Tolle Atomwaffen – „80 Jahre Marvel: Die 1950er“

Art Spiegelman hat einmal mehr gezeigt, wie politisch Comics sind. Sein aktueller Essay über die Marvel-Comics des Golden Age enthielt einen Seitenhieb auf Donald Trump, und dieser Kommentar veranlasste Marvel, den Beitrag nicht zu drucken. Die politische Dimension von Comics demonstriert auch die 80er-Jahre-Jubiläums-Reihe von Marvel: Der zweite Band über die 1950er Jahre widmet sich dem Thema „Helden in Zeiten des Kalten Krieges“.

„80 Jahre Marvel: Die 1950er Jahre“.
Panini, Stuttgart 2019. 180 Seiten. 26 Euro

Dass die Superhelden vieler US-Verlage sich in den 1940er Jahren politisiert haben, ist bereits Gegenstand vieler Untersuchungen zu Propaganda zur Zeit des Zweiten Weltkriegs im Medium des Comic geworden – am anschaulichsten bleibt dies am Falle des berühmten Covers der ersten Captain-America-Ausgabe aus dem März 1941, auf dem Captain America Adolf Hitler einen Kinnhaken verpasst.

Captain America war während des Zweiten Weltkriegs überaus populär, die Serie wurde aber mit #75 im Februar 1950 eingestellt. Im Dezember 1953 wurde die Figur in der Marvel-Serie „Young Men #24“ wieder eingeführt, kurz darauf, im Mai 1954, reanimierte man auch die eigenständige „Captain-America“-Serie mit der Titel-Phrase „Captain America … Commie Smasher“. Die verlegerische Zuversicht hielt aber nicht lange an, und im September desselben Jahres wurden Cap und Bucky wieder in den zeitweisen Ruhestand versetzt – für den Rest des Jahrzehnts. Die 1950er sind weder für Marvel (damals noch Atlas Comics) noch für Captain America ein erfolgreichstes Jahrzehnt gewesen. Dass in diesem Band nun ausgerechnet diese zehn „erfolglosen“ Geschichten um Captain America von 1953 und 1954 als repräsentativ für die 1950er Jahre versammelt sind, ist erstaunlich, erlaubt aber auch einen Blick auf die politisierte Unterhaltungsindustrie zur Zeit der Red Scare.

Wir sehen Cap und Bucky voller Bewunderung für die (eigenen) Atomwaffen („Toller Anblick!“ – „Solange es unsere Seite ist, die so für den Frieden kämpft!“) und in Sorge um die nationalen Geheimnisse. Kommunistische Spione, korrupte Diplomaten aus Russland oder Fernost, Feinde aus den Reihen der „Fünften Kolonne“ – die Comics illustrieren die ganze Bandbreite politischer Propaganda, nicht ohne den politischen Gegner desselbigen zu bezichtigen. Mit viel Vergnügen lässt sich das nicht lesen, aufschlussreich ist es dennoch. Dass dieser Ausgabe als Zugabe eine Kalter-Krieg-Geschichte um Captain America aus dem Jahr 2008 beigegeben ist, in der sich ein hochrangiger Politiker als roter Schläfer herausstellt, hätte der Trumpkritiker Art Spiegelman vielleicht als Ironie des Schicksals verstanden. Vor allem wegen des Titels: „Theater of War – America first!“

Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.