Mit „Batman Begins“ setzte der bis dahin für Noir-Thriller mit Indie-Touch bekannte Christopher Nolan 2005 das Batman-Franchise fulminant zurück auf Null. Dieses war zuvor nach quietschbunten Filmen in die Sackgasse des infantilen Comickitsches geraten; mit erdig-dunkler Farbgebung und elegischem Grundton präsentierte Nolans Reset nun einen gebrochenen Titelhelden (Christian Bale), dessen Traumatisierung er mit weit ausholender Geste in verschachtelter Erzählweise – eine Spezialität Nolans – fokussierte.
Da Batman hier, dem Titel entsprechend, lediglich seinen Anfang fand, hatte die eigentliche, hastig ans Ende gesetzte Konfrontation mit den Superschurken Scarecrow und Ra’s al Ghul fast den Anschein einer bloßen Konzession an die Logik des Blockbusters – und eines vertröstenden Versprechens, das erst mit „The Dark Knight“ seine Erfüllung findet. Diese aber von erster Minute an mit Nachdruck: Ein im gleißenden Tageslicht so atemberaubend in Szene gesetzter wie durchgeführter Banküberfall führt den Joker (Heath Ledger) als aasig-sardonischen, an Geld- oder Machtzugewinn schmerzlich desinteressierten Superverbrecher ein und gibt zugleich den Takt des Filmes vor.
Rasant sind nicht nur die technisch schwer auftrumpfenden, erstmals in der Geschichte des Spielfilms im kuppelfüllenden IMAX-Verfahren gedrehten Actionorgien mitten im Zentrum des Drehortes Chicago. Auch der Plot hechtet atemlos von einer Etappe zur nächsten und verkettet dieses Übermaß an Storydichte, im Gegensatz zum diffusen „Spider-Man 3“, doch zu einem funktionierenden Gebilde. Wenn Bruce Wayne, Batmans Alter Ego (oder, eben, umgekehrt), eine Sinn- und Liebeskrise durchlebt, mit dem Staatsanwalt Harvey Dent (Aaron Eckhardt) gemeinsame Sache macht, die Machenschaften eines mafiösen Wirtschaftskriminellen nach Hongkong führen, der Joker in Gothams Unterwelt derweil Bambule macht, während die Abteilung für Innovation bei Wayne Enterprises neueste technologische Gadgets ausspuckt und die ganze Stadt zusehends zur Geisel des Jokers gerät, und wenn sich all dies – und vieles mehr – ein ums andere Mal in einen klar definierten Gesamtbogen fügt, so scheint der alte Vorwurf der Comic-Nerds, ein einfacher Spielfilm könne grundsätzlich nicht die Plottiefe ambitionierter Comics entwickeln, endgültig vom Tisch. Um den Preis allerdings, dass die Montage hier noch bei Spieldauer von prall gefüllten zweieinhalb Stunden die Ortswechsel häufig erratisch, oft genug irritierend vollzieht.Doch mag dies auch der Thematik des Films geschuldet sein: Unberechenbarkeit. Stiftete Batman sich im ersten Teil noch als Symbol zur Stärkung des Guten, verhält sich der Joker dazu schlicht als Antithese: Mit einfachsten Mitteln und ohne Rücksicht auf Verluste und sich am allerwenigsten stiftet er Chaos und Massenpanik, um die verkommensten Seiten des Menschen zum Vorschein zu bringen und dies allein zum Zweck der Erosion jeder gesellschaftlicher Ordnung. Das Superverbrechen, wie einst bei Mabuse, als makabres Spiel: Wetten, dass die Stadt im Chaos versinkt?
Diese dialektische Verwobenheit von Batman mit seinen Gegenspielern ist nicht neu. Schon im ersten Batmanfilm von Tim Burton brachten sich Joker, damals noch Jack Nicholson, und Batman gegenseitig hervor. Burton lehnte sich damit an den Comicautor Frank Miller an, dessen Meisterwerk „The Dark Knight Returns“ 1986 die Frage durchspielte, ob nicht gerade der Superheld überhaupt erst den Superschurken spiegelbildlich hervorbringt.Neu in „The Dark Knight“ ist allerdings die völlige Kompromisslosigkeit, mit der diese Relation nun auch im Film umgesetzt wird. An das naive Konzept des Superhelden, der für simpelste Traumabewältigung Straßengauner zur Strecke bringt, erinnert hier nichts; das Auftreten des Jokers – sowohl als Figur als auch hinsichtlich seines Habitus – erklärt sich hier mit nichts außer dem bloßen Auftreten Batmans als Etappe einer eskalierenden Spirale. Eine origin story bleibt ihm gleich völlig vorenthalten: Der Joker – vom kurz nach den Dreharbeiten verstorbenen Heath Ledger mit unglaublicher Präsenz verkörpert- ist so frei von persönlichen Interessen wie von einer Herkunft oder biografischen Erzählung, getrieben allein von einer ausufernden Lust an der Destruktion, vulgär-nietzscheanischer Nihilismus in Person. Ein Geist, der stets verneint, in seinem eigentlichen Element.
Die Konsequenz, mit der „The Dark Knight“ diesen Willen zur Zerstörung auf die Leinwand bringt, ist schlicht beeindruckend. Selbst noch auf dem Feld des Blockbusters ist dieser ein Mega-Vetreter seiner Zunft, eine Art Mega-Wunscherfüllungsmaschine, deren Sog selten gesehene mitreißende Qualitäten aufweist: So rasant, so elegant, so diskursiv aufgeladen, so kompromisslos düster bis noch ins kaum als solches bezeichenbare Happy End war zuletzt kaum ein Beitrag zur kostspieligsten aller Unterhaltungsformen. Die grimmige Ernsthaftigkeit, die jüngst im Horrorkino um sich griff, scheint nun auch im Popcorn-Kino als Ausdruck gegenwärtiger Befindlichkeiten angekommen.
Dieser Text erschien zuerst am 20.08.2008 in: perlentaucher.de
The Dark Knight
USA 2008
Regie: Christopher Nolan – Darsteller: Christian Bale, Michael Caine, Heath Ledger, Gary Oldman, Aaron Eckhart, Maggie Gyllenhaal, Morgan Freeman, Eric Roberts, Cillian Murphy – FSK: ab 16 – Länge: 152 min. – Start: 21.8.2008
Thomas Groh, Jahrgang 1978, lebt seit 1997 in Berlin, ist Redakteur bei Deutschlandfunk Kultur und schreibt u. a. für die taz, den Tagesspiegel, den Perlentaucher und weitere Medien über Filme. Im Netz anzutreffen ist er in seinem Blog und auf Twitter.