„Diese Selbstgefälligkeit, diese Selbstzufriedenheit und völlige Blindheit für die Welt, wie sie ist…“

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Früher, am Anfang seiner Karriere, Anfang der 90er Jahre, galten die Strichmännchen, die er „aus Quatsch“, wie er sagt, in minimalistischem Stil zeichnete, noch als die Werke eines Dilettanten. Hinzu kamen die als unfein empfundenen Bildinhalte: Männchen mit überdimensionierten Penissen, sich zügig mit großen Mengen Bier betrinkende und sich hernach in einem gewaltigen Schwall erbrechende Männchen. Nein, die Welt war in Olaf Schwarzbachs Comicbildern nicht in Ordnung, weil auch die reale Welt es nicht war. 1990, im Alter von 25 Jahren, schickte er seine Comics an die heute nicht mehr existente Satirezeitschrift Kowalski, die sie auch prompt veröffentlichte. „Damals haben sie noch meine Krakelschrift irgendwie gelettert, weil sie dachten, ich bin Legastheniker. Dann habe ich am Comic-Wettbewerb des Berliner Stadtmagazins Zitty teilgenommen und habe da irgendwie gewonnen. Da habe ich auch so eine Krakel-Geschichte eingereicht. Die in der Zitty-Redaktion dachten auch, ich bin nicht ganz dicht. Die dachten: Das ist so ein Hilfsschüler, von der Zeichnung her und von den Geschichten her. Aber ich war ja froh, wenn ich irgendwo veröffentlichen konnte. Plötzlich konnte ich meinen Quatsch loswerden, was ich ja zu DDR-Zeiten nie hätte können.“

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Olaf Schwarzbach, heute besser bekannt unter dem Namen OL, in der DDR aufgewachsen, ist kein Streber, eher einer, der sagt, was er denkt, und dann auch die Konsequenzen trägt. Zwei Mal wird er im Lauf seines Lebens einen Suizidversuch unternehmen. Als er 15 ist, liest sich die Beurteilung seines Verhaltens seitens der Schule, die er besucht, wie folgt: „Olaf ist ein temperamentvoller und selbstbewusst auftretender Schüler, dem es sehr schwerfällt, gesetzte Normen anzuerkennen und einzuhalten.“ Nach dem Schulabschluss wird er zunächst Drucker.

Als wir uns zum Gespräch im nd-Gebäude treffen, berichtet OL: „Ich habe ja in der Berufsschule des nd gelernt, ich war auch zu Ostzeiten während meiner Lehrzeit öfter mal hier, als ich Offsetdrucker gelernt habe. Mein Stammbetrieb war in Potsdam die Märkische Volksstimme, das war die Parteidruckerei.“ Dort kündigt er irgendwann, weil ihm der politische Druck von oben zu viel wird. „Ich hatte auch keine Lust, da als Offsetdrucker zu arbeiten“, sagt er.

Von 1981 an hat die Staatssicherheit an dem seinerzeit 16-Jährigen Interesse, den sie ernsthaft für einen „Staatsfeind“ hält. „Forelle“ lautet der Deckname, den die Stasi Olaf Schwarzbach gibt.

Als er seine Strichmännchen zu zeichnen beginnt, werden seine Werke von der Stasi als „pornographisch“ eingestuft, Schwarzbach selbst gilt als „dekadente Erscheinung“. Erste Ausstellungen seiner Zeichnungen finden in Privatwohnungen von Freunden statt. „Und im Zuge dessen sind dann in Berlin, bei einem Freund in der Wohnung, die Sachen bei einer zufälligen Polizeiaktion beschlagnahmt worden – da war eine Party, und die Polizisten kamen eigentlich wegen ruhestörendem Lärm, und dann haben sie die Bilder an der Wand gesehen, die haben sie alle mitgenommen. Das war aber im Grunde keine richtige Ausstellung“, erzählt OL. „Der Vorwurf lautete ›Herabwürdigung der Staatsmacht‹ – also Beleidigung, Majestätsbeleidigung. Und dann kam noch unerlaubte Vervielfältigung hinzu, weil die ja auch kopiert waren teilweise. Im Osten waren ja Kopierer unter Verschluss, weil man sonst Flugblätter hätte herstellen können. Das kam noch dazu.“

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Aufsehen erregte in den 90ern insbesondere ein Cartoon OLs, der in der Zitty erschien und gegen den Helmut Markwort geklagt hat, der damals Chefredakteur der Boulevard-Illustrierten Focus war. „Fakten, Fakten, Fakten – und immer an die Leser denken“ lautete seinerzeit ein Werbeslogan des Focus.

