Gewohntes, gar zu gewöhnlich – „Die Liga der Außergewöhnlichen Gentlemen“

© 20th Century Fox

Im Zuge postmoderner Strategien überbordender Bildopulenz erfuhr auch der Kostümfilm zu Beginn der Nullerjahre naheliegenderweise ein furioses, ästhetisches Comeback. Vom Zwang klassischer Abbildungsparadigmen befreit, verdichteten Filme wie „From Hell“ (USA 2001), „Sleepy Hollow“ (USA 1999), „Moulin Rouge!“ (USA 2001) oder aber auch die französischen Vertreter „Der Pakt der Wölfe“ (2001) und „Vidocq“ (2001) traditionelle Schauwerte mittels einer außer Rand und Band geraten zu scheinenden Technik und vielfältigen, intertextuellen Bezügen. Im Ergebnis feierten bis dato im Mainstreamkino kaum gekannte Bilderwelten ihre Genese auf der Leinwand, die das Kino auch für die Zukunft als Zelebrierungsstätte erster Wahl der Lust am Neuen, Bahnbrechenden, Berauschenden modernster Technologie kennzeichneten. Schon die ersten Bilder aus „Die Liga der Außergewöhnlichen Gentlemen“ – das sattsam bekannte Fox-Logo rettet sich als gusseiserne Dachzierde vom voran gestellten Jingle ins viktorianische London hinüber, gefolgt von einer langen, eindeutig im Computer entstandenen Kamerafahrt durch düster-nasse Gassen und Winkel – lassen keinen im Unklaren darüber, dass sich an jenen „neue alte Tradition“ angelehnt werden will.

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Zahlreichen Orts- und Zeitangaben zum Trotz – allein schon die Exposition flaniert durch London, Berlin und Kenia – besteht spätestens ab der Formierung der titelgebenden Liga kein Zweifel mehr daran, dass hier nicht auf eine außerfilmische Realität Bezug genommen wird. Nein, man findet seine Spielkulisse nicht etwa in einer um Fiktives erweiterten, historischen Welt der Wendezeit vom 19. aufs 20. Jahrhundert, man verortet sich vielmehr komplett in einer illustrierten, gesammelten Diskurswelt (nicht nur) viktorianischer Abenteuer- und Schauerromantikromane. So geben sich also die Ehre: Allan Quatermain (Sean Connery), Mina Harker (Peta Wilson) als Ersatz für ihren kürzlich verstorbenen Ehemann Jonathan, Rodney Skinner (Tony Curran) als „invisble man“, Dorian Gray (Stuart Townsend), Captain Nemo (Naseeruddin Shah) mit seiner Nautilus, Dr. Jekyll (Jason Flemying) inklusive seiner altbekannten dunklen Seite, die in ihrer jüngsten Interpretation gewiss nicht zufällig an den Hulk erinnert, und – entliehen vom US-amerikanischen Secret Service – Tom Sawyer (Shane West), allesamt mit mehr oder weniger phantastischen Begabungen jenseits ihres bisher gekannten kulturgeschichtlichen Daseins ausgestattet. Grund der Cliquenbildung ist eine Reihe von Sabotageakten im großen Stil eines entstellten Phantoms in den Metropolen Europas, die die ganze Welt in einen alles vernichtenden Krieg zu stürzen droht. Naheliegender Auftrag der Liga ist es nun, dem Phantom vor dem finalen Clou in Venedig das Handwerk zu legen. Ein echter James-Bond-Plot also, und wem das nicht sofort auffällt, wird spätestens anhand des sich folgerichtig als M vorstellenden Instrukteurs (Richard Roxburgh) des Einsatzkommandos freundlich, aber bestimmt darauf hingewiesen, ein gediegenes Bond-Vehikel stellt er den Weltenrettern obendrein zur Seite.

Es folgt eine nur selten von Dialogsequenzen unterbrochene Actionoper quer über die Kontinente, vor nicht selten atemberaubend anzusehenden Tableaus. Wenngleich die Kulissen ihren digitalen Ursprung selten, ja eigentlich nie verleugnen können, tut das dem visuellen Vergnügen keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil erfreut man sich völlig ungeniert des künstlich generierten Bildes, unterstreicht damit noch zusätzlich den Spielraum als von außerfilmischen Koordinaten losgelöstem Simulakrum im wörtlichen Sinne. Wenn die Nautilus zum ersten Mal aus dem Wasser auftaucht, wenn halb Venedig in Schutt und Asche fällt oder wenn Quatermain im nächtlichen Paris Mr. Hyde verfolgt, dann ist das nicht weniger als Computermalerei, losgelöst von Vorgaben falsch verstandener Realitätssimulation.

