London, 1831:Eher zufällig schließt sich der junge Forscher Charles Darwin einer illustren Reisegruppe an. Kapitän Fitzroy ist nämlich in erster Linie auf der Suche nach einem angenehmen Tischnachbarn, mit dem er sich beim Abendessen auf der HMS Beagle gut unterhalten kann. Immerhin will er nicht so enden wie sein Vorgänger, der sich irgendwo in Feuerland das Leben nahm. Und so bricht die Beagle zu einer Expeditionsfahrt auf, die ursprünglich für zwei Jahre geplant ist. Mission: die Küsten Südamerikas endlich vollständig zu kartographieren. Für den jungen Naturforscher eröffnet sich in den Dschungeln Brasiliens eine neue Welt. Eine ungeahnte Artenvielfalt wartet auf ihn, die sein Weltbild zunehmend ins Wanken bringt.

Fabien Grolleau (Autor), Jérémie Royer (Zeichner): „Charles Darwin und die Reise auf der HMS Beagle“.
Aus dem Französischen von Anja Kootz. Knesebeck, München 2019. 176 Seiten. 28 Euro
In Feuerland forscht Darwin emsig weiter und wird durch seine Korrespondenz und die Unmengen von Proben, die er nach Hause sendet, zum wissenschaftlichen Phänomen. Aber erst auf den Galapagos-Inseln vor der Küste Ecuadors reift seine bahnbrechende Erkenntnis. Als ihm ein vor Ort stationierter Soldat stolz berichtet, man könne nur anhand des Panzers einer Schildkröte feststellen, von welcher Insel des Archipels das Tier stammt, entwickelt Darwin eine revolutionäre Idee. Könnte es sein, dass die Arten sich über die Jahrtausende an ihre Umgebung angepasst haben – ein Gedanke, der im 19. Jahrhundert an Blasphemie grenzt…?
In ihrer Graphic Novel erheben Fabien Grolleau und Jérémie Royer gar nicht den Anspruch, die sich auf fünf Jahre ausdehnende Reise der Beagle in allen Stationen nachzuzeichnen. So fehlen etwa die Passagen in Australien, um das Schlaglicht auf die Schlüsselmomente in Brasilien und auf den Galapagos-Inseln zu legen. Durch Saurier-Funde angeregt, tendiert Darwin früh zu einer Art Evolutionstheorie, die dann auf dem spektakulären Archipel vor Ecuador erhärtet wird: Ganz nach Panzerform lassen sich dort in der Tat noch heute (so zu studieren etwa in der Charles Darwin Research Station auf Santa Cruz) trefflich die Arten auseinanderhalten – die Sattelformation zum Beispiel deutet darauf hin, dass der Kröterich seine Nahrung von höher hängenden Ästen zupfen muss.
Auch die (mittlerweile sogar nach Darwin benannten) Finken weisen charakteristische Schnabelformen auf und stützen so die Theorie, dass die Arten sich an ihre Umgebung anpassen und nicht von Gottes Hand geformt auf die Erde gesetzt wurden. Eindringlich und eindrucksvoll wirken vor allem aber auch die Passagen zur Unmenschlichkeit der Sklaverei, die Darwin überall beobachtet und verdammt. Auch Fitzroys Entführung von Ureinwohnern basiert auf realen Vorgängen. Noch Jahre später fanden sich Berichte über eine Indianer-Frau in Feuerland, die fließend Englisch sprach. Somit entsteht ein buntes Panorama aus Geschichte, Kulturkritik und Wissenschaft, das nebenbei unterhaltsam und vergnüglich über die Herkunft der Spezies informiert. Wieder ein Paradebeispiel dafür, dass es bei Knesebeck in der Tat immer etwas Besonderes zu bestaunen gibt.
Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.
Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben dem Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.

Doppelseite aus „Charles Darwin und die Reise auf der HMS Beagle“ (Knesebeck)