Fast jede und jeder, der oder die älter als 40 ist, hat seine possierlichen weißen, rundlichen Knollennasenmännchen und -frauchen, die weder Ohren noch Mund haben, wohl bis heute vor Augen. Seine Frauen- unterscheiden sich von seinen Männerfiguren ausschließlich dadurch, dass sie Brüste haben bzw. zwei kleine Wölbungen an ihrem Oberkörper spazierentragen. Wenngleich es Zehntausende von Zeichnungen von ihm gibt: Aus der öffentlichen Wahrnehmung war der argentinische Zeichner Guillermo Mordillo in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten so gut wie verschwunden.
In den 70er und frühen 80er Jahren hingegen waren die in der Regel in knallbunten psychedelischen Farben gehaltenen Cartoons, die stets ohne Worte auskamen und nicht selten einen hintersinnigen, melancholischen Witz hatten, allgegenwärtig. Die Themen, denen der Künstler sich zumeist widmete, waren nicht jene, mit denen man beim Publikum aneckte, vielmehr ging es um die Liebe, die Einsamkeit, die Sehnsucht nach einem Gegenüber, Freundschaft, das Alleinsein, Zwischenmenschliches.
Am herzlichsten lachen, meinte Mordillo wiederholt, könne er über Tiere und Babys. Nicht wenige seiner Bilder sind mit Tieren bevölkert. Insbesondere die immer wieder in seinen Zeichnungen auftauchende Giraffe – selbstverständlich ebenfalls mit Knollennase – dürfte den meisten noch präsent sein.
„In seinen Zeichnungen ist so viel Zärtlichkeit und so viel Liebe verborgen, dass wir zu hoffen beginnen angesichts des unausweichlichen Schicksals, das über unseren Köpfen hängt“, sagte einst der Pantomime Marcel Marceau. Tatsächlich sind, betrachtet man etwa den grimmigen, sarkastischen Witz einiger seiner Zeitgenossen, Mordillos Bilder, so verspielt und skurril sie auch sein mögen, von geradezu ausgesuchter Harmlosigkeit. Sie transportieren Hoffnung und ein zutiefst positives Menschenbild. Nicht auszuschließen, dass gerade das zu ihrem großen weltweiten Erfolg beigetragen hat.Im Alter von vier Jahren fing der 1932 geborene Mordillo mit dem Zeichnen an. Schon im Kindesalter wollte er Trickfilmzeichner werden. Mit 15 verdiente er zum ersten Mal Geld mit Bildergeschichten. Zu Beginn seiner Karriere, in den 50er Jahren, illustrierte er vor allem Kinderbücher. Später arbeitete er eine Zeit lang als sogenannter Art Director bei einer Werbeagentur in Peru.
Anfang der 60er Jahre ging er zunächst nach New York, um einige Jahre als „Assistent für Animation“ in der US-amerikanischen Trickfilmbranche tätig zu sein, bevor er 1963 – ohne jede Kenntnis der französischen Sprache – in seinen späteren Wohnort Paris zog, wo er heiratete und eine Familie gründete und schließlich große Publikumszeitschriften nach und nach damit begannen, seine aufwendig kolorierten Cartoons abzudrucken, die weder Sprechblasen noch anderen Text enthielten und die man dennoch oder gerade deswegen auf der ganzen Welt verstand. „Weil ich die Sprache noch nicht konnte, machte ich die Zeichnungen durch die Umstände bedingt ohne Worte“, sagte er vor einigen Jahren in einem Interview mit der taz.
Ende der 60er Jahre fing auch die deutsche Illustrierte Stern an, Mordillos Arbeiten zu veröffentlichen. In den 70ern wurde er der erfolgreichste Cartoonist der Welt, seine Knollennasenfiguren kannte man in Asien und Amerika ebenso wie in Europa. In jener Zeit entstanden sogar kurze Trickfilme fürs deutsche Fernsehen.
Der Tageszeitung Die Welt sagte er 1976, auf dem Höhepunkt seiner Karriere: „Ich nehme meine Arbeit sehr ernst. Mein oberstes Ziel ist es, die Leute zum Lachen zu bringen. Ich mache meine Zeichnungen mit viel Liebe und Zärtlichkeit, und ich glaube, dass man das auch merkt.“
Mordillo dürfte einer der ersten Künstler in Europa gewesen sein, dessen Cartoonfiguren, vor allem in den 70er und 80er Jahren, in großem Stil auf Postern, Grußkarten, Kalendern, Puzzles und Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs abgebildet waren, die zum Verkauf angeboten wurden. Eine regelrechte Mordillo-Industrie entstand seinerzeit.
Am Samstag ist der Zeichner an seinem Wohnort Mallorca gestorben. Er wurde 86 Jahre alt.
Dieser Text erschien zuerst am 02.07.2019 in: Neues Deutschland
Thomas Blum, Jahrgang 1968, arbeitet seit 1999 als freier Autor für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften (u. a. Konkret, Berliner Zeitung, Stadtrevue Köln). Von 1999 bis 2011 war er in der Redaktion der linken Wochenzeitung Jungle World tätig. Seit 2013 ist er Redakteur im Feuilleton der Tageszeitung Neues Deutschland.