Cassandra Darke ist eine gestandene Londoner Galeristin, stinkreich und ziemlich schlecht gelaunt. Weil die ganze Innenstadt verstopft ist von Menschen, die Weihnachtsgeschenke kaufen wollen. Weil sie Weihnachten hasst. Und weil sie die Witwe eines großen Künstlers auf der Straße sieht, die sie als naives Schaf bezeichnet, das klotzige Keramiken produziert. Was man bis dahin noch nicht weiß: Cassandra Darke hat Skulpturen des verstorbenen Künstlers gefälscht und für viel Geld verkauft.
Cassandra Darke: „Normalerweise hätte ich im The Wolseley bei Egg Benedict und Frucht-Scones abgewartet. Aber ich brauchte frische Luft. Ich rief meinen Fahrer an, dass ich mich allein auf den Heimweg machen würde und ließ mich stundenlang durch die Horde verblödeter Weihnachtsshopper treiben.“
Gesellschaftskomödie und Krimi
Immer wieder fügt Posy Simonds Fließtext in den Comic ein. Das ist typisch für ihre Arbeit und lässt den fiesen Gedanken von Cassandra Darke so freien Lauf, dass sie eine ganz eigene Komik entwickeln. Typisch für Posy Simonds ist auch, dass sie sich für ihre Comics von Literaturklassikern inspirieren lässt. Sollte Casandra Darke etwa eine zeitgenössische Version des misanthropischen Weihnachtshassers und Geizkragen Ebenezer Scrooge aus Charles Dickens „Christmals Caroll“ sein? Was da nicht so ganz reinpasst, ist die Zeitungsnotiz am Beginn des Comics: Eine Frauenleiche wurde im Wald gefunden. Und dann entdeckt Cassandra Darke auch noch eine Pistole im Wäschekorb ihrer Nichte Nicki. Die ist – wie überhaupt der ganze Comic – so realistisch gezeichnet, dass man glaubt, die Pistole in die Hand nehmen zu können und darüber erschrickt. Das, was als Gesellschaftskomödie anfing, nimmt plötzlich als Krimi an Fahrt auf.
Cassandra Darke: „Ende November stand für mich fest, dass Nicki ausziehen musste. Sie war schlampig und unaufmerksam geworden und gähnte die ganze Zeit. Ihre selbstgerechte Art war zum Kotzen. Wie sie in ihrer Kunst Gott weiß wie moralisch tat. Wenn man das überhaupt Kunst nennen konnte, da es weder Präzision noch Können erforderte, keinen ästhetischen Wert besaß und nach bourgeoisen Schuldgefühlen stank.“Nicki will mit Videoperformances berühmt werden, in denen sie den Sexismus der alten Meister anprangert. Dafür wirft sie sich in die Posen der spärlich bekleideten Frauenfiguren auf den Gemälden und filmt die Reaktionen der Besucher. Für Cassandra, die die gediegenen Manieren einer Kunstwelt gewöhnt ist, in der der Status von Menschen darüber definiert ist, ob sie sich teure Kunstwerke leisten können, sind Nickis Performances ein Affront. In dem Comic werden beide Welten vorgeführt – die gediegene ebenso wie die ambitionierte.
„Und was für ein guter Zweck, Nicki? Alles nur für Dich. Dein Heiligenschein, Dein Image in den sozialen Medien, die pure Eigenwerbung, brauchst Du nicht zu leugnen.“
Einfache Kategorien von Gut und Böse
Das sind ziemlich viele Handlungsstränge, die Posy Simmonds sich da vornimmt. Zum Glück ist sie eine Meisterin ihres Fachs, der es gerade dadurch gelingt, ein vielschichtiges Bild von der britischen Gesellschaft zu zeichnen. Die Krimi-Elemente bringen zunächst Nicki und dann auch Cassandra Darke in Kontakt mit Menschen aus den unteren Gesellschaftsschichten. Hier scheinen die Guten etwas leichter von den Bösen unterscheidbar zu sein. Die Straftaten der Unterschicht sind eher roh, während die Oberschicht mit süßester Miene sogar Freunde über das Ohr haut.
Cassandra Darke: „Ich verbringe meinen Abend damit, in „Crimefile“ der Polizei bei der Arbeit zuzuschauen – was mich an die Pistole in der Waschmaschine erinnert. Ob die Feuchtigkeit ihr schadet?“
Bis zum Showdown am Schluss behält der Comic seinen wunderbar trockenen Humor in Wort und Bild. Das harte Herz der Cassandra Darke aber wird am Ende doch noch weich – ganz ähnlich wie das von Ebenezer Scrooge.
Dieser Text erschien zuerst am 17.10.2019 in: Deutschlandfunk
Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.