U meets EC – EC Comics im Blickpunkt oder Don’t judge a book…

Mit Grant Geissman und Qiana Whitted haben sich zwei EC-Expert*innen amerikanischen Kult-Comics der 1940er und 1950er gewidmet: In den beiden Büchern, „The History of EC Comics“ und „EC Comics – Race, Shock and Social Protest“, die kaum unterschiedlicher sein könnten, geraten neben den Horror- und Science-Fiction-Klassikern auch die Kriegsgeschichten und Bibel-Adaptionen in den Blick. Das „E“ in EC Comics ist so vieldeutig, wie die Comics unterschiedlich sind. Eine Sammlung mit EC-Comics von Graham „Ghastly“ Ingels, die gerade bei Fantagraphics erschienen ist, zeigt dies überdeutlich.

Die Unterscheidung zwischen einer E- und einer U-Kultur, wobei erstere ernst, letztere unterhaltend sei, ist so typisch deutsch wie Labskaus, Grünkohl und Gartenzwerge. Im Amerikanischen hat diese Unterscheidung längst nicht eine solche kulturelle Bedeutung wie hierzulande. Bei dem amerikanischen Comic-Verlag EC Comics treffen sich das E und U nicht nur im Konzept, sondern auch im Verlagsnamen: Max C. Gaines gründete den Verlag als Educational Comics, bevor dann sein Sohn und Nachfolger Bill Gaines das „E“ in ein „Entertaining“ umwidmete und damit exorbitant erfolgreich wurde, bis der „Comics Code“ ein hartes Urteil über die Verlagsprodukte fällte.

EC Comics spalten bis heute die Geschmäcker: Während die Fans vor allem der Horror-, Crime- und Science-Fiction-Storys den Comics bis heute den Rang einer subversiven Gegenkultur zusprechen, betonen Kritiker wie etwa Ng Suat Tong den kitschigen Charakter der niveaulosen Massenzeichenware: Sein Artikel in „The Comics Journal“ #250 (2003, neu veröffentlicht hier) hat eine Diskussion über die kollektive Erinnerung an den Verlag und seine Comics provoziert. EC Comics seien mit anderen Worten weitaus mehr U als E. Die beiden Bücher von Geissman und Whitted ergänzen sich nun wunderbar, um die Verlags- und Comicgeschichte aus verschiedenen Perspektiven rekonstruieren zu können.

„The History of EC Comics“ von Grant Geissman

Grant Geissman ist ein Comic-Experte mit viel Publikationserfahrung im Umfeld von EC Comics („Foul Play“, 2005; „Tales of Terror. The EC Companion“, Mitherausgeber 2000) und hat sich nun einem Monumentalprojekt verschrieben: groß, größer, gigantisch. Der Taschen Verlag gibt neben der Seitenzahl direkt die fraglos markantesten Merkmale des Buches an: Es ist groß (29 x 39,5 cm) und schwer (6,03 kg). Aber: „Don’t judge a book by its seize.“

Grant Geissman: „The History of EC Comics“.
Taschen Verlag, 2020. 592 Seiten. 150 Euro. Englisch

Geissman schildert die (Vor-)Geschichte des Verlagsgründers Max C. Gaines, von dessen Aktivitäten für All-American Comics über die Gründung von EC Comics im Jahr 1944 bis zum Unfalltod des umtriebigen Comic-Funktionärs bei einem Bootsunfall 1947. Sein Sohn William Gaines übernahm das Geschäft zunächst halbherzig, trug dann aber zunehmend mit eigenen Ideen dazu bei, dem Verlag eine neue Richtung zu geben: Weg vom „Educational“-Charakter der Bibel-Adaptionen, der naturwissenschaftlichen Lehrcomics und den Episoden aus der Nationalgeschichte. Es begann die Zeit von „The Vault of Horror“, „Tales from the Crypt“, „The Haunt of Fear“, „Weird Science“ oder „War against Crime“.

