Hugo Pratt seziert die Neue Welt – „Ein Mann, ein Abenteuer“

Kanada, um 1912: Der Mestize Joseph Montour Riel, genannt Jesuit Joe, durchwandert die weiße Wüste und findet in einer Hütte die leuchtend rote Uniform der North-West Mounted Police, der berittenen Polizei, die als „Mounties“ bekannt wurden. Der Frack gefällt ihm, und so marschiert er mit fremden Federn geschmückt weiter und zieht einen seltsam erratischen Pfad der Vernichtung und Gnade: Er rettet ein von Indianern entführtes Baby und bringt es zu ein paar Inuit in die Obhut; den ehemaligen Lehrer Pater La Salle foltert er ungerüht; seine eigene Schwester erschießt er kaltblütig wegen Prostitution; zwei Gefangene lässt er auf dem Weg in die nächste Stadt frei. Schließlich trifft er auf Sergeant Fox, dessen Uniform er seit Tagen trägt, und es kommt zum Showdown.

Brasilien, im Sertao: eine unwirtliche, menschenfeindliche Landschaft, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert zur Zuflucht für entflohene Sklaven und marodierende Räuberbanden, den Cangaceiros, wurde. Mittendrin dabei tat sich nicht zuletzt der Anführer Virgulino Ferreira da Silva hervor, dessen wüste Gesellen zu durchaus beachtlichem Reichtum und Einfluss gelangten. Aber 1938 fand die Sache durch einen Verräter ihr Ende, und die letzten Versprengten, darunter der gerissene Corisco und seine Frau Dada, hielten sich immerhin zwei Jahre im Sertao versteckt, bis 1940 auch Corisco und sein Spießgeselle Gringo einen jähen Tod fanden. Aber Gringos Gefährtin Satanhia schwört Stein und Bein, dass sie ihren Geliebten immer wieder erblickt, obwohl der doch eigentlich längst im Jenseits sein sollte – bis sie im Rausch sogar auf ihren Bruder Sabino trifft, der sich selbst als Instrument der Vorsehung sieht und die Bande deshalb verrät.

Hugo Pratt (Autor und Zeichner): „Ein Mann, ein Abenteuer Band 1“.
Schreiber & Leser. Hamburg 2018. 184 Seiten. 29,80 Euro

Zwei Mann, zwei Abenteuer: In diesem Band finden sich zwei weitere Glanzlichter aus der Feder des Corto-Maltese-Schöpfers Hugo Pratt, die an atmosphärischer Dichte kaum zu überbieten sind. Jesuit Joe bietet dabei eine zutiefst existentialistische Mär von Schuld und Sühne: Joe konfrontiert seinen ehemaliger Lehrer und Peiniger La Salle mit der Aussage, er habe ihm den Katechismus, Schuldgefühle und das wartende Fegefeuer so eingebläut, dass er nur dafür sorgt, dass jeder so ordentlich leidet, wie Gott das ja offenbar vorgesehen hat. Der historische Mestize bietet also nur den Ausgangspunkt für eine Abenteuergeschichte, für die Pratt bei Klassikern wie Jack London und Zane Grey Inspiration fand. Das Ende ließ er bewusst offen: In der ersten Episode scheint Joe zu Tode zu kommen, aber ein kleiner Nachschub, der skizzenhaft blieb, deutet zumindest ein Nachleben an. Schön auch die Dreingabe der Storyboards, die Pratt für die Verfilmung des Stoffs durch Olivier Austen 1991 persönlich anfertigte.

Die zweite Geschichte beschwört dann die Vermischung der Geister- und Schamanenkulte, die in den Sklavenschiffen in die Neue Welt kamen, mit der zwangsverordneten Religion der neuen Herren. Die zutiefst verzweifelte Satanhia sucht eine alte Hexe auf und erfährt aus den Tarot-Karten das Schicksal ihres Gringo, der alsbald in Form eines Geistes durch die Welt wandelt und Satanhia mitsamt ihrem Bruder letztendlich ihrem Schicksal zuführt. Sabino sieht sich dabei als Judas Ischariot, der in einer eigenen, irgendwie konsequenten Lesart nichts anderes ist als ein Werkzeug der Vorsehung. Immerhin wäre ohne den Verrat Christus niemals zum Opfer und Retter zugleich geworden. Somit auch hier jede Menge komplexes Gedankengut, das Pratt in höchst stimmungsvolle Schwarz-Weiß-Tusche-Zeichnungen verpackt, die sowohl das verschneite Kanada als auch die dornenreichen Wüsteneien des Sertao wirkungsvoll einfangen.

Bei Schreiber & Leser erscheint auch dieser Band sorgfältig eingerichtet, mit reichhaltigen Hintergrundinformationen und zahlreichen Ergänzungsseiten, die die beiden Erzählungen – erstmals 1980 bzw. 1977 erschienen – wunderbar inszenieren. Neben der hier besprochenen Klassik-Edition, wie sie auch bei der Corto-Maltese-Edition angeboten wird, ist das Album auch in einer Farbversion erhältlich. Das gilt ebenfalls für den die Reihe abschließenden Folgeband.

Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.

Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben dem Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.

Seite aus „Ein Mann, ein Abenteuer“ (Schreiber & Leser)