Gerade noch einmal davongekommen, das kann Sanger Rainsford mit Fug und Recht von sich behaupten. Der Großwildjäger ist nämlich als bisher einziger Überlebender den Klauen des General Zaroff entronnen, der auf einer Insel irgendwo vor Brasilien grausame Menschenjagden veranstaltet. Dumm nur, dass die Expedition, die nach Rainsfords Rückkehr zur Insel aufbricht, nur noch ein verlassenes Schloss vorfindet, vom sadistischen Menschenjäger, der eigentlich mausetot sein müsste, keine Spur. Während kaum jemand in New York Rainsford Glauben schenkt, hört die Irin Fiona Flanagan sehr genau zu. Fionas Vater gehörte nämlich zu den zahlreichen Opfern des Grafen, der hier die Rechnung ohne den Mafia-Wirt gemacht hat: Der Herr Papa war ein mächtiger Chef der New Yorker Unterwelt, entsprechend rabiat schickt sich nun auch das Töchterchen an, Rache am russischen Exilgeneral zu nehmen.
Sie macht Zaroffs Schwester Katarina ausfindig, die mit ihrem Mann und drei Kindern in New York lebt, bringt den Familienvater um und verschleppt Katarina und ihre Kinder auf die einsame Insel vor Venezuela, auf der Zaroff mittlerweile sein Quartier aufgeschlagen hat. Ihr Ultimatum: Sie wird die Familie mit ihrer Bande jagen wie einst der General seine Beute – womit ein gnadenloser Wettlauf gegen die Zeit, den Dschungel und die Wildkatzen beginnt, die Zaroff aus ihren Gehegen lässt. Der zunehmend zerstrittene irische Mob muss zusehen, wie der verschlagene Jäger Zaroff ihre Reihen systematisch dezimiert, während sich seine neu entdeckten Schutzbefohlenen völlig erschöpft und unerfahren durch den Dschungel schleppen. Schließlich kommt es an einem Wasserfall zum finalen Showdown zwischen Zaroff, Fiona und Katarina…„Graf Zaroff – Genie des Bösen!“ Unter diesem klingenden Namen verbarg sich im deutschsprachigen Raum ein kleiner, dichter, atmosphärischer und äußerst wirksamer Horrorfilm der frühen 30er Jahre. Nachdem Regisseur Ernest B. Schoedsack (bester Name im Filmgeschäft ever, keine Diskussion) die Kulissen seines Meisterwerks „King Kong“ nicht ungenutzt herumstehen lassen wollte (bevor sie dann Victor Fleming Ende der 30er bei den Dreharbeiten zu „Gone With The Wind“ für die Szenen des Atlanta-Flammenmeers abfackelte), besann er sich mit seinem Kompagnon Irving Pichel auf eine populäre Kurzgeschichte. In „The Most Dangerous Game“ vermischte Richard Connell 1924 Elemente der Trivialliteratur – exotische Schauplätze – mit der seinerzeit äußerst beliebten Großwildjagd in Afrika und Südamerika, der vor allem gelangweilte Europäer und Amerikaner frönten.
In seiner Fassung ist Zaroff ein ehemaliger General des Zaren, der im Zuge der Revolution aus Russland fliehen musste und auf der gottverlassenen Insel seine perversen Züge genüsslich auslebt. Gerne bedient er sich dabei aus dem reichen Zitatenschatz von Marc Aurel, um seinem psychopathischen Tun so etwas wie eine überhöhte Rechtfertigung zu verleihen: „Nichts aber ist schlecht, was natürlich ist“, so schwadroniert er vor seinen Opfern. In die Motive der Dekadenz des ausgehenden 19. Jahrhunderts, der Spielsucht und der Rücksichtslosigkeit mischen sich wie bei Schnitzler, Hofmannsthal und ihrem wissenschaftlichen Bruder im Geiste Freud Elemente des Sadismus, einer zu Gewalt pervertierten Sexualität, eines korrumpierten Darwinismus und des Zerrbilds des Nietzscheschen Übermenschen, der einige Jahre später auch in Deutschland für menschenverachtende Ideologien herhalten musste.
