In der Systemkonkurrenz der großen Superhelden-Franchise-Unternehmen machen DC und Warner einiges anders als Marvel und Disney. Mit bislang nicht ganz so großem Erfolg an den Kassen wie der Avengers-Guardians-of-the-Galaxy-etc.-Marvel-Mischmasch, aber klein ist er auch wieder nicht. Vor allem aber: mit mehr Freiheit für den einzelnen Film und beim einzelnen Film für Drehbuch und Regie. Bei Marvel gibt es eine nicht völlig unflexible Marken-CI, Humor gehört immer dazu, im Zentrum: möglichst großes Spektakel. Wer gerade Regie führt, ist nicht so wahnsinnig wichtig.
Wie Marvel mit seinem Marvel Cinematic Universe (MCU) hat auch Warner/DC einen jahrzehnteübergreifenden Welteroberungsplan. Er trägt den Namen DC Extended Universe, der Startpunkt war Zack Snyders mit einiger Christopher-Nolan-Beteiligung umgesetzter Superman-Neustart unter dem Titel „Man of Steel“: ein atemberaubendes Werk mit viel Pathos und von geradezu wagnerianischer Wucht.
Weiterer Höhepunkt: James Wans „Aquaman“, ein Atlantis-Update in eher romantische Richtung, ein fantastisches Gewimmel maritimer Tier- oder Was-auch-immer-Wesen.Und dann tat DC im vierten Film seines Extended-Universe-Franchise etwas, das im Jungs-Genre des Superhelden-Comics im Business noch immer als großes Wagnis galt: Man stellte eine weibliche Superheldin ins Zentrum eines Films und überließ für „Wonder Woman“ mit Patty Jenkins tatsächlich einer Frau die Regie. Mit so enormem Erfolg, dass Marvel 2019 mit Anna Boden und „Captain Marvel“ (dem immerhin schon 21. MCU-Film) und 2020 mit „Black Widow“ und Cate Shortland nachzog.
DC ist da schon einiges weiter, wie der 2020 noch vor Corona in die Kinos gekommene „Birds of Prey (And the Fantabulous Emancipation of One Harley Quinn)“ zeigt. Er hat weniger eingespielt als erhofft, viele gaben dem barocken Titel die Schuld.
Zwar ist der Film eine Origin-Story der Frauen-Gang Birds of Prey, aber der Titel führt etwas in die Irre, denn frontal im Zentrum des Ganzen steht die von Margot Robbie mit Haut, Haar, dreckigem Mundwerk, Tattoos und flashy Kleidung (aber nicht im klassischen Harlekin-Kostüm) verkörperte Harley Quinn – die sich hier von ihrem Ex, dem Superschurken Joker, emanzipiert.
Der Film ist durchweg von Quinn erzählt, maliziös-bissig-witzig im Ton, sehr spielerisch springt die Geschichte dabei vor und zurück. Die Einheitlichkeit dieser Stimme verdankt sich dem Drehbuch von Christina Hodson, seit Kurzem extrem viel beschäftigter Shootingstar in diesem Business.Regie führt die Chinese-American Cathy Yan, die erst mal an renommiertesten US-Universitäten zwei Abschlüsse machte, einen in Wirtschaft, einen in Kunst, bevor sie sich nun der siebenten Kunst zugewandt hat. Robbie, die produziert, Hodson und Yan: eine Gang, die den Heldinnen ihrer Geschichte in sehr wenig nachstehen.
Viele der Jungs, an die sich das Genre sonst richtet, hassen den völlig unverblümt feministischen Film (man lese dazu nur die User Reviews bei der IMDB). Dessen Heldinnen räumen am Ende sehr gründlich auf, auch mit dem von Ewan McGregor mit viel Gusto gespielten hypernarzisstischen Schurken, der mit Vorliebe Skalps und Gesichter abzieht.
Der wird nach dem Niedermetzeln seiner Männerarmee durch die Frauengang zu guter Letzt buchstäblich in der Luft zerfetzt. Es kommt also, wer die Kämpferei liebt, nicht zu kurz, aber der Kern ist doch: sich vereinende Frauenpower in Gotham City. Der Plot: nicht so wichtig. Viel Fun: wird gehabt. Und das Klischee vom Männergenre Superhelden-Comic ist endgültig über den Haufen gerannt.
Diese Kritik erschien zuerst am 20.07.2020 in der taz.
Hier gibt es eine weitere Kritik zu „The Birds of Prey“.
Birds of Prey: And the Fantabulous Emancipation of One Harley Quinn
USA 2019
R: Cathy Yan – B: Christina Hodson – P: Margot Robbie, Bryan Unkeless, Sue Kroll – K: Matthew Libatique – Sch: Jay Cassidy, Evan Schiff – M: Daniel Pemberton – V: Warner Bros. Pictures – D: Margot Robbie, Mary Elizabeth Winstead, Ewan McGregor, Jurnee Smollett-Bell, Rosie Perez, Chris Messina, Ella Jay Basco – Verleih: Warner Bros. – L: 109 Min – FSK: 16 – Kinostart: 06.02.2020
Ekkehard Knörer, geboren 1971, in Würzburg, Austin (Texas) und Frankfurt (Oder) Deutsch, Englisch, Philosophie, Kulturwissenschaften studiert. Promoviert zur Theorie von Ingenium und Witz von Gracián bis Jean Paul. Von 1998 bis 2008 die Filmkritik-Website Jump Cut betrieben. Texte zu Film, Theater, Literatur für Perlentaucher, taz, Freitag, diverse andere Medien. Seit 2012 Redakteur, seit 2017 auch Mitherausgeber des Merkur. Ebenfalls Mitherausgeber des Filmmagazins Cargo.