Manchmal enden dort Dramen – siehe „King Kong“ – und manchmal beginnen sie dort: auf dem Dach des Empire State Building, genauer gesagt auf der Aussichtsplattform. Hier warten nun Terry und seine Cousine Ashley auf ihre Freunde. Denn Terry will zur Armee. Zum Einsatz in Afghanistan. Und soll hier an diesem ikonischen Ort gebührend verabschiedet werden. Unter den Freunden ist auch seine Ex, Mary Dent, deren Vater der leitende Architekt der aktuellen Renovierungsarbeiten an dem Wolkenkratzer ist. Während dieser Arbeiten wurde auf der 75. Etage gerade ein in einer Säule verborgender Raum entdeckt, der mit einer massiven Eisentür verschlossen ist, offenbar schon seit der Errichtung des Gebäudes. Der Raum erweist sich bei seiner Öffnung als wahre Büchse der Pandora, denn darin lauert etwas Tödliches, das nun auf die Welt losgelassen wird und seine „Jünger“ zusammenruft. Auch zum Leidwesen von Terry & Co., die nun versuchen, all dem blutigen Chaos irgendwie zu entkommen…
Charlie Adlard, Stamm-Zeichner von Robert Kirkmans ruhmreicher und inzwischen beendeter „Walking Dead“-Reihe, wechselt in seiner neuen Serie das Sub-Genre (inkl. einiger witziger „Walking Dead“-Querverweise und -Anspielungen): Schluss mit Zombies, jetzt sind Vampire dran. Und noch interessanter: Er wechselt auch das Format und vor allem die Comic-Tradition – von US-Heften zum frankobelgischen Albumformat. Und damit von Schwarz-Weiß zu Farbe (die stammt – das soll man dann auch fairerweise erwähnen – nicht von ihm, sondern von Sébastien Gérard). Schon für den Titel „Vampire State Building“ – schönes Wortspiel, dennoch weiß man gleich, was Sache ist – gebührt ihnen Anerkennung. Die Autoren Ange (dahinter verbergen sich Anne und Gérard Guéro, u. a. bekannt für ihren Dauerbrenner „Die Legende der Drachenritter“) und Patrick Renault setzen hier erfolgreich neue Akzente in dem ohnehin schon seit langem populären Vampir-Genre.„Die Hard“ meets „Poseidon Inferno“. Plus Vampire. Typisch für das Horror-Genre ist die hermetische Umgebung, in der sich das Drama abspielt. Terry und seine Freunde sind oben auf der 86. Etage eingeschlossen und müssen einen Ausweg nach unten finden, unter akuter Lebensgefahr und mit wahnwitzigen Ideen, während das Grüppchen mit schöner Regelmäßigkeit getrennt und dezimiert wird. Drinnen herrschen also blanker Horror und nackte Panik. Und außen? Natürlich vermutet man zuerst einen Terroranschlag. Kein Wunder also, dass bei der noch ratlosen Polizei und den Rettungskräften vor dem Gebäude Erinnerungen an die Katastrophe vom 11. September geweckt werden. Das genaue Ausmaß, um was es sich hier genau handelt, wird erst langsam klar, als man die Sprache der „Terroristen“ als alten Mohawk-Dialekt identifizieren kann und man sich erinnert, dass einst die schwindelfreien Mohawk Indianer maßgeblich am Bau dem Empire State Buildings beteiligt waren.
Doch greifen wir nicht zu weit vor. Der Auftakt ist sehr gradlinig und schnörkellos inszeniert. Man kommt schnell zur Sache, der Horror bricht ohne viel Federlesens aus und die Jugendlichen müssen schnell handeln, um das Inferno zumindest vorerst überleben zu können. Was eine furiose, actionreiche Handlung produziert, die spannend und atemlos erzählt wird. Terry erweist sich als beherzter Anführer, ein wenig Rick Grimes scheint dann doch in seinem Charakter durch. Das Aussehen der Vampire erinnert eher an die Kollegen aus „30 Days of Night“ als an klassische Blutsauger im Stile eines Grafen Dracula und Konsorten. Ob sich das Böse wie weiland am Ende von „Tanz der Vampire“ tatsächlich über die ganze Welt ausbreitet, oder ob es noch aufgehalten werden kann? Mit Band 2 ist im Original bei Soleil das Finale bereits erschienen, was hoffen lässt, dass Splitter hier zügig nachzieht. Schließlich ist Charlie Adlard ja einen monatlichen Veröffentlichungs-Rhythmus gewohnt.
Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de
Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.