Wie das klingt!

Bild aus Mikael Ross' "Goldjunge" (Avant-Verlag)

Beethoven, die Beatles, Bowie – zahlreiche neue Comics beschäftigen sich mit Leben und Werk von Musiker*innen.

In einem Interview wurde der Zeichner Richard McGuire zum Entstehungsprozess seiner Graphic Novel „Hier“ (1989) befragt, die die Geschichte eines Platzes über Millionen von Jahren hinweg erzählt. Er habe den Comic wie ein Musikstück komponiert: „Ich hatte das vollständige Buch an die Wände meines Ateliers gehängt und änderte die Reihen­folge immer wieder, um einen Rhythmus und einen Flow zu finden, der sich richtig anfühlte. Es brauchte Momente des Crescendos und ruhige Momente.“

Bevor McGuire begann, als Comic­zeichner zu arbeiten, trat er mit seiner zur New Yorker Post-Punk-Szene gehörenden Band Liquid Liquid auf. Seinen Basslauf aus dem Song „The Cavern“ haben Grandmaster Flash und Melle Mel mit ihrem Sample in „White Lines“ weltbekannt gemacht. Die Nähe von Comic und Pop zeigt sich auch in der Vielzahl von jüngst erschienenen Graphic Novels über Musiker. Deren Ansätze, Klang und Bild, Ton und graphisches Erzählen ins Verhältnis zu setzten, sind sehr unterschiedlich.

In dem Comic „Bowie. Sternenstaub, Strahlenkanonen und Tagträume“ setzen der Zeichner Mike Allred und der Autor Steve Horton Bowies Karriere von den Anfängen zu Beginn der sechziger Jahre bis zum Album „Diamond Dogs“ 1974 in Szene. Die Schwierigkeit, eine solche Starbiographie zu zeichnen, deutet Neil Gaiman in seinem Vorwort an: „Die Menschen auf diesen Seiten sind keine Menschen. Sie sind Ikonen, überlebensgroß.“ In der Tat ist das Comicalbum geprägt von „überlebensgroßem“ Respekt vor dem Künstler Bowie. Die Zeichnungen fügen den biographischen Anekdoten kaum etwas hinzu, sie sind stets darauf bedacht, die Stationen der Karriere akkurat nachzuzeichnen. Zwar werden einzelne Songtexte Bowies in eine bunte, symbolische Bildsprache übersetzt, aber für das Musikalische findet der Comic keinen eigenen Ausdruck.

Ähnliches gilt leider auch für das von den beiden französischen Comicszenaristen Michels Mabel und Gaet’s herausgegebene Buch „The Beatles“, das die Geschichte der Band schildert. Erzählt wird nichts, was nicht bereits bekannt war; die Bilder finden für das musikalische Werk, von dem sie handeln, keine ­visuelle Entsprechung. Immerhin erzählen ganz verschiedene renommierte Zeichner jeweils eine Episode aus der Bandgeschichte, sodass eine große stilistische Vielfalt entsteht, die über die pure Nacherzählung hinausweist.

Dass ein Comic das Werk eines Musikers auch neu interpretieren kann, zeigt die gezeichnete Biographie „Bowie. Ein illustriertes Leben“ von María Hesse und Fran Ruiz. Im Vorwort schreiben sie: „Der spielerische Umgang mit den Fakten ist eine intuitive Annäherung an die Person David Bowie – und kein Betrug am Leser.“ Das Spiel mit Fakten, das Bowie selbst betrieben hatte, wird hier fortgesetzt, Stationen seines Lebens werden in komplexen Bildern eingefangen, die biographische, lyrische und musikalische Motive zusammenfügen.

