Die Sonne brennt erbarmungslos – „Lone Ranger“

© Walt Disney

Der Mythenvorrat des alten, des wilden Westens ist längst geplündert, ausgestopft, familienfreundlich inventarisiert und aufbereitet. Strahlende Helden in sauberen Hemden reiten durch die Prärie, kleine Jungs kleiden sich in samtene Cowboy-Uniformen – alles warenförmig geronnen, losgelöst von der existenziellen Erfahrung des nation building auf der einen, der nahezu völligen Zerstörung indigener Kulturen auf der anderen Seite. Der wilde Westen als Ausstellungsstaffage: So stellt sich die Situation dar, als der „Lone Ranger“ – die Figur aus der Popgeschichte, nicht dieser Film – erstmals in Erscheinung tritt, zunächst in Radio-Hörspielen (Wikipedia spricht von knapp 3000 Episoden!), dann in einer Fernsehserie. Es ist eine Figur, die vom motivischen und ästhetischen Bruch im Genre, der spätestens mit den italienischen Western der 60er auf dramatische Weise kenntlich und bestimmend wurde, noch völlig unbeleckt ist. Der zorro-artig maskierte Held kämpft für das Gute, ein Indianer steht ihm aus Gründen der Ehre verbunden zur Seite. Ganz ohne grobes Textil und Schmutz und Grind, dafür mit der jecken Wilhelm-Tell-Ouvertüre im Gepäck (seitdem in den USA kaum noch mit Schweizer Nationalhelden in Verbindung gebracht), bestreitet ein Westerner buchstäblich aus dem Bilderbuch so manches Abenteuer.

© Walt Disney

Es ist aber auch die Situation, mit der „Lone Ranger“ – jetzt tatsächlich Gore Verbinskis Western, sein zweiter Versuch, nach dem Piratenfilm „Fluch der Karibik“ ein zu den Akten gelegtes Trivialfilm-Konzept mit den Mitteln des Blockbusters ins heutige Kino zu transponieren – in Form einer Rahmung anhebt: Da streift ein kleiner, cowboyhut- und spielzeugpistolen-bewährter Junge des noch jungen 20. Jahrhunderts staunend durch eine jahrmarktförmige Ausstellung, die den alten Westen in einer Doppelbewegung heranholt und, durch ihre leblos geronnene Gestalt, auf Distanz bringt. Sogar einen ausgestopften Indianer von methusalem-artigem Äußerem hat man… doch halt, die Figur, so unwahrscheinlich es auch klingt, blinzelt, lebt, fängt, wenn auch wirr, zu erzählen an, gibt sich als Johnny Depp unter Falten werfendem Seniorenlatex, mithin als Tonto, der treue Begleiter des „Lone Rangers“, zu erkennen. Der Tonto? Der Lone Ranger? So gebannt wie ungläubig hört der Junge zu, gebannt halluziniert das Publikum vom alten Westen, den dieser unzuverlässigste Erzähler der aktuellen Blockbuster-Saison zahnlos und johnny-depp-wirr murmelnd heraufbeschwört.

Im frühen 21. Jahrhundert ist vom Rohstoff der zentralen Kinomythen des frühen 20. Jahrhunderts nicht mehr ohne weiteres zu erzählen. Verbinski wählt eine erzähltechnische Verschachtelung, die – vielleicht ähnlich wie die besten Folge der Sitcom „How I met your Mother“ – stets kenntlich macht, dass man den Bildern und erst recht dem Handlungsablauf niemals trauen kann, und sich gleichzeitig als Amalgam sowie als zur Filmgeschichte verhaltende Positionierung zu erkennen gibt. Um eine bloße Reprise fernsehnostalgischer Kindheitserinnerungen handelt es sich gerade nicht, vielmehr gibt sich „Lone Ranger“ in vielerlei Belangen als drastische Umformung des Stoffs zu erkennen, schon auch, weil nun Tonto – natürlich schon aus Gründen der Star-Ökonomie: einen Johnny Depp setzt man nicht einfach in der zweiten Reihe ab – dem Filmtitel zum Trotz die Hauptfigur darstellt, die zudem zur alten Tonto-Figur, vom Namen abgesehen, kaum noch ein Verhältnis unterhält. War diese noch ein nobler Wilder von stoischem Gemüt, ist Depps Tonto eine auch maskentechnisch recht bizarre Figur – der Ästhetik heutiger urban-primitivistischer Subkulturen näher als den alten Westernstoffen mit ihren grinsenden Helden aus der Zahnpastawerbung. Ein solcher durch und durch ist Armie Hammers Lone Ranger, doch ist er als handelndes Subjekt in dieser Geschichte entthront: Ganz im Gegenteil ist er als zu Beginn reichlich naiver Staatsanwalts-Aspirant mit hochphilosophisch begründeten Idealen von der zivilsierenden Kraft gerecht gesprochenen Rechts in der Frontier-Welt, die „Lone Ranger“ zeigt, mit seinem Buchstabenwissen herzlich deplatziert. Wie jeder gute Held muss auch er erst einen Tod sterben, um als Held wiedergeboren zu werden – dies in einer Geschichte, die vor allem Tontos Rache an einem Haufen Gangster mit ganz wunderbar widerwärtigen Visagen fokussiert.