Mit einer kreativen Crew um Al Feldstein, Johnny Craig, Graham Ingels und Wallace Wood erarbeitete EC Comics sich einen legendären Ruf als ebenso produktive wie niedrigschwellige Geschichtenschmiede. Ein Ruf, der bis in unsere Zeit nachhallt und stets neue Reprints der alten Hefte notwendig macht. Durch die Einführung des „Comics Code“ im Jahr 1955, der die Produktion von Comics zum (vermeintlichen) Schutz von Jugendlichen stark reglementierte, wurde der Verlag in die Knie gezwungen: Ausgerechnet die Crime- und Horror-Storys waren von den Beschränkungen schwer betroffen, und so wurde der Verlag dazu gezwungen, die bislang sehr erfolgreichen Serien einzustellen. Alle Versuche, mit einem neuen Konzept, der „New Direction“, an die alten Erfolge anzuknüpfen, scheiterten. Lediglich das Satire-Magazin „MAD“, ebenfalls ein Erzeugnis von EC Comics, lebte fort, bis es 2018 schließlich (nahezu) eingestellt worden ist.

Die 592 großformatigen Seiten sind gut gefüllt, wenngleich vor allem mit Bildern. Das erste Kapitel etwa, in dem Geissman die Frühgeschichte des Verlags unter der Leitung seines Gründers M.C. Gaines rekapituliert, umfasst 80 Seiten, die zu mehr als 80 % aus großformatigen Abbildungen bestehen, wohingegen die „History“ verhältnismäßig wortkarg bleibt.

Ganz anders also als der 2019 Eisner-Award-prämierte Band von Alexander Braun über George Herrimans „Krazy Kat“, den Taschen im vorigen Jahr mit einem unglaublich dichten Vorwort des deutschen Comic-Experten Braun publizierte, fällt „The History of EC Comics“ eher durch seine Bildlastigkeit (oder, je nach Perspektive, Wortkargheit) auf. Die eklektische Kompilation der Abbildungen (diese wiederum mit langen Bildbeschreibungen) mutet manchmal wie ein Spaziergang durch eine labyrinthische, aus den Nähten platzende Galerie an. Irritierend zudem, dass manche Illustrationen mehrfach platziert wurden.

Neben zum Teil seitenfüllenden EC-Covern (S. 510 bis 580) und zahlreichen Comic-Sequenzen sind zeitgenössische Fotografien, Originalbriefe und Skizzen der Künstler zu sehen. Darunter auch eine Reproduktion der letzten Ausgabe von „The Haunt of Fear“, bevor der Comics Code den meisten Serien des Verlags ein unrühmliches Ende setzte. Schwarz umrandet wie eine Traueranzeige lesen wir: „In memoriam. Tales from the Crypt: Born January 1950. Died November 1954 – The Vault of Horror: Born February 1950. Died October 1954 – The Haunt of Fear: Born February 1950. Died October 1954 – Crime Suspenstories: Born August 1950. Died October 1954 – Shock Suspenstories: Born December 1951. Died September 1954.“ Traurig, aber wahr.

Race, Shock and Social Protest

Der Kontrast zu Geissmans Monumentallektüre könnte kaum stärker ausfallen: Die akademische Monografie „EC Comics“ von Qiana Whitted ist ein schmales Leichtgewicht, mit Abbildungen im Miniaturformat. Wie großartig dieses Buch ist, erschließt sich erst, wenn man es liest: „Don’t judge a book by its cover.“

Qiana Whitted: „EC Comics. Race, Shock and Social Protest“. New Brunswick, Rutgers University Press 2019, 181 Seiten, 29,95 USD. Englisch

Im Gegensatz zu dem eher biografisch orientierten Buch Geissmans, das durch Zitate, Anekdoten und großformatige Abbildungen besticht, Diskussionen oder Interpretationen aber außer Acht lässt, bietet Whitted Close Readings einzelner Comics, um darzustellen, wie eine Reihe von Storys, die Gaines besonders am Herzen lagen (die sogenannten „Preachies“), soziale Probleme ins Bild setzten.

