Die Mainzer Illustratorin Franziska Ruflair hat soeben ihre Fantasy-Hommage und -Persiflage „Adventure Huhn“ veröffentlicht. Wir präsentieren das Presse-Interview mit freundlicher Genehmigung des Avant-Verlags.
Liebe Franziska, vielen Dank, dass du dir die Zeit für uns nimmst. Normalerweise fragen wir an dieser Stelle unsere Autor*innen nach ihrem Comic-Werdegang, aber passend zum „Adventure Huhn“ würde uns eingangs eher interessieren: Was ist denn deine tragische Backstory?
Meine Backstory ist nicht wirklich tragisch, hat aber ein paar nette Plot Twists zu bieten. Comics fand ich eigentlich schon immer genial, und gezeichnet habe ich, seitdem ich einen Stift halten kann. In Mainz habe ich Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Illustration studiert und als meine Bachelorarbeit eine selbst geschriebene Graphic Novel umgesetzt. Mit knapp 300 Seiten (ca. 140 für den Bachelor, die restlichen nachgelagert während des Berufslebens in den Abendstunden) nicht gerade ein Leichtgewicht. Für diese wurde ich mit einem Finalistenplatz der Berthold-Leibinger-Stiftung prämiert. Abgesehen von zwei Kurzgeschichten ist „Adventure Huhn“ mein zweites Comicprojekt.
Dein Brotjob ist nicht das Comiczeichnen – du lebst als freie Illustratorin in Mainz und hast dir vor allem auf dem Feld des „Graphic Recording“ einen Namen gemacht. Kannst du uns etwas über diese Zeichentechnik erzählen? Welche Skills braucht man für diese Art des Live-Zeichnens? Haben dir deine Graphic-Recording-Erfahrungen auch bei „Adventure Huhn“ und deinen anderen Comicprojekten geholfen?
Graphic Recording lässt sich mit „visuelle Protokollführung“ übersetzen und kommt meist bei gesellschaftlich relevanten Themen wie Digitalisierung, New Work oder Städteplanung zum Einsatz. Konkret bedeutet es, dass ich live und in Echtzeit Unternehmen bei Events begleite und in Zeichnung und Text die Inhalte der Veranstaltung aufs Papier bringe. Zum Einsatz kommt diese Technik aber auch unternehmensintern im Kontext strategischer Visualisierungen. Diese sind ein Werkzeug, um Lösungen für Herausforderungen der heutigen Arbeitswelt gut im Unternehmen umzusetzen und in die Belegschaft zu tragen.
Graphic Recording erfordert ein sehr spezielles Set an Fähigkeiten. Man muss in einer Live-Situation zuhören, gleichzeitig strukturieren, filtern und die Essenz in Bildern und Worten aufzeichnen können. Der Kern dabei ist daher aufmerksames, aktives Zuhören und eine gewisse Schnelligkeit. In manchen meiner Recordings finden sich auch Hühner (wenn auch ohne Rucksack)! Ich würde sagen, es befruchtet sich gegenseitig.
„Adventure Huhn“ liest sich als dynamische, äußerst schlitzohrige Persiflage auf Fantasy-, Rollenspiel- und Point&Klick-Adventure-Tropen. Bist du Fantasy-Leserin oder gar Rollenspielerin? Was fasziniert dich an dem Genre und seinen Regeln?
Wer würde sich nicht manchmal wünschen, den Rucksack zu schnappen und raus in die Welt auf ein Abenteuer gehen zu können? Eine stringente Welt zu erschaffen, die genau das ermöglicht, ist meiner Meinung nach die große Stärke des Genres. Das finde ich spannend! Ich bin glühender Fantasy-Fan. In so ziemlich allen Formen, die das Genre zu bieten hat: ob als Buch oder Comic, ob in der Form von Pen&Paper-Podcasts, die ich beim Zeichnen höre, oder als Game. In meinem Work Space versuche ich mit einer Kollegin gerade einen wöchentlichen Magic The Gathering-Abend zu etablieren.
Welche klassischen Fantasy-Topoi und Regeln wolltest in „Adventure Huhn“ aufs Korn nehmen? Wie funktioniert Parodie im Fantasybereich für dich am besten?
Bei Parodien geht es primär darum, etwas ins Lächerliche zu ziehen. Daher würde ich das „Adventure Huhn“ nicht als Parodie einordnen. Es geht nicht darum, dem Genre die Hörner aufzusetzen – vielmehr sehe ich es als eine Liebeserklärung an den Stoff. Klischees bieten eine unfassbare Möglichkeit, Geschichten neuen Atem einzuhauchen. Wenn sich unser Held nicht durch Schwert, Zauber oder Verstand helfen kann – was stellt er oder sie denn dann an? Solche Überlegungen konsequent durchzuziehen, macht meiner Meinung nach eine interessante Geschichte aus.
