Warshaw ist im Kino – „Die unmittelbare Erfahrung“

Bild aus "Krazy Kat" von George Herriman (Fantagraphics Books)

Robert Warshow starb mit 37 – zu früh, um heute als filmtheoretischer Klassiker zu gelten. Der Herzinfarkt ereilte ihn 1955. Die Form, in der sich über Film angemessen sprechen lässt, wurde da noch gesucht; die Idee, mit postmodernistischer Rückendeckung E und U zu versöhnen, war noch nicht geboren; wie dem Film als Zwittererscheinung aus Industrie und der Kunst begegnet werden kann, war längst nicht ausgemacht. Ist es auch heute nicht, nur spricht kaum jemand mehr darüber.

Robert Warshow: „Die unmittelbare Erfahrung. Filme, Comics, Theater und andere Aspekte der Populärkultur“.
Aus dem Englischen von Thekla Dannenberg.
Vorwerk 8, Berlin 2014. 256 Seiten. 24 Euro

Warshow bewegte sich im Kreise der New York Intellectuals, schrieb für den „Commentary“ und die „Partisan Review“ über jüdischen Humor, Hemingway, Kafka und „Krazy Kat“, vor allem aber über Film. Er war dezidiert links und zugleich Antikommunist, beherrschte das ethische Räsonieren des bürgerlichen Intellektuellen, ließ sich aber nicht von Arthur Millers mechanischem Humanismus oder den Mittelschichtsleitlinien des „New Yorker“ verarschen.

Das Hauptwerk, seine Filmtexte, ist nicht ganz Theorie und nicht ganz Kritik, eher ein phänomenologisches, vorurteilsloses Herantasten an die Bausteine der Emotionserzeugung, dem er sich mit Verve hingab. Dahinter steht die Verabschiedung zweier Positionen der damaligen Kritik: Warshow akzeptiert Film als Kunst, reduziert ihn aber nicht darauf, und er registriert den Film soziologisch als Indikator gesellschaftlicher Prozesse, übersieht aber darüber nicht die eigene Verflechtung in Normen, Wertesysteme und Ideologien („Ich bin es, der ins Kino geht.“). Also weder Rudolf Arnheim noch Siegfried Kracauer – beide sind aber notwendiger Ausgangspunkt für die „unmittelbare Erfahrung“, wie Warshows nun ins Deutsche übersetztes Textvermächtnis heißt.

In Filmen und dem Nachdenken darüber bündelt sich nach Warshow ein Verhältnis zur Welt. In seinen noch am ehesten kanonisierten Texten zum Western und Gangsterfilm klingt das so: „Im Grunde ist der Gangster zum Scheitern verurteilt, weil er zum Erfolg gezwungen ist, nicht weil die Mittel, die er anwendet, unrecht sind.“ Und der Cowboy „will nicht seine Macht vergrößern, sondern seine eigenen Werte behaupten, und seine Tragik besteht darin, dass selbst solch begrenzte Bedürfnisse nicht erfüllt werden können“.

Dieser Text ist zuerst erschienen in: KONKRET 2/2015

Sven Jachmann ist Comic.de- und Splitter-Redakteur und Herausgeber des Filmmagazins filmgazette.de. Beiträge u. a. in KONKRET, Tagesspiegel, ND, Taz, TITANIC, Junge Welt, Jungle World, Das Viertel, Testcard sowie für zahlreiche Buch- und Comicpublikationen und DVD-Mediabooks.