Im Zuge postmoderner Strategien überbordender Bildopulenz erfuhr auch der Kostümfilm zu Beginn der Nullerjahre naheliegenderweise ein furioses, ästhetisches Comeback. Vom Zwang klassischer Abbildungsparadigmen befreit, verdichteten Filme wie „From Hell“ (USA 2001), „Sleepy Hollow“ (USA 1999), „Moulin Rouge!“ (USA 2001) oder aber auch die französischen Vertreter „Der Pakt der Wölfe“ (2001) und „Vidocq“ (2001) traditionelle Schauwerte mittels einer außer Rand und Band geraten zu scheinenden Technik und vielfältigen, intertextuellen Bezügen. Im Ergebnis feierten bis dato im Mainstreamkino kaum gekannte Bilderwelten ihre Genese auf der Leinwand, die das Kino auch für die Zukunft als Zelebrierungsstätte erster Wahl der Lust am Neuen, Bahnbrechenden, Berauschenden modernster Technologie kennzeichneten. Schon die ersten Bilder aus „Die Liga der Außergewöhnlichen Gentlemen“ – das sattsam bekannte Fox-Logo rettet sich als gusseiserne Dachzierde vom voran gestellten Jingle ins viktorianische London hinüber, gefolgt von einer langen, eindeutig im Computer entstandenen Kamerafahrt durch düster-nasse Gassen und Winkel – lassen keinen im Unklaren darüber, dass sich an jenen „neue alte Tradition“ angelehnt werden will.

© 20th Century Fox
Es folgt eine nur selten von Dialogsequenzen unterbrochene Actionoper quer über die Kontinente, vor nicht selten atemberaubend anzusehenden Tableaus. Wenngleich die Kulissen ihren digitalen Ursprung selten, ja eigentlich nie verleugnen können, tut das dem visuellen Vergnügen keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil erfreut man sich völlig ungeniert des künstlich generierten Bildes, unterstreicht damit noch zusätzlich den Spielraum als von außerfilmischen Koordinaten losgelöstem Simulakrum im wörtlichen Sinne. Wenn die Nautilus zum ersten Mal aus dem Wasser auftaucht, wenn halb Venedig in Schutt und Asche fällt oder wenn Quatermain im nächtlichen Paris Mr. Hyde verfolgt, dann ist das nicht weniger als Computermalerei, losgelöst von Vorgaben falsch verstandener Realitätssimulation.

© 20th Century Fox
Die an sich höchst originelle Grundidee verkommt somit unweigerlich zum Stichwortgeber einer willkürlich aneinanderreihenden Nummernrevue, deren einzelne Sequenzen mit zunehmender Spieldauer obendrein einiges an Originalität und Spielfreude vermissen lassen, gegen Ende hin, im Showdown in der Eiswüste von Sibirien, sogar langweilen: Hier kommt kein elegant entworfenes Geflecht zur finalen Auflösung, man verlässt sich allein auf die gute, alte Parallelmontage, die nur das zuvor bereits weidlich Gesehene durch zunehmende Ausdifferenzierung der Spielorte der kämpferischen Auseinandersetzung und die Wiederzusammenführung derselben durch einen verdichtenden Schnitt miteinander zu multiplizieren gedenkt, ohne aber zusätzlich dramaturgische Finesse zu entwickeln. Das ist auch deshalb schade, weil bei aller ästhetischen Ausschmückung versäumt wurde, aus der narrativen Prämisse des Films gewitzt Kapital zu schlagen. Ein wahres Feuerwerk an intertextuellen Bezügen und Querverweisen hätte man entfachen können, die schon allein personell bedingten Verdoppelungen bekannter Genretypen – vom Abenteurer über gruselige Halbwesen bis zum Science-Fiction-Veteranen ist alles vertreten – für ein explosives Genrefest nutzen können, allein, man hat sich auf eine bloß redundante Aneinanderreihung von Actionsequenzen vor schöner Kulisse kapriziert, die Geschichte der einzelnen Figuren lediglich für hie und da eingeworfene augenzwinkernde Sprüche genutzt, die die eigentlichen Möglichkeiten bei weitem nicht ausschöpfen. Hat man sich dann nach einer guten Stunde auch so langsam an den Bildern sattgesehen und wartet man ab diesem Zeitpunkt, bis zum Ende hin vergeblich, auf eine gebotene Anreicherung der Ästhetik durch reflektierten Witz und narrative Brillanz, so kommt man bald zu der Erkenntnis, dass „Die Liga der Außergewöhnlichen Gentlemen“ letztendlich doch nichts weiter ist als ganz gewöhnliche, will heißen: durchschnittliche, Mainstreamkost. Schade.
Diese Kritik erschien zuerst am 03.09.2003 auf: F.LM. Texte zum Film
Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen
(The League of Extraordinary Gentlemen, USA 2003)
Regie: Stephen Norrington; Buch: James Dale Robinson nach der Comicvorlage von Alan Moore und Kevin O’Neill; Kamera: Dan Laustsen; Schnitt: Paul Rubell; Musik: Trevor Jones; Darsteller: Sean Connery, Naseeruddin Shah, Peta Wilson, Tony Curran, Stuart Townsend, Shane West, Jason Flemyng, Richard Roxburgh u.a. Verleih: 20th Century Fox; Länge: 110 Minuten
Thomas Groh, Jahrgang 1978, lebt seit 1997 in Berlin, ist Redakteur bei Deutschlandfunk Kultur und schreibt u. a. für die taz, den Tagesspiegel, den Perlentaucher und weitere Medien über Filme. Im Netz anzutreffen ist er in seinem Blog und auf Twitter.