Die Idee hinter „Adventure Huhn“ ist, archetypische Geschichten neu zu denken. In diesem Fall: Held hilft Prinzessin in Nöten und rettet das Königreich vor dem Bösen.
„Star Wars“, „Game of Thrones“, „Avatar“ – in den vergangenen Jahrzehnten waren die erfolgreichsten Franchises Fantasy- oder SciFi-Geschichten. Und trotzdem hat die Phantastik einen (den Comics nicht unähnlich) schlechten Ruch. Rollenspieler*innen sind antisoziale Nerds, Fantasyromane keine richtige Literatur, etc. Was glaubst du, warum das so ist? Und siehst du eine Entwicklung zu mehr Fantasy-Mut in den letzten Jahren?
Durch „Game of Thrones“ wurde es immerhin salonfähig, sich im Bus oder im Büro über Drachen zu unterhalten. Das ist doch schon mal ein Fortschritt. Woher der Ruch kommt, kann ich leider nicht beantworten. Aber in einer Welt, in der wir zunehmend mit Maschinen und Technologien arbeiten, die das Individuum nicht versteht, findet sich vielleicht mehr Platz für Magie im Alltag.
Kommen wir zu deinen beiden Heldinnen: Huhn und Susan, die übergroße nörgelige Raupe. „Adventure Huhn“ lebt von pointierten, bissigen Screwball-Comedy-Streitereien und Dialogen zwischen den beiden ungleichen Freundinnen. Wie wichtig ist ihre Freundschaft für deine Geschichte? Hattest du andere Buddy-Comedy-Stoffe vor Augen, als du deine Figuren entworfen hast?
Die Freundschaft zwischen Huhn und Susan ist das Herzstück der Geschichte. Meine Bürokollegin hat sehr scharfsinnig festgestellt: „Ohne Susan wäre das Huhn innerhalb von fünf Seiten tot.“ Auf der anderen Seite sorgt das Huhn aber dafür, dass Susan nicht versumpft, sondern ihr volles Potenzial ausnutzen und sich entwickeln kann.
Kannst du uns ein bisschen über deine Figuren erzählen? Wie kamst du auf sie?
Huhn ist davon besessen, eine Heldin zu werden. Sie hat nicht wirklich einen Plan, wie sie das schaffen soll, dafür aber umso mehr Motivation.
Eine Henne finde ich interessant, weil es ein sehr kleines Tier ist, das nicht viel ausrichten kann. Es ist nicht schnell, nicht stark und nicht besonders schlau. Es hat keine Klauen, keine Fangzähne und fliegen kann es auch nicht wirklich. Gleichzeitig wirken auf mich Hühner immer so, als hätten sie eine Mission – als hätten sie nie vergessen, dass sie einmal Dinosaurier waren. Rücksichtsloser Optimismus und Tatendrang sind ihre herausstechendsten Eigenschaften.
Susan ist das genaue Gegenteil. Sie ist eine Raupe, die es seit 30 Jahren nicht geschafft hat, sich zu verpuppen. Das schlägt ihr verständlicherweise aufs Gemüt! Mit sich selbst kommt sie nicht so gut zurecht und will nicht mehr, als endlich ein Schmetterling zu werden. Susans Zurückhaltung und „Unfertigkeit“ spiegelt sich daher auch in ihrem Design wieder. Als Raupe ist ihr Bewegungsspielraum sehr eingeschränkt und als Verteidigung dient ihr nur konsequentes Einrollen.
Beim Schreiben habe ich mir ein Konzept gesetzt, das der Geschichte zugrunde liegen sollte: Alle Rollen sind phänomenal fehlbesetzt. Unser klassischer Held ist ein schlichtes Huhn ohne besondere Fähigkeiten. Der treue Helfer ist chronisch genervt und möchte sich daheim verkriechen. Die Jungfrau in Nöten hat sehr eigene Ansichten, wie ihre Zukunft auszusehen hat und setzt diese auch mit fiesesten Tricks durch. Und die Schar böser Söldner würde eigentlich lieber stricken, Karten spielen oder sich auf Kunstausstellungen mit Birnensaft volllaufen lassen.
Dein Artwork, vor allem die Figuren mit ihrer oft minimalistischen und doch ausdrucksstarken Mimik, verrät Bezüge zu japanischen Manga und Anime. Welche Rolle spielt diese Comictradition für dich?