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Doch wo Licht, da auch Schatten: So hat man in Folge dieser Loslösung auch andere Prämissen realistischen Filmerzählens zugunsten eines jedweder Rechtfertigungszwänge befreiten Drehbuchs über Bord geworfen: Wenngleich die Nautilus größer als die Titanic durch die Ozeane zieht, ist es für sie doch ein leichtes, auch in den engen Kanälen Venedigs zu operieren. Plot-Twists, die in den andauernden Feuergefechten eh kaum auffallen, sind stellenweise sträflich unoriginell, bisweilen wenig nachvollziehbar in die Narration eingefügt, wie überhaupt der Plot offenbar nur im Dialog der Protagonisten, nicht aber im Geschehen Berechtigung genießt. Auch scheinen die oft an Superhelden erinnernden Protagonisten ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten nur dann (oder auch: nur dann nicht) in vollem Umfang einzusetzen, wenn es dem Script gerade in den Plan passt, von einigen anderen schwerwiegenden Schnitzern wider Plausibilität und Kohärenz mal ganz abgesehen.

Die an sich höchst originelle Grundidee verkommt somit unweigerlich zum Stichwortgeber einer willkürlich aneinanderreihenden Nummernrevue, deren einzelne Sequenzen mit zunehmender Spieldauer obendrein einiges an Originalität und Spielfreude vermissen lassen, gegen Ende hin, im Showdown in der Eiswüste von Sibirien, sogar langweilen: Hier kommt kein elegant entworfenes Geflecht zur finalen Auflösung, man verlässt sich allein auf die gute, alte Parallelmontage, die nur das zuvor bereits weidlich Gesehene durch zunehmende Ausdifferenzierung der Spielorte der kämpferischen Auseinandersetzung und die Wiederzusammenführung derselben durch einen verdichtenden Schnitt miteinander zu multiplizieren gedenkt, ohne aber zusätzlich dramaturgische Finesse zu entwickeln. Das ist auch deshalb schade, weil bei aller ästhetischen Ausschmückung versäumt wurde, aus der narrativen Prämisse des Films gewitzt Kapital zu schlagen. Ein wahres Feuerwerk an intertextuellen Bezügen und Querverweisen hätte man entfachen können, die schon allein personell bedingten Verdoppelungen bekannter Genretypen – vom Abenteurer über gruselige Halbwesen bis zum Science-Fiction-Veteranen ist alles vertreten – für ein explosives Genrefest nutzen können, allein, man hat sich auf eine bloß redundante Aneinanderreihung von Actionsequenzen vor schöner Kulisse kapriziert, die Geschichte der einzelnen Figuren lediglich für hie und da eingeworfene augenzwinkernde Sprüche genutzt, die die eigentlichen Möglichkeiten bei weitem nicht ausschöpfen. Hat man sich dann nach einer guten Stunde auch so langsam an den Bildern sattgesehen und wartet man ab diesem Zeitpunkt, bis zum Ende hin vergeblich, auf eine gebotene Anreicherung der Ästhetik durch reflektierten Witz und narrative Brillanz, so kommt man bald zu der Erkenntnis, dass „Die Liga der Außergewöhnlichen Gentlemen“ letztendlich doch nichts weiter ist als ganz gewöhnliche, will heißen: durchschnittliche, Mainstreamkost. Schade.

Diese Kritik erschien zuerst am 03.09.2003 auf: F.LM. Texte zum Film

Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen
(The League of Extraordinary Gentlemen, USA 2003)

Regie: Stephen Norrington; Buch: James Dale Robinson nach der Comicvorlage von Alan Moore und Kevin O’Neill; Kamera: Dan Laustsen; Schnitt: Paul Rubell; Musik: Trevor Jones; Darsteller: Sean Connery, Naseeruddin Shah, Peta Wilson, Tony Curran, Stuart Townsend, Shane West, Jason Flemyng, Richard Roxburgh u.a. Verleih: 20th Century Fox; Länge: 110 Minuten

Thomas Groh, Jahrgang 1978, lebt seit 1997 in Berlin, ist Redakteur bei Deutschlandfunk Kultur und schreibt u. a. für die taz, den Tagesspiegel, den Perlentaucher und weitere Medien über Filme. Im Netz anzutreffen ist er in seinem Blog und auf Twitter.