Dabei gerät etwa die Science-Fiction-Story „Judgment Day!“ (1953) von Al Feldstein und Joe Orlando in den Blick der Philologin. In der fernen Zukunft besucht ein menschlicher Astronaut einen fernen, von Androiden bevölkerten Himmelskörper, um die gesellschaftliche Reife der Bewohner zu prüfen. Sie genügen den ethischen Anforderungen des Inspekteurs nicht, weil die Androiden eine Zwei-Klassen-Gesellschaft etabliert haben, in der blaue und rote Androiden genauso getrennt nebeneinander her leben wie die Menschen verschiedener Hautfarben in den USA der 1950er Jahre. Das letzte Panel schließlich, das von einem Gutachter des Comics Code damals zunächst beanstandet worden sei, zeigt erstmals den heimreisenden Raumfahrer ohne seinen Helm, und wir Leser*innen erkennen nun an der dunklen Haut des Inspekteurs, dass die Erdbevölkerung ihre rassistischen Ressentiments bereits überwunden hat.

Whitted argumentiert nachvollziehbar und kontextorientiert, und dennoch ist sie nicht blind auch für die Schwächen der Comics, wo sich die antirassistische Haltung als nicht konsequent genug erweist, so etwa in „The Guilty!“ (1952), wo wir einen dunkelhäutigen Mann beobachten, den die Gesellschaft zum Opfer erniedrigt, weil sie ihn fälschlicherweise als Täter stigmatisiert. Indem der Autor, wiederum Al Feldstein, allen handelnden Figuren eine Stimme verleiht, ausgerechnet die zentrale Figur hingegen stumm verbleiben lässt, verwehrt der Comic den Leser*innen, sich in die Psyche der Figur einzufühlen.

Whitted hat mit ihren Beispielen aus „Shock SuspenStories“, aber auch „Frontline Combat“ und „Weird Fantasy“ prominente Geschichten ausgewählt, die schon vielerorts analysiert und diskutiert worden sind. Indem sie aber mit dieser Auswahl einer stringenten Argumentation folgt und untersucht, wie Feldstein und die anderen EC-Autoren amerikanischen Alltagsrassismus – die Segregation wurde erst 1964 gesetzlich aufgehoben – in Science-Fiction-, Horror- oder Kriminalszenarien problematisieren, zeigt sie, wie die Comics sich direkt an die Leser*innen wenden und die Scham der den Rassismus bemerkenden Figuren auch ein möglicher Umgang für die Leser*innen ist.

Al Feldsteins und Joe Orlandos „Judgement Day“ (Dark Horse)

Whitted liefert in ihrer Analyse, die so vorbildlich die Texte zur Kenntnis nimmt, die Zeichnungen, Perspektiven und die Tuscharbeiten interpretiert, ohne die Kolorierung außer Acht zu lassen, und letztlich auch kulturelle wie Publikationskontexte und ökonomische Bedingungen berücksichtigt. Das Ergebnis ist eine umsichtige, differenzierende und dennoch klare Lektüre der Comics, die man selten so ernst genommen hat wie hier: Whitted gönnt den EC Comics viel „E“ und leugnet dabei niemals das große „U“.

Es ist übrigens sympathisch, dass die Autorin am Ende in ihrem hermeneutischen Bemühen über das Ziel hinausschießt, wenn sie die schweißperlenbesetzte Haut des dunkelhäutigen Astronauten als sternenübersäten Nachthimmel und den Raumfahrer als Verkörperung des menschlichen Potentials überhaupt interpretiert. Halb folgt sie damit dem (kitschigen) Text, halb legt sie etwas viel hinein, aber das ist auch wiederum herrlich, weil es der grandiosen Argumentation etwas menschliche Schwäche verleiht.

Qiana Whitted forscht und lehrt am Department of English Language and Literature an der University of South Carolina und ist auf African American Studies spezialisiert. 2012 hatte sie die Aufsatzsammlung „Comics and the U.S. South“ (University Press of Mississippi) mitherausgegeben. Mit ihrem Buch über EC Comics hat sie sich nun erstmals in der Comic-Landschaft einen Namen gemacht, weil „EC Comics“ den Eisner Award 2020 als Best Academic/Scholarly Work gewann.

Während Geissmans Monumentalmonographie inhaltlich nicht an Brauns Buch über „Krazy Kat“, das auch mit einem Eisner Award bedacht wurde, heranreichen kann, weil die Darstellung bei aller Anekdotendichte wenig Analyse bietet und das sehr reichliche Bildmaterial doch etwas arg willkürlich über den Band verstreut worden ist, darf man das Buch des EC-Kenners Geissman als eine kurzweilige Verlagsgeschichte zu schätzen wissen.