OL beschreibt seinen Cartoon wie folgt: „Die Zeichnung war ja nur daumennagelgroß! Da saß halt eben so ein Wüterich am Tisch, hat auf den Tisch gehauen und ›Ficken, ficken, ficken, und nicht mehr an die Leser denken‹ gerufen. Und darunter stand die Zeile: ›Das wahre Gesicht des Helmut Markwort‹. Auf der Klageschrift, die in der Zitty-Redaktion ankam, standen 30 Anwälte vorne drauf. Der Markwort hatte so einen Pferdestall, der bewegt werden muss, und da hatte er gedacht, der kleinen linken Dreckszeitung – die die Zitty damals noch war – drücke ich mal eine rein und verklage die. Die Zitty hat dann sofort reagiert und gesagt: ›Oh, wir schalten eine Gratis-Anzeige für Focus.‹ Die Redaktion hat sich entschuldigt, was schon damals gar nicht ging. Markwort hat 50 000 D-Mark Schmerzensgeld gefordert. Und daraufhin hat die Zitty dann gesagt, okay, dann lassen wir es auf einen Prozess ankommen. Am Ende musste die Zitty 15 000 D-Mark Schmerzensgeld zahlen. Der Richter hat damals gesagt, er verstünde nicht, warum die Zitty nicht in die zweite Instanz gegangen sei. Da hätte sie vermutlich gewonnen, meinte er.“

Als Cartoonist ist OL heute unter anderem für das Stadtmagazin Tip, die Berliner Zeitung und die linke Wochenzeitung Jungle World tätig. Seine Zeichnungen sind im Lauf der Jahre detaillierter, seine Sujets vielseitiger geworden. „Wenn man 25 Jahre lang Witze macht, reicht Kotzen und Saufen nicht“, sagt er. In seiner Cartoonserie „Die Mütter vom Kollwitzplatz“ porträtiert er ein Milieu, das heute nicht nur den Prenzlauer Berg bevölkert: den selbstgerechten, saturierten Wohlstandsbürger, der sich nur für sich selbst und das Wohlergehen seines Nachwuchses interessiert. „Seit ich die Bourgeoisie wirklich kennengelernt habe, so wie sie ist, hasse ich sie abgrundtief. Weil sie dumm sind, diese Leute“, schimpft OL. „Diese Selbstgefälligkeit, diese Selbstzufriedenheit und völlige Blindheit für die Welt, wie sie ist. Die sehen nur sich selbst. Die gucken dich mit dem Arsch nicht an und grüßen dich nicht. Für die ist der Kindergarten einfach so ein Kinder-Abwurfplatz, und ihre Kinder sind das einzige, was sie interessiert. Und alles, was drumherum passiert, irgendeinen sozialen Zusammenhang gibt es da nicht.“

Auf die Frage, ob er keine Bedenken habe, seine Zeichnungen heute im Gebäude des nd auszustellen, wo früher gewiss nicht wenige Leute saßen, die seiner Kunst gegenüber nicht gerade wohlgesinnt gewesen seien, antwortet OL abwinkend: „Ach, iwo, ich habe ja auch Stasi-Witze mit dabei in der Ausstellung. Und wer sich die Jacke anziehen will, der kann sich die ja angucken. Ich habe damit kein Problem. Ich hätte ein Problem, in den Redaktionsräumen der Jungen Freiheit eine Ausstellung zu machen.“

Dieser Text erschien zuerst am 05.07.2016 in: Neues Deutschland

Thomas Blum, Jahrgang 1968, arbeitet seit 1999 als freier Autor für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften (u. a. Konkret, Berliner Zeitung, Stadtrevue Köln). Von 1999 bis 2011 war er in der Redaktion der linken Wochenzeitung Jungle World tätig. Seit 2013 ist er Redakteur im Feuilleton der Tageszeitung Neues Deutschland.