Von der Geschichtsschreibung übersehen – „Der zweite Mann“

Quasi mitten in der Nacht des 20. Juli 1969, für viele eher gesagt in den frühen Morgenstunden des 21. Juli, versammelte sich die ganze Welt vor den Fernsehern und verfolgte in wackligen Schwarz-Weiß-Bildern und knisternder Tonübertragung ein Jahrhundertereignis. Neil Armstrong schwang sich da beherzt auf eine staubige Oberfläche und verkündete seine berühmt gewordene Botschaft von den Schritten für Mensch und Menschheit. Erst als zweiter Mann durfte dann sein Kompagnon Buzz Aldrin, Pilot des Mondmoduls, den Mond betreten (während Michael Collins die ganz schlechte Karte gezogen hatte, gar nicht aussteigen zu dürfen, sondern im Orbit auf die Landpartie warten zu müssen). Ich selbst verpasste die Übertragung damals ganz knapp, nachdem ich erst im August des Jahres 1969 nicht den Mond, sondern die Erde betrat, aber Peter Eickmeyer durfte als Knirps die Sache verfolgen und frönt seitdem einer Faszination für Raumfahrt im Allgemeinen und Mondlandung im Besonderen.

Peter Eickmeyer (Autor und Zeichner): „Der zweite Mann, Band 1“.
Splitter Verlag, Bielefeld 2019. 56 Seiten. 15 Euro

Dieses Faible setzt er nun in einer zweibändigen Graphic Novel um, die eben nicht den sattsam berühmten Pionier, sondern den Piloten Aldrin in den Mittelpunkt stellt. Angefangen von einem kleinen Zwischenfall, in dem Aldrin 2002 einem Verschwörungstheoretiker, der wie nicht wenige die Wahrhaftigkeit der Landung anzweifelt, ordentlich eins überzieht, entrollt Band 1 in großzügigen Schritten den Weg bis zur Landung – vom Beginn des space race über die Erfolge der Russen, die die USA mit Sputnik und Juri Gagarin traumatisierten und JFK Anfang der 60er zur Aussage bewogen, Amerika werde noch in dieser Dekade den Mond erreichen. Die Fortschritte des Gemini-Programms werden dabei überlagert von Rückschlägen wie der Brandkatastrophe auf dem Testgelände des Apollo-Programms, während der 1967 die gesamte Crew in der Kapsel umkam.

Der erfahrene Jetpilot Aldrin tritt bald ins NASA-Programm ein und absolviert alle Trainings mit Bravour, als versierter Taucher nicht zuletzt die Unterwasser-Simulationen, bei denen der letzte Schliff an die Landekapsel gelegt wird. Auch wenn auf dem Weg zum Mond nicht alles planmäßig erläuft (so etwa muss Aldrin die Landekapsel im Orbit manuell ankoppeln anstelle per Autopilot, und auch die Landung muss händisch gesteuert werden, sonst wäre man geradewegs in einem Krater gelandet), kann man stolz verkünden: „The eagle has landed“. Aber die abenteuerliche Erforschung hat ja erst begonnen…

Die Begeisterung für das Sujet spürt man in diesem Werk auf jeder Seite: Da gibt es eine leicht abstrahierte, aber sehr wirkungsvolle zeichnerische Inszenierung, die sich in entscheidenden Momenten gerne großformatig, auch doppelseitig gibt und die sich in der Vorbereitung zum Einstieg in die Rakete an die berühmten Skizzen von Paul Calle hält; da gibt es kleine künstlerische Vignetten, als Marilyn Monroe nach einem Schäferstündchen JFK die Idee von der Mondlandung mit einem gehauchten Song erst einflößt – und da ist die Frage, ob sich Armstrong wirklich vorgedrängt hat, wie das ja immer wieder kolportiert wird. Insgesamt ein hervorragend recherchiertes, künstlerisch ambitioniertes Werk, das Eickmeyers jahrzehntelange Beschäftigung mit dem Thema (sichtbar unter anderem in den als Anhang beigefügten Aquarellen aus den 90er Jahren) zu einem krönenden Abschluss führt. Wir freuen uns schon auf Band 2, „Eine herrliche Einöde“.

Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.

Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben dem Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.

Seite aus „Der zweite Mann, Band 1 (Splitter Verlag)