Als der alte Splitter Verlag im Jahr 2000 Konkurs anmelden musste, war dies auch der Todesstoß für einige laufende Serien. Davon war auch die hochvergnügliche Märchenparodie „Garulfo“ betroffen, von deren ursprünglich sechs Alben lediglich vier ins Deutsche übersetzt und publiziert wurden. Dieser Umstand wurde mittlerweile vom neuen Splitter Verlag bereinigt: Mit dem 2010 erschienen dritten Doppelalbum liegt die französische Reihe komplett auf Deutsch vor. Zeit für eine Neuentdeckung.
Es geht um den titelgebenden Frosch Garulfo, der sich nichts sehnlicher wünscht, als endlich ein kultivierter Mensch zu werden. Und es geht um seinen menschlichen Antagonisten Prinz Ronaldo, der – für einen Prinzen eine Selbstverständlichkeit – ein dünkelhaftes Dreckschwein ist. Beide verbindet ein Fluch (der natürlich kathartischen Zwecken dienen soll): Durch den Kuss einer Prinzessin verwandelt sich Garulfo in die Gestalt Ronaldos (allerdings weit weg von dessen Königreich, weswegen auch das Umfeld wenig mit dem seltsamen Habitus des Fremdlings anzufangen weiß), so wie sich Ronaldo urplötzlich in Froschgestalt wiederfindet. Allerdings, und das gilt auch für die LeserInnen, wissen beide zunächst nichts von ihrer Gemeinsamkeit.
Märchenhaftes Setting, brutale RealitätDie ersten zwei Alben widmen sich zunächst ihren jeweiligen Einzelschicksalen. Und wie behände Autor Alain Ayroles die auf den ersten Blick vielleicht disparaten Elemente des Märchens, der Parodie, der Fabel, des Epos, der Satire, des Cartoons und ja, auch des Melodrams vereint (ähnlich konzipiert ist auch seine im zunehmenden Verlauf sich allerdings immer stärker verfransende Serie „Mit Mantel und Degen“), ist ein reines Lesevergnügen.
Dass dieses Zusammenspiel funktioniert, liegt vor allem am fabulierfreudigen Wortwitz und den detailverliebten Bildern Bruno Maioranas, die sich deutlich, von den dickeren Konturen abgesehen, klassisch-funnyorientiert im Geiste Franquins präsentieren. Allerdings entwickeln sie die Komik weniger aus der Bewegung, sondern stärker aus der Blickführung und der Bildmontage – und bleiben dabei ziemlich ambivalent. Denn was zunächst recht niedlich und unaufdringlich daherkommt, kann bereits auf der Folgeseite monströse Ausmaße erlangen. Das passt ideal zum Inhalt: Das märchenhafte Setting, das von Zitaten und Verfremdungen nur so birst und von sprechenden Tieren, Feen, Kobolden, Orgas und weiteren Archetypen bevölkert ist, steht immer wieder im Kontrast zur knallharten Realität des Mittelalters (und der Natur: Nur weil die Tiere miteinander menschlich kommunizieren, bedeutet dies noch lange nicht, dass sie sich nicht gegenseitig fressen müssten).
Glücklich bis ans Ende ihrer Tage? Von wegen!
Diese Realität besteht aus Armut, Aberglaube und Barbarei, aus Hungersnöten, Herrschaft und Gewalt. Eine düstere Erkenntnis für Garulfo, der alsbald so schnell wie möglich wieder Frosch sein möchte. Dieser Prozess wird teils mit erdrückender Traurigkeit vorangetrieben, so wenn Garulfos guter Freund, eine Ente, unvermittelt und gut gefüllt auf dem Speisetisch landet und ihm als Delikatesse dargereicht wird. Umso bedrückender ist denn auch die gesetzte Akzeptanz, mit der sowohl Tier als auch Mensch ihrem Schicksal begegnen: Gewöhn dich besser daran, denn besser wird es nun mal nicht, lautet das Credo der besten Gags und herzzerreißenden Situationen gleichermaßen.
Nein, weder in der Märchen- noch in der realen Welt ist alles in Ordnung. Aber diese Einsicht wird nicht mit Schwermut vermittelt. Immerhin will auch ein Märchen erzählt werden, da gilt es das Herz einer Prinzessin zu erobern oder die ästhetische Natur eines Ogers kennenzulernen. Die Schwermut ist eher insgeheim mit an Bord, vergleichbar den besten Pixar-Filmen, in denen zwar auch stets das Herz obsiegt, aber erst nachdem es die düstere Schule der Melancholie durchlaufen ist. Bei Pixar ist das treibende Moment der Verlust eines Traums und wie er sich unter neu zusammengesetzten Vorzeichen realisieren lässt, in der Regel eine Initiation. In „Garulfo“ ist die Realisation des Traums die letztliche Erfüllung der Konvention des Märchens. Aber dass sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage leben werden, ist schwer zu glauben. Denn geändert haben sich allenfalls die Figuren, nicht aber die Welt, die ihnen zuvor so schwer zu schaffen machte.
Dieser Text erschien zuerst am 15.02.2010 in: Der Tagesspiegel
Sven Jachmann ist Comic.de- und Splitter-Redakteur und Herausgeber des Filmmagazins filmgazette.de. Beiträge u. a. in KONKRET, Tagesspiegel, ND, Taz, TITANIC, Junge Welt, Jungle World, Das Viertel, Testcard sowie für zahlreiche Buch- und Comicpublikationen und DVD-Mediabooks.