Zaroff selbst ist eine Mischung aus Dandy und brutalem Verbrecher, eine Art moderner Dracula, in einem Moment elegant, im anderen tödlich. Mit ihrer ebenso kurzen wie atemlosen Verfilmung lieferten Schoedsack und Pichel ein kleines Meisterwerk ab. Trotz offensichtlicher Pappmaché-Kulissen erzeugen Beleuchtung, Perspektiven und der immerwährend wabernde Nebel eine diffuse Atmosphäre der Bedrohung, die den Zuschauer durch den Dschungel nahezu mithetzen lässt. Am Ende dieses Prototyps des „Survival Movie“ (dessen Einfluss bis hin zum ultimativen Mensch-wird-im-Dschungel-gejagt-Epos „Predator“ reicht) wird Zaroff, wie sich das für einen ordentlichen Mad Scientist gehört, seinen eigenen Geschöpfen, vollständig ausgehungerten Jagdhunden, zum Fraß vorgeworfen (fast ähnlich ging es kurze Zeit später dem wirren Dr. Zyklop, der sich im Film von 1940 ebenfalls in den Dschungel zurückzieht, um seine Experiment machen zu können).Das große Spiel geht gegen ihn aus, so auch der zweifach auszulegende Titel: Der Mensch ist das gefährlichste Wild, das man jagen kann, im gefährlichsten Spiel, das der Dschungel zu bieten hat. Sylvain Runberg, dessen Können wir jüngst erneut anhand seines Beitras zur „Conan“-Albenreihe bestaunen konnten, nimmt genau dieses Motiv als Absprungbasis für seine Fortsetzung der Geschichte, die Short Story und Film erzählen. In seiner Version hat Zaroff den Angriff der Hunde mit schwersten Gesichtsverletzungen überlebt. Gemeinsam mit seinem Getreuen Igor hat er sich auf einer neuen Insel ein Domizil geschaffen, aber die Lust am Jagen ist dem General gehörig vergangen, seit er von seiner letzten Beute die entscheidende Niederlage erleiden musste. Nach der abgrundtief verderbten Charakterisierung, die Connells Zaroff kennzeichnet, schafft Runberg eine durchaus vielschichtige Figur. Zaroff fühlt sich seiner Familie verpflichtet und unternimmt jeden Versuch, seine Schwester und die Kinder zu retten – auch unter Einsatz seines Lebens.
Zaroff, und das ist ein besonders gelungener Twist, steht eine mindestens ebenso gewissenlose Widersacherin gegenüber: Fiona Flanagan geht ohne Rührung über Leichen, um ihre Ziele zu erreichen. Die Sympathien schlagen somit schon fast in Richtung des Grafen, als sich die Hatz durch den Dschungel entfaltet. Die Kulissen bilden – im Gegensatz zur Vorlage in Literatur und Film – in der Feder von François Miville-Deschênes (der bei „Reconquista“ ebenfalls mit Runberg zusammenarbeitete) eine Art dritten Protagonisten. Der Dschungel ist allgegenwärtig, eine mächtige Kraft der Natur, die die fremden Vertreter der Zivilisation buchstäblich verschlingt (wer schon einmal im Dschungel Südamerikas versuchte, mit Machete den Indiana Jones zu mimen, weiß zu genau, dass die Schweißbäche, die den Figuren über Gesicht und Körper rinnen, an keiner Stelle übertrieben sind).Mit satten Farben (fast schon stummfilmhafte Symbolik kann man da ausmachen, rote Färbung für die Nacht etc.), dynamischer Gestaltung und wuchtiger Komposition drückt die Inszenierung aus, dass die Menschen hier bestenfalls Gäste sind, die irgendwie möglichst bald wieder das Weite suchen sollten. Wozu auch Zaroffs perfide Fallen beitragen, die in verdächtiger Nähe zu den Dschungel-Fallgruben stehen, mit denen auch die Vietcong seinerzeit ihre amerikanischen Gegner dezimierten. Dass das Ganze für die liebe Fiona anders endet als gedacht und dass sich Zaroff am Ende zu einem gänzlich neuen Jagdrevier in New York aufmacht, mag man fast als Hinweis auf eine Fortsetzung deuten. Das wollen wir doch mal hoffen.
Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.
Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben dem Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.