Strichmännchen in Südostasien – „Aufzeichnungen aus Birma“

Man darf den Frankokanadier Guy Delisle einen zeichnenden Spezialisten für Länder unter staatlicher Kontrolle nennen, insbesondere für unzugängliche Diktaturen und strenge Militärregimes. Gleichwohl gewähren seine Comics sehr persönliche Einsichten in den Alltag des Autors. Delisle schreibt und zeichnet fleißig auf, was er etwa in der chinesischen „Boomstadt“ Shenzhen, in Nordkorea oder im seit 1962 unter Militärherrschaft stehenden Birma erlebt hat.

Guy Delisle: „Aufzeichnungen aus Birma“.
Aus dem Französischen von Kai Wilksen. Reprodukt, Berlin 2009. 272 Seiten. 24 Euro

In „Aufzeichnungen aus Birma“, das eigentlich Burma hieß, bevor die Militärs es 1989 in Myanmar umbenannten, begleitet der Ich-Erzähler und frischgebackene Vater seine mit der Organisation Ärzte ohne Grenzen humanitäre Hilfe leistende Frau Nadège in die totalitäre Diktatur. Es fällt auf, wie sehr sich Delisles Zeichenstil und Erzählhaltung gegenüber „Pjöngjang“ (2007) verändert haben. War das Nordkoreabuch zeichnerisch komplex und relativ dunkel im Erzählton, so scheint in „Aufzeichnungen aus Birma“, metaphorisch gesprochen, die Sonne durch die schlichten Panels. Ein cartoonhaft niedlicher Strichmännchenpapa schaukelt das schreiende Baby, spaziert schwitzend durch die Gegend, kämpft mit Moskitos und Stromausfällen, erweist sich also als einigermaßen tapsig bei der Bewältigung seines anekdotisch gefassten Lebens in der Fremde.

Die bisweilen naiven Charakterzüge des Ich-Erzählers, zu denen auch der staunende Blick auf die politischen Verhältnisse zählt, ärgerte manchen Kritiker, zum Beispiel den „Times“-Autor Neel Mukherjee, der Delisle „westliche Scheuklappen“ attestierte. Zu Unrecht, denn es gibt in „Aufzeichnungen aus Birma“ zahlreiche Episoden, in denen dezidiert die Schwierigkeiten von nichtstaatlichen Organisationen im Land beschrieben werden – oder die mitunter tödlichen Risiken der Einheimischen, wenn sie sagen oder tun, was sie wollen. Durch die selbstironisch gebrochene Hauptfigur und ihre beobachtende Passivität hat sich die Kritik an den Verhältnissen keineswegs erledigt.

Diese Kritik erschien zuerst in: WOZ 39/2009

Michael Saager ist Publizist und Redakteur. Zahlreiche kulturjournalistische Texte u. a. in KONKRET, Jungle World, Taz, ND, Fluter, WOZ und Intro.

Seite aus „Aufzeichnungen aus Birma“ (Reprodukt)