Schaut her, schaut hier, sehet dies, sehet das – „Watchmen – Die Wächter“

© Paramount Pictures Germany

Seit Robert Rodriguez‘ Filmversion von Frank Millers Noir-Comic „Sin City“ (2005) hält sich hartnäckig das Gerücht, eine Comicadaption sei dann gelungen, wenn sie die emblematischen Momente der Vorlage möglichst genau nachstellt. Oder, ließe sich auch sagen, einfach abpaust. Als sei das gleiche Bild hier und dort doch irgendwie dasselbe, als spielten unterschiedliche mediale oder Rezeptionsbedingungen dabei keine Rolle.

Ein solcher Abpauser ist auch Zack Snyder, der mit einem als Genrereißer gelungenen Remake des Zombie-Klassikers „Dawn of the Dead“ (2004) debütierte, um mit „300“ (2006) Frank Millers gleichnamigen Comic über 300 spartanische Muskelprotze, die einer Perserflotte Einhalt gebieten, im Computer Ikon für Ikon nachzustellen. Was bei Millers stark vom Film beeinflussten Stil zur Not noch zu rechtfertigen sein mag, wird spätestens bei Alan Moores und Dave Gibbons „Watchmen“-Saga heikel, deren komplexe Storyarchitektur auch eine Meditation über die Potenziale des Comics als Form darstellt.

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„Watchmen“, der Comic, steckt voller versteckter Spuren, arbeitet mit fein konstruierten Strukturen und entfaltet seine Geschichte mittels apokrypher Schriften in Anhängen (Autobiografien, Zeitungsausschnitte usw.) quasi crossmedial. Der Leser wird zum Detektiv, der zurückblättert, Spuren und Anspielungen aufdeckt, Vergleiche anstellt und selbst die Zeitspanne wählt, für die er sich einem Panel oder einer Seite widmet. Das Kino, zumal das auf Klarheit und instantane Reize bedachte Blockbusterkino, unterliegt freilich ganz anderen Bedingungen. Schon deshalb, aber auch aufgrund seines komplexen Plots, galt „Watchmen“ jahrelang als unverfilmbar, selbst ein Meister des skurril-verqueren Kinos wie Terry Gilliam ließ von dem Stoff bald wieder ab.

So erstaunt es zunächst, mit wie wenig Abweichungen Snyder Moores Geschichte für die Leinwand übernimmt: „Watchmen“ spielt in einer alternativen geschichtlichen Wirklichkeit, in der die USA den Vietnamkrieg gewonnen haben, Nixon nie über Watergate gestolpert ist und sich seitdem einer Präsidentschaft auf Lebenszeit erfreut. Es ist auch eine Welt, in der Superhelden, hinter deren Masken sich ganz gewöhnliche Bürger verbergen, seit den späten 40er Jahren tatsächlich existieren. Nach blutigen Aufständen in den späten 70er Jahren wurden sie zwar kriminalisiert und fristen nun, in den 80ern, ein Schattendasein als psychische Wracks, operieren weiter illegal auf eigene Faust oder vermarkten ihre einstige Identität mit hohem Gewinn. Unterdessen rückt eine sich zuspitzende Krise zwischen USA und UdSSR die Welt an den nuklearen Abgrund, während der einzige Held mit wirklichen Superkräften, der bei einem Unfall molekular desintegrierte Dr. Manhattan, als gottgleiches Überwesen auf dem Mars über den Beitragswert menschlichen Lebens zum Ablauf der Dinge im Universum philosophiert.

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Mit viel abgründigem Witz reflektiert Alan Moore darüber, was es auch historisch heißen mag, wenn ganz gewöhnliche Bürger ihre Neurosen in Form von Masken veräußerlichen und gnadenlose Selbstjustiz üben, wenn der amerikanische Traum gärt, aufplatzt und seine psychotischen Albtraumdimensionen offenbart. Dieser Traum, verkörpert im zynischen Superhelden „Comedian“, dessen Biografie mit all ihren Abgründen die Handlung von „Watchmen“ in Rückblenden maßgeblich strukturiert, fliegt anfangs im hohen Bogen aus einem oberen Stockwerk eines Wolkenkratzers. Der faschistoide Vigilant „Rorschach“ nimmt im Glauben, ein Killer mache Jagd auf die längst pensionierten Superhelden, die Ermittlungen auf, nur um auf eine Wahrheit zu stoßen, die dieses bloße Crime-Mystery um ein Vielfaches übersteigt.

Snyder ist versessen aufs Nachstellen. Das meiste, und noch bis im Detail, was man aus der Vorlage kennt, steckt auch im Film, der wie kein zweiter seiner Art darauf bedacht ist, sein Publikum permanent zu bestricken und zu verführen. Als fast dreistündiges düsteres Superhelden-Metaepos ist „Watchmen“ deshalb nicht direkt schlecht – vieles daran funktioniert, manches beeindruckt, jedenfalls solange man es als bloßes Unterhaltungskino betrachtet.

Nur ist eben alles, was gut ist am Film, nicht Produkt eigener Reflektionsleistung, sondern abgepaust. Das wenige Eigene – Snyder pflegt auch hier seinen Fetisch für Zeitlupendynamik im Scharmützel – wirkt eher unerheblich, mit einer Ausnahme: der herrlich geglückten Vorspannsequenz, die in zahlreichen tableaux vivants das alternate history setting ausbuchstabiert. Es ist ein ständiges Apropos, ein ständiges Nicken in Richtung Comicheft: Schaut her, schaut hier, sehet dies, sehet das – ein Fabulieren in Bildern, denen, und dies eben ganz im Gegensatz zur Vorlage, jedes Rätsel, jede Anspielung zugunsten der bloßen Präsenz des Erwartbaren gründlich ausgetrieben wurde.

Während Moore und Gibbons mit ihren Paneldetails ein ganzes Szenario evozierten, werden dieselben Details bei Snyder zu bloßen Signaturen einer fragwürdigen Werktreue, Ausdruck eines Oberflächenfetischismus: Moore und Gibbons konstruierten Verstrebungen, Scharniere und Türen, wohingegen Snyder gerade solche Verbindungen ästhetisch zumauert und betoniert. Indem Snyder eben keinen medial äquivalenten Reflexionsraum eröffnet oder überhaupt erst sucht, geht ihm in seiner Plotmanie auch ein wesentlicher Aspekt der Vorlage verloren.

Dieser Text erschien zuerst am am 03.03.2009 auf: perlentaucher.de

Watchmen – Die Wächter
Großbritannien / USA 2009
Originaltitel: Watchmen

Regie: Zack Snyder – Darsteller: Jackie Earle Haley, Malin Akerman, Billy Crudup, Matthew Goode, Carla Gugino, Jeffrey Dean Morgan, Patrick Wilson – Dt. Start 05.03.2009

Thomas Groh, Jahrgang 1978, lebt seit 1997 in Berlin, ist Redakteur bei Deutschlandfunk Kultur und schreibt u. a. für die taz, den Tagesspiegel, den Perlentaucher und weitere Medien über Filme. Im Netz anzutreffen ist er in seinem Blog und auf Twitter.