© Walt Disney

Was sich in Tontos Gesicht abzeichnet – die Liebe zur Krustentextur, zum Detail von Riss und Schmutz – gilt für den ganzen Film, der eine in Schmutz und Staub erstarrte Welt zeigt, in der sich die lebensweltlichen Vorzüge der Zivilisation in nur wenigen Nischen zeigen. Eindeutig steht „Lone Ranger“ diesseits einer von der Achse des Italowestern zweigeteilten Filmgeschichte und blickt von dort zur anderen Seite hinüber. Und zumindest ästhetisch ist das für den Westernliebhaber – ganz anders als Tarantinos zumindest halb missratener „Django Unchained“ – ein gewaltiges Geschenk: Die Landschaften sind weit, die Canyons tief, die Dampfloks schön und die Sonne brennt dazu erbarmungslos vom Himmel, während der Score des im heutigen Hollywoodkino leider unvermeidlichen Hans Zimmer immerhin immer wieder von den eigenen fürchterlichen Klangsignaturen absieht, um sich von Ennio Morricone inspirieren zu lassen. Sogar ein, zwei Bildzitate aus Alejandro Jodorwoskys bizarrem Acid-Western „El Topo“ gibt die Recherchetiefe her. Und wer völlig begeistert ist, sieht im finalen Konflikt – in dem es um den unguten Filz zwischen Ressourcen-Raubbau, Landerschließung, Militär und Kapitalismus geht – womöglich einen versteckten Seitenhieb auf den letzten großen Krieg der USA.

Was Verbinskis letzten Piratenfilmen zum Vorwurf gemacht wurde – das Durcheinander einer an unübersichtlichen Actionszenen besoffenen, unbalancierten Gemengelage -, trifft auf „Lone Ranger“ nicht zu: Geschichte, Atmosphäre, Action verhalten sich ausgewogen zueinander – lediglich der operettenhafte Showdown liefert in seinem auch parodistischem Überschuss zu viel des nicht mehr Guten. Dass Johnny Depp seine Nummer des wirren Narren nach vier Jack-Sparrow-Auftritten ziemlich mechanisch runterrasselt, sei dabei glatt verziehen. Der eigentliche Star dieses Films bildet sich aus dem Genre, dem Dekor, der Landschaft – im Grunde: Kintopp. Ein schöner Abenteuerfilm.

Dieser Text erschien zuerst am 07.08.2013 in: perlentaucher.de

Lone Ranger
(The Lone Ranger)
USA 2013

Regie: Gore Verbinski – Drehbuch: Ted Elliott, Justin Haythe, Terry Rossio – Produktion: Jerry Bruckheimer – Kamera: Bojan Bazelli – Darsteller: Johnny Depp, Armie Hammer, Helena Bonham Carter, William Fichtner, Tom Wilkinson, Barry Pepper, James Badge Dale, James Frain, Ruth Wilson, Leon Rippy, Matt O’Leary, W. Earl Brown, Harry Treadaway, Mason Cook, Damon Herriman – 149 Minuten – Start(D): 08.08.2013 – FSK: ab 12 Jahre

Thomas Groh, Jahrgang 1978, lebt seit 1997 in Berlin, ist Redakteur bei Deutschlandfunk Kultur und schreibt u. a. für die taz, den Tagesspiegel, den Perlentaucher und weitere Medien über Filme. Im Netz anzutreffen ist er in seinem Blog und auf Twitter.