In Mangas werden Geschichten oft auch um einiges dynamischer erzählt als in den westlichen Comics (Panelaufteilung, Tempo). Davon habe ich mir auf jeden Fall etwas abgeschaut.
Absolut! Die Geschichte einer spannenden Heldin zu erzählen, war mir sehr wichtig! Als ich ein Kind war, gab es nur eine sehr begrenzte Palette weiblicher (Helden)figuren und meist auch nur eine sehr einseitige Darstellung dieser. Im schlimmsten Fall war die einzige weibliche Figur nur dazu da, den Hauptcharakter gut dastehen zu lassen oder als Love Interest zu dienen.
Heutzutage ändert sich das zum Glück langsam, auch wenn viele Serien, Filme und Bücher noch durch den Bechdel-Test hindurchrasseln (was natürlich nicht als einziger Indikator hinzugezogen werden sollte). Sei es nun Hilda, Hermine Granger oder Yennefer von Vengerberg – inzwischen gibt es viele tolle weibliche Figuren in den unterschiedlichsten Geschichten.
Und bleiben wir kurz beim Thema: Der Comic war früher – ob auf Seiten der Macher oder Leser – ein stark männlich geprägtes Medium. Seit einigen Jahren erscheinen in Deutschland vermehrt Comics von Zeichnerinnen und/oder Autorinnen. Wie nimmst du diese Entwicklung wahr? Gibt es noch Luft nach oben? Was kann man tun, um noch mehr Mädchen und Frauen für Comics zu begeistern?
Großes Thema! Ich kann nur Vermutungen anstellen, aber um eine Querverbindung aus meinem beruflichen Alltag zu ziehen: Wenn es um den weiblichen Nachwuchs in Führungspositionen geht, wird oft die Rolle des Mentorings und weiblicher Vorbilder hervorgehoben. Voneinander lernt es sich am besten. Durch weibliche Autorinnen wird zwangsläufig eine entsprechende Perspektive breiter bekanntgemacht. Dadurch erweitert sich das thematische Spektrum des Comics und davon können alle profitieren. Zudem haben durch Manga eine ganze Generation von Menschen einen Zugang zum Comic erlebt – besonders Mädchen und Frauen. Das freut mich sehr.
Eigentlich habe ich das getan, was jede*r Autor*in macht: Ich habe eine Geschichte geschrieben, die ich selbst gerne lesen würde. Das erste Mal, als ich von meinem Verlag die Kindercomicveranstaltungen vorgeschlagen bekommen habe, habe ich mich sogar ein wenig erschreckt. Ich hatte „Adventure Huhn“ nie als Kindercomic gesehen. Manche Witze funktionieren erst für Erwachsene, die einen gewissen Fundus an Wissen über klassische Fantasy haben.
Dann habe ich aber darüber nachgedacht, was ich als Kind oder Jugendliche gerne gelesen habe. Viele Bücher mag ich heute immer noch sehr – wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen. Und ich denke, Humor funktioniert über (fast) jedes Alter hinweg. Manche Stellen werden für Kinder deutlich witziger sein, manche für Erwachsene. Natürlich freue ich mich daher umso mehr, wenn ich junge Comicleser*innen für diese Erzählform begeistern kann.
Wenn du auf der letzten Seite deines epischen Abenteuers nach dem obligatorischen ENDE ein „Für den Moment…“ anfügst, ist das nur ein weiteres augenzwinkerndes Spiel mit dem Genre und den Leser*innenerwartungen, oder planst du tatsächlich schon die nächsten Abenteuer von Huhn und Susan?
Aktuell arbeite ich bereits am zweiten Teil und hoffe, mein kleines Huhn noch auf viele weitere Abenteuer schicken (und scheitern lassen) zu können. Ich habe ein Notizheft, worin ich mir alle möglichen Ideen für Geschichten, Charaktere oder Gags notiere. Konzepte habe ich dabei für 2–3 weitere Bände und würde mich freuen, diese Welt Stück für Stück weiter erzählen zu dürfen. „Adventure Huhn“ ist ein echtes Herzensprojekt, daher kann und will ich auch kein Ende planen. Zumindest: „Für den Moment…“
Und zum Schluss noch drei Quickies: Bester Fantasy-Bösewicht ever?
Dolores Umbridge (aus „Harry Potter“). Gerade weil sie kein Evil Overlord, sondern auf eine sehr menschliche Art grausam ist.
Bester Abenteurer-Snack?
Mangostreifen.
Schlimmste Fantasy-Hochzeit ever?
Unangefochten die „Red Wedding“ aus „Game of Thrones“.