Urlaubsstress und Familienkrise

Mit „Beim Leben meiner Tochter“ adaptieren Didier Cassegrain und Fred Duval erneut einen Kriminalroman des französischen Autors Michel Bussi als Comic.

Französisches Übersee-Departement La Réunion, östlich von Madagaskar. Hier auf dem vermeintlichen Inselparadies macht die Familie Bellion Urlaub – Martial, seine Frau Liane und die gemeinsame Tochter Josapha. Nachdem Liane ihr Hotelzimmer aufsucht, ist sie verschwunden. Martial wendet sich an die Polizei und gerät schnell selbst ins Fadenkreuz der Ermittlerin Capitaine Aja Purvi. Denn Zeugenaussagen und Indizien sprechen dafür, dass er seine Frau umgebracht hat. Doch als die Polizei ihn festnehmen will, ist er weg. Gemeinsam mit seiner Tochter begibt er sich auf eine waghalsige Flucht, auf der er äußerst clever agiert, was für Purvi und ihren gemütlichen Sous-Lieutenant Christos ein weiterer Beweis ist, dass sie den Richtigen jagen.

Zugegeben, nach den beiden herausragenden Comic-Adaption der Michel-Bussi-Romane „Schwarze Seerosen“ (mit dem Wahnsinns-Twist, ebenfalls von Fred Duval und Zeichner Didier Cassegrain) und „Das Mädchen mit den blauen Augen“ (mit Zeichnungen von Nicolaï Pinheiro) sind die Erwartungen an „Beim Leben meiner Tochter“, der dritten Comicumsetzung eines Bussi-Romans, entsprechend hoch. Die erweist sich inhaltlich aber erfreulicherweise sich als ganz anders aufgebaut. Kein großer Twist am Ende, keine finale Auflösung am Schluss. Vielmehr wird das Geheimnis um die Motive des flüchtigen Martial, der seiner Tochter einiges zumutet, sukzessive aufgeklärt. Schon früh macht uns die Story andeutungsweise klar, dass Martial nicht der Mörder seiner Frau sein kann – warum flieht er also? Wegen der offensichtlichen Indizien, die wie arrangiert wirken? Oder steckt ein ganz anderes, noch verborgenes Motiv dahinter? Und was ist mit Liane geschehen?

Abwechselnd begleiten wir Aja Purvi und Christos bei den Ermittlungen und Martial mit seiner Tochter bei ihrer Flucht. Dabei erschüttern zahlreiche Enthüllungen immer wieder unsere Unschuldsvermutung, was von Duval und Cassegrain clever in Szene gesetzt wird. Ein letzter Zweifel bleibt also. Martial verfolgt unbeirrbar ein unbekanntes Ziel (nicht jedoch geografisch), er und sein Motiv bleiben dabei ein Mysterium. Ansonsten bevölkern starke Figuren die Erzählung: die taffe und ehrgeizige Aja, die von ihrem Vorgesetzten immer wieder ausgebremst wird; Christos als Ein-Mann-Spusi-Abteilung mit seiner Laissez-faire Attitüde und Rauschebart, der gerne auch mal Verbotenes raucht; seine gewitzte Lebensgefährtin Imelda Cadjee, deren Rolle im Plotverlauf immer gewichtiger wird.

Didier Cassegrain setzt die Story, die im Original „Ne lâche pas ma main“ („Lass meine Hand nicht los“) heißt (wobei die deutsche Romanausgabe ebenfalls „Beim Leben meiner Tochter“ betitelt ist), wieder mit leichter Hand, manchmal skizzenhaft und ohne traditionelle Tuschezeichnungen in Szene. Dabei benutzt er meist gediegene und stimmige Pastellfarben, auch bei den exotischen (Urlaubs-)Landschaften, seien es Strände, Wälder oder Vulkane. Das hohe Niveau der Bussi-Comic-Adaptionen wird gehalten.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Didier Cassegrain (Zeichner), Fred Duval (Autor): Beim Leben meiner Tochter • Aus dem Französischen von Tanja Krämling • Splitter Verlag, Bielefeld 2023 • 136 Seiten • Hardcover • 35,00 Euro

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.