Ähnlich frei hantiert Pénélope Bagieu in ihrer Graphic Novel „California dreamin’“, die von der Sängerin Cass Elliot von The Mamas and the Papas erzählt. Diese wurde 1941 als Ellen Naomi Cohen geboren und starb 1974 an Herzversagen. Das künstlerische Umfeld der Band in San Francisco, das sonst zumeist in psychedelischen Farben ausgemalt wird, präsentiert Bagieu in Schwarzweißbildern. Das Buch konzentriert sich auf das Leben der Sängerin, das aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt wird: aus der ihrer Familie, Freunde und Bandkollegen.

Die daraus entstehenden Brüche und Zeitsprünge sind Teil der ästhetischem Inszenierung einer komplexen Comicbiographie, die auch die Diskrepanz zwischen der Kunstfigur „Mama Cass“ und der Privatperson Cass Elliot zeigt. In bestimmten Momenten war die Musik für die Künstlerin, so legt es die Interpretation von Bagieu nahe, eine Möglichkeit, dem Druck der Erwartungen zu entfliehen: Eine Seite im Comic zeigt sie über dem Bühnenboden schwebend, die Musik hat sie schwerelos werden lassen. Cass’ Fall deutet Bagieu lediglich an, die Geschichte endet knapp zehn Jahre vor dem plötzlichen Herztod der Sän­gerin.

Doch nicht nur die Popkultur hat Comiczeichner zu biographischen Annäherungen inspiriert, auch die Biographien Ludwig van Beethovens und des estnischen Komponisten Arvo Pärt wurden jüngst für den Comic adaptiert. Mikael Ross legt in seiner Graphic Novel „Goldjunge“ den Schwerpunkt auf die Jugendjahre Beethovens. Mit der Musik versucht dieser, sich aus den ärmlichen Verhältnissen zu befreien, in denen er aufgewachsen ist.“»Man müsste es umdrehen. Dass man nicht immer von anderen gesagt bekommt, was zu tun ist. Selbst den Ton angeben“, sagt Ludwig, kurz bevor ihn drei Nachbarjungen vermöbeln.

Ross schildert die Konflikte des jungen Komponisten mit seiner Familie, seinem Umfeld und dem Adel, der sich seine Musik aneignet: „Es gibt kein ‚uns‘. Aufklärung, Gleichheit: Nichts als leeres Gerede! Ihr hochwohlgeborenen Vampire saugt uns Gemeinen alles Blut aus den Adern“, schleudert er einer adeligen Freundin entgegen, nachdem ein Graf eine Komposition Beethovens als seine eigene ausgegeben hat. ­Neben dieser sehr erfrischenden Perspektive auf das Beethoven-Jahr ist vor allem der Versuch bemerkenswert, die Klänge in Bilder zu übersetzen. Mal ist die Musik ein Fluss, der alles mit sich reißt, mal ein expressives Gemälde oder ein Feuerwerk über einem ruhigen See, in dem ein nackter Mensch sich treiben lässt.

Auch in Joonas Sildres Comic „Zwischen den Tönen“ über Arvo Pärt, der als einer der bedeutendsten lebenden Vertreter der Neuen Musik gilt, steht die Suche nach einer Form, Klänge in Bildern auszudrücken, im Zentrum: Als Pärt mit seiner Familie 1980 die Sowjetunion ver­lassen muss, verwandelt sich die Bahnhofshalle an der Grenze in einen Konzertsaal. Die Grenzbeamten prüfen die mitgeführten Bänder mit Aufnahmen des von der Staatsmacht missbilligten Künstlers. Als die Beamten die Tonbänder anhören, verschwindet die Welt um sie herum, und alles wird zu Klang. Die Töne werden sichtbar, bilden große Spiralen, die über die Zwischenräume der Panels hinausweisen und Rahmungen überschreiten. Pärt wartet unterdessen mit seiner Familie darauf, die Landesgrenzen überschreiten zu dürfen.

