve nun vielleicht so etwas wie eine Studioheimat gefunden. Ähnlich wie Nolans Filme ist „Dune“ ansehnlich wuchtig und weihevoll erzählt. Die Ästhetik passt.
Gemeinsam errichtet hat man eine Kathedrale von einem Film, die das Zitadellenhafte der literarischen Vorlage stimmig ins Megalomanische überhöht. Hollywoods teutonischer Kapellmeister Hans Zimmer mischt auf der Tonebene zwischen Bombast, ASMR-artigem Sandrieseln und Ethnokitsch changierende Epik bei. Der Geschichte folgt Villeneuve weitgehend ohne eigene Akzente und dabei so grenz-sklavisch, dass eine gängige Laufzeit den Film nicht einfassen kann: David Lynch brauchte damals knapp zwei Stunden, Villeneuve braucht zweieinhalb, erzählt aber nur die erste Hälfte des ersten Romans. Offensichtlich erhofft man sich in den Chefetagen, die teure Lizenz als Franchise im Sinne eines shared universe auszuwerten – was der Stoff ja auch hergibt: Sechs Romane schrieb Herbert, erzählte eine Spanne von mehreren 1000 Jahren und wurde im Laufe immer esoterischer und abgedrehter.Dass der Film seine Vorlage wie eine Bulletpoint-Liste von Plot-Points abarbeitet, ist kein Nachteil. Es erlaubt (wenn man die Geschichte eh schon kennt) ein Schwelgen in dieser Erzählwelt, in der es – wie zuvor in Villeneuves „Blade Runner 2049“ – viel zu schwelgen gibt.
Herberts Erzählwelt schildert eine in ihrer Konsequenz faszinierend menschenverachtende oder zumindest -zermalmende Gesellschaft, die für feudale Romantik, wie sie die etwas naivere Fantasy gerne aufruft, keinen Raum lässt. Ganz klein wird daher auch bei Villeneuve der Mensch, wenn er gigantische Raumschiffe und Burganlagen in den Blick nimmt und eine dekadente, in ihren Riten erstarrte, vielleicht schon von innen heraus modernde Welt in Szene setzt. Einen Großteil seiner Faszinationskraft zieht Herbert gerade aus dem Grottigen seiner Erzählwelt – auch der Film ist eine einzige Abfolge düsterer, von Desert Gothic geprägter Innenräume, formidabel durchgestaltet und mit aller Ruhe in Szene gesetzt, um sich durch diese Welt auch als Zuschauer tasten zu können.
Von Science-Fiction-Plunder jeder Art – die ohne Ende faszinierenden Libellenflieger, mit denen sich auf dem Wüstenplaneten Strecke machen lässt – geht ähnlich viel Liebreiz aus wie vom asig-dekadenten Ränkespiel der verschiedenen Parteien: Stellan Skarsgård als aufgeblasener Baron Vladimir Harkonnen ruft schwere Brando-Vibes zu General-Kurtz-Zeiten auf, eine Art Trophäe aus New Hollywood, die hier ins Villeneuvesche Schmetterlingsalbum eingepflegt wird (wie auch aktuelle Blockbusterkino-Stars wie Oscar Isaac und Jason Momoa gerne mitgenommen werden, während mit Charlotte Rampling Arthouse-Signale gesetzt werden, wobei sie als Hexenmeisterin nur verhüllt auftreten darf). Man schaut sich das gerne an. Instagram- und Kino-Star Timothée Chalamet als widerwillig im Werden begriffener Messias sieht in der Mode des Hauses Atreides unverschämt gut aus (wenn man denn ein Faible für schwarze Mäntel, hohe Stiefel oder funktionalen Desertwear hat).Es ist bei allem CGI-Proporz eine taktile, anfassbar sandige Welt, die Villeneuve zeigt. Ein begehbares Coffeetable-Book, mit Spritzern ins Irrisierende. Und es ist eine Welt mit einem ganz eigenen, tollen Sound. Der Besuch eines Kinos mit leistungsstarker Anlage wird empfohlen – erst in Dolby Atmos entwickeln Zimmers Trommelgewitter die angemessene Wucht, wird das Rieseln des Sandes angenehm gänsehautig und fährt einem „die Stimme“ (eine Technik der Bene Gesserit, die es gestattet, über andere uneingeschränkt zu bekommen) eindrücklich in die Knochen, von der toll kaputt klingenden Sprache der Sardaukar (die imperiale Schreckensarmee, die das Haus Atreides schleift) ganz zu schweigen oder dem Pumpen der Thumper, mit denen sich die unter Arrakis‘ Gluthitze ihre Bahnen ziehenden Sandwürmer ablenken lassen.
Bleibt die Frage nach der Politik. Herberts Roman gilt nicht ohne Grund als ein Proto-Beispiel für politische Science-Fiction. Villeneuve setzt zwar Signale – der Prolog des Films ist nicht zufällig aus Perspektive der Fremen erzählt, die in Guerilla-Aktionen den Spice-Abbau der Harkonnen sabotieren, weil sie darin eine Schändung ihrer Lebenswelt sehen -, lässt die Politik aber eher am Rande als Bestandteil des Stoffs mitschlingern. Dass man an die Klimakatastrophe denkt, wenn die Fremen-Destillanzüge anlegen (quasi eine Kläranlage am eigenen Leib, man trinkt in aufbereiteter Form das, was man als Körperflüssigkeit abgegeben hat), liegt in der Natur der Sache. Im Verhältnis zwischen hochstehenden Adelshäusern, deren Zugriff auf eine kriegsentscheidende Naturressource, und den Vorbehalten indigener Völker schwingt der Antikolonialismus der Sechziger mit, als Herbert seine Saga entwickelt hat.
Mit Blick auf Afghanistan der letzten Wochen entwickelt „Dune“ in dieser Diskurs- und Motivlage noch mal gespenstische Aktualität: ein religiös und kriegerisch gestimmtes Wüstenvolk in einer geopolitisch delikaten Position, das danach trachtet, ihr zum Spielball fremder Mächte gewordenes Stammesgebiet wieder in Besitz zu nehmen – das hat schon eine gewisse tagespolitische Brisanz.
„Das ist erst der Anfang“, lautet der letzte Satz in diesem Film, der auf eine Art Pocahontas-Inversion folgt. Man darf gespannt sein, was diesem Anfang folgt – sowohl auf dem fernen Wüstenplaneten als auch im verhältnismäßig nahen Kabul.
Diese Kritik erschien zuerst am 15.09.20201 auf: perlentaucher.de
Dune
Kanada, Ungarn, USA 2020
Regie: Denis Villeneuve – Drehbuch: Jon Spaihts, Denis Villeneuve, Eric Roth – Produktion: Joseph M. Caracciolo Jr. – Musik: Hans Zimmer – Darsteller: Rebecca Ferguson, Zendaya, Jason Momoa, Timothée Chalamet, Josh Brolin, David Dastmalchian, Dave Bautista, Oscar Isaac, Stellan Skarsgård, Javier Bardem, Charlotte Rampling u. a. – 155 Min. – Kinostart: 16.09.2021
Thomas Groh, Jahrgang 1978, lebt seit 1997 in Berlin, ist Redakteur bei Deutschlandfunk Kultur und schreibt u. a. für die taz, den Tagesspiegel, den Perlentaucher und weitere Medien über Filme. Im Netz anzutreffen ist er in seinem Blog und auf Twitter.