Ein Western mit vertauschten Geschlechterrollen – „Mondo Reverso“

Wie historische Fotografien aus dem wilden Westen – so wirken die Bilder dieses Comics. In Sepiatönen sind die spektakulären Schluchten der Canyons gezeichnet – die spärlich bewachsenen Felswände ragen hoch im gleißenden Sonnenlicht. Im Schatten eines Baumes liegt lässig eine Gestalt mit Cowboyhut, eine Zigarette im Mundwinkel. Im Fluss davor kichern Badende in Spitzenhäubchen, die verschämt ihre Röcke abgeworfen haben. „Ich muss Euch gestehen, meine Hähnchen – ihr habt mir wahnsinnig gefehlt.“

Arnaud Le Gouëfflec (Autor), Dominique Bertail (Zeichner): „Mondo Reverso, Band 1“.
Aus dem Französischen von Rossi Schreiber. Schreiber & Leser, Hamburg 2019. 96 Seiten. 19,80 Euro

Anspielung auf Geschlechterdiskriminierung

Hähnchen?! Tatsächlich sind die Badenden allesamt Männer, die sich so kokett vor dem Nass des Wassers erschrecken, als würden sie die Klischees erfüllen, die man eigentlich Frauen zuschreibt. Und die Gestalt mit dem Cowboyhut, die da so lässig liegt, ist Cornelia, eine der schlimmsten Gesetzlosen des Wilden Westens. In „Mondo Reverso“ sind die Geschlechterrollen vertauscht. Ein Kniff, der gerade in Mode ist, um die Feinheiten der Geschlechterdiskriminierung deutlich zu machen. In „Mondo Reverso“ scheinen die Männer allerdings nicht zu leiden: die Badenden sonnen sich in Cornelias Aufmerksamkeit und der ihrer Frauen.

„Du bist so rasend schön, mein Dedi… Wenn Du wüsstest, wie oft ich an Dich gedacht habe.“

Vor allem in den Saloon-Szenen wirkt der Comic „Mondo Reverso“ wie eine lustvoll-überdrehte Travestie-Show, in der die Gelage der klassischen Western zitiert werden. Überhaupt wird in diesem Comic ziemlich viel Popkultur durch den Wolf gedreht. Das hätte zum Beispiel keine Verwechslungskomödie schöner inszenieren können, wie Cornelia, verkleidet als Mann, und eine Ärztin, die eigentlich in Wirklichkeit ein Mann ist, einander anschmachten, während sie an Marterpfählen festgebunden sind.

Stereotype aufs Korn genommen

Und dann taucht auch noch ein Zaubertrank auf, wie man ihn aus Asterix-Comics kennt. In „Mondo Reverso“ haben ihn Indianer gebraut, um sich an den chauvinistischen Weißen zu rächen die sich immer wieder an ihren Männern vergreifen– auch hier werden Stereotype aufs Korn genommen. Es ist ein Trank, der Geschlechter umwandelt.

„Ich zeige Ihnen mein Problem… Einen Penis, der mir plötzlich gewachsen ist. Der meinen legendären Ruf als Brutalissima untergräbt. Sie können sich vorstellen, wie es mir damit geht.“

„Mondo Reverso“ ist wunderbar albern. Und durch die konsequente Geschlechterverkehrung wird zum Beispiel deutlich, wie sehr unsere Kultur männlich geprägt ist. „Mondo Reverso“ spielt mit den Klischees. Dass sich die Gesetzlose Cornelia als Drink einen „Johanna Walker“ genehmigt, ist da nur ein Beispiel. Als eine wilde Verfolgungsjagd um den Zaubertrank einsetzt, weil die Westernheldinnen begreifen, welches Potential darin steckt, da weichen auch die Geschlechterrollen ein bisschen auf.

Durch und durch Parodie

Einen verlassenen Palast in den Bergen zu renovieren und dort eine neuartige Klinik einzurichten, in der jedermann frei über seinen Körper bestimmen kann. Geschlechtsumwandlungen für eine Millionen Dollar, stellt Euch bloß mal das Geschäftsmodell vor.

Bis zum Schluss des ersten Bandes ist „Mondo Reverso“ durch und durch Parodie und regt zum Nachdenken an. Wenn jeder Mensch mit einem kleinen Trank sein Geschlecht ändern könnte, ist auch das Verhalten von Männer und Frauen möglicherweise nicht so festgelegt? Menschen sollen frei sein, ihre Geschlechterrolle selbst zu wählen und dafür respektiert werden – dafür plädiert der Comic.

Dieser Text erschien zuerst am 18.02.2019 in: Deutschlandfunk

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.

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