Pärt wurde 1935 in Estland geboren. Nach seiner Emigration lebte er kurzzeitig in Wien, wo er österreichischer Staatsbürger wurde, und ab 1981 viele Jahre lang in Berlin. In­zwischen ist er nach Estland zurückgekehrt. Sildre interessiert sich vor allem für die Jahre im Leben von Pärt, als dieser nach einer „neuen Welt“ des Klangs suchte, wie es im Comic heißt: „Der von Arvo entdeckte ‚Zweiklang‘ zwischen Melodie und Dreiklang ist in seinem Schaffen wie ein großer Knall. Durch die Spannung zwischen diesen zwei Stimmen entsteht dieses Etwas, das die Werke zum Leben erweckt.“ „Zwischen zwei Tönen“, die erste Graphic Novel in estnischer Sprache, tastet sich vorsichtig an dieses „Etwas“ heran, sucht nach Bildern, in denen die Spannung der Musik zum Ausdruck kommen kann.

In Bilder übersetzte Töne begleiten die Leser von Beginn an. Schon als Kind achtet Arvo auf Töne und Klänge in seiner Umgebung, sei es das Ticken der Uhr, die klassische Musik aus dem Radio oder die Sirene beim Bombenangriff auf Tallinn im Zweiten Weltkrieg. All diese Töne gehen später in seine Kompositionen ein, sehr zum Missfallen der Machthaber. „Das Stück dieses Schuljungen war weder sozialistisch im Inhalt noch national in der Form“, kritisiert etwa 1953 ein Juror bei einem Wettbewerb Pärts Beitrag. In das enge Korsett des Sozialistischen Realismus will sich Pärt nicht zwängen, was zu immer größeren Konflikten und schließlich seiner Ausweisung führt.

Die Spannungen werden unerträglich, als Pärt die orthodoxe Kirche für sich entdeckt, die ihm sowohl als Glaubensgemeinschaft wie auch als Klangreservoir wichtig wird. Gregorianische Gesänge werden zu einer wichtigen Inspirationsquelle seiner Musik, die von der ­Reduktion und der Konzentration auf das Wesentliche lebt. „Der Mensch ist nicht Schöpfer, sondern Vermittler der Töne“, davon ist Pärt überzeugt. Zum Vermittler ist auch der Comiczeichner Joonas Sildre geworden, der für die Musik von Arvo Pärt beeindruckende Bilder ­gefunden hat.

Diese Kritik erschien zuerst in: Jungle World 08/2021

Laura Allred/Michael Allred/Steve ­Horton: Bowie. Sternenstaub, Strahlen­kanonen und Tagträume. Aus dem ­Englischen von Michael Schuster. Cross-Cult, Ludwigsburg 2020, 160 Seiten, 35 Euro

Pénélope Bagieu: California dreamin’. Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock. Reprodukt, Berlin 2020, 280 Seiten, 24 Euro

María Hesse/Fran Ruiz: Bowie. Ein ­illus­triertes Leben. Aus dem Englischen von Kristof Hahn. Heyne 2020, 168 Seiten, 22 Euro

Michels Mabel/Gaet’s (Hg.): The Beatles. Aus dem Englischen von Walter Famler. Bahoe Books, Wien 2020, 224 Seiten, 25 Euro

Mikael Ross: Goldjunge. Beethovens ­Jugendjahre. Avant-Verlag, Berlin 2020, 192 Seiten, 25 Euro

Joonas Sildre: Zwischen zwei Tönen. Aus dem Leben des Arvo Pärt. Aus dem ­Estnischen von Maximilian Murmann. Voland&Quist, Berlin 2021, 224 Seiten, 28 Euro

Jonas Engelmann ist studierter Literaturwissenschaftler, ungelernter Lektor und freier Journalist. Er hat über „Gesellschaftsbilder im Comic“ promoviert, schreibt über Filme, Musik, Literatur, Feminismus, jüdische Identität und Luftmenschen für Jungle World, Konkret, Zonic, Missy Magazine und andere, ist Mitinhaber des Ventil Verlags und Co-Herausgeber des testcard-Magazins.