Whitteds Buch, weitaus akademischer im Ton, ohne dabei bemüht zu klingen, gelingt es, den Gegenstand mit kritischer Distanz zu beobachten. Im Gegensatz zu den Abbildungen im Miniaturformat ist die Argumentation schlichtweg großartig.

Letztlich ist aber ein Blick in die Comics selbst der beste Weg, um sich eine Meinung zu EC Comics zu bilden. Am leichtesten zugänglich sind die Comics digital via Comixology. Print-Ausgaben sind bei Dark Horse (ursprünglich bei Gemstone) und bei Fantagraphics (letztere in wundervollem Schwarzweiß) erschienen.

Accidents and Old Lace and Other Stories

Der 28. Band in der Fantagraphics EC Library widmet sich den Horror-Comics von Graham Ingels mit dem Beinamen „Accidents And Old Lace And Other Stories“. Nach „Sucker Bait“ (2014), „Grave Business“ (2015) und „Doctor of Horrors“ (2018) ist dies der vierte Band mit den Stories von Graham Ingels und er versammelt seine letzten Arbeiten für EC Comics.

Gary Groth (Hg): „Accidents and Old Lace and other Stories, illustrated by Graham Ingels“.
Fantagraphics, Seattle 2021. 216 Seiten, 35 USD. Englisch

Ingels begann 1948 bei EC und zeichnete bis Ende 1954 für die Reihen „The Vault of Horror“, „The Crypt of Terror“ und „The Haunt of Fear“. Nach seiner EC-Periode verschwand er für Jahrzehnte von der Bildfläche und wollte mit seiner Comicvergangenheit nichts mehr zu tun haben. Ein eigentümlicher Charakter, dessen grandiose Zeichenkunst für die Horrorcomics der 1950er Jahre stilbildend wurde und ihn zu einem der beliebtesten EC-Zeichner machte. Getreu der Fantagraphics-Serie erscheint auch dieser Band nicht in der originalen Kolorierung, sondern in Schwarz-weiß, aber: Don’t judge a book by its colors.

Der vorliegende Band versammelt 29 Kurzgeschichten, deren Storys von Al Feldstein, Bill Gaines, Carl Wessler, Johnny Craig und Otto Binder stammen. Beigefügt sind außerdem drei kurze Texte mit biografischen und zeitgeschichtlichen Kontexten sowie mit ausführlichen Kommentaren zu den einzelnen Geschichten.

Die Welten, die Ingels in seinen schattenreichen Illustrationen auferstehen lässt, handeln von scheiternden Ehen, zerrütteten Vater-Kind-Beziehungen, wirtschaftlicher Konkurrenz und allen anderen Problemen, die auch in unserer Welt zum Alltag gehören. In „Shadow of the Death“ zeichnet Feldstein etwa einen versehrten Zeitungsverkäufer, der die Gesetze des freien Marktes zu spüren bekommt, als ein anderer Zeitungsverkäufer ihm seine Lebensgrundlage entzieht. Während er an seinen Rollstuhl gefesselt bleibt, erhebt sich sein Schatten, greift aus einem Schaufenster den Schatten einer Axt und tötet den leidigen Konkurrenten. Ein herrliches Schattenspiel inszeniert Ingels, das unglaublich blutleer und doch bildgewaltig daherkommt. Hier zeigen sich die Stärken der Schwarz-Weiß-Ästhetik.

Markant ist die Inszenierung von „Poetischer Gerechtigkeit“ in den Storys. Und darin liegt vielleicht der intensivste Grusel der Storys, denn in dieser düsteren Welt wird Gerechtigkeit stets verwehrt, und paradoxerweise ist es allein der Horror, der dazu in der Lage ist, sie zumindest punktuell wiederherzustellen. Diese Welt ist nur um den Preis zu retten, dass wir die schlimmsten Alpträume in Kauf nehmen, die uns nachts heimsuchen. Das ist nicht tröstlich.

Wer einen Einblick in das Erfolgsrezept der EC-Horror-Comics erhalten möchte, findet mit diesem Band einen wunderbaren Einstieg in das Grauen der 1950er Jahre.

Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.