Viele Genre-Comics sind heute vor allem eins: sehr, sehr grimmig. Blut muss literweise spritzen, die Schurken sind von geradezu teuflischer Bosheit, und ein Held, der nicht schwer an seinen Traumata trägt, braucht sich gar nicht erst aus dem Haus zu wagen. Aus diesem Überangebot an Düsternis erklärt sich der Erfolg der Steampunk-Geschichten. In dieser Spielart des Retro-Futurismus gibt es noch Platz für Romantik und Humor, für eine freundliche Versponnenheit. Die Zukunft sieht hier so aus, wie Jules Verne sie sich vorgestellt hat: Herren in Gehröcken ersinnen technische Geräte, und Krinolinen rauschen, während dampfgetriebene Roboter leise schnaufend ihren Dienst verrichten.
In seiner Serie „Grandville“ versucht Bryan Talbot die Rasanz und Gewalttätigkeit moderner Crime- und Superhelden-Comics mit dem Anheimelnden des Steampunk zu verbinden. Die Welt, die er entwirft, wird überwiegend von anthropomorphen Tieren bevölkert. Detective Inspector LeBrock von Scotland Yard, die Hauptfigur, ist ein riesiger, muskulöser Dachs im Paletot; Roderick Ratzi, sein Assistent, ist eine Ratte, die mit Monokel, Fliege und Strohhut dandyhafte Eleganz kultiviert. Menschen, wie wir sie kennen, gibt es in „Grandville“ kaum. Sie werden verächtlich als „Teiggesichter“ oder „haarlose Schimpansen“ bezeichnet und leben am Rande der Gesellschaft; bestenfalls dürfen sie untergeordnete Stellungen einnehmen.Auch die Historie hat in „Grandville“ einen anderen Verlauf genommen. Durch Napoleons Sieg bei Waterloo ist Frankreich zur unangefochtenen europäischen Großmacht aufgestiegen. Britannien war lange Zeit unterworfen und hat erst seit ein paar Jahren wieder eine gewisse Selbstständigkeit erlangt. Im zweiten Band entkommt der berüchtigte Serienkiller „Mad Dog“ Mastock am Tag seiner Hinrichtung aus dem Gefängnis und flieht nach Paris, wo er sofort beginnt, Prostituierte zu ermorden. Inspector Le Brock wird der Fall entzogen. Also ermittelt er, tatkräftig unterstützt von Ratzi, auf eigene Faust und gerät auf die Spur einer Verschwörung, die bis in die Tage des britischen Unabhängigkeitskampfes zurückreicht.
Der erste Band von „Grandville“ bezog seinen Reiz vor allem aus der Gewitztheit, mit der Bryan Talbot Anspielungen auf die französische und frankobelgische Comic-Geschichte unterbrachte; rührender Höhepunkt in dieser Hinsicht war eine Szene, in der Struppi, der treue Wegbegleiter von Hergés Tim, als Drogenwrack auftrat. Das zweite Abenteuer ist ähnlich zitatlastig, verfügt zusätzlich aber über ein spannenderes, weil weniger durchschaubares Szenario. Bedauern muss man nur die Computerkolorierung, die alle Bilder wie mit Lack versiegelt und die lebhafte Mimik, mit der Talbot seine Figuren auszustatten weiß, ein wenig starr wirken lässt.
Autonome Frauen, skrupellose GrabräuberIn „Das Grab Alexanders des Großen“ zählt die sehr sorgfältige, manuelle Kolorierung dagegen zu den Trümpfen des Albums. Sie taucht das in der historischen Wirklichkeit angesiedelte Geschehen immer wieder in eine leicht traumhafte Atmosphäre, vor allem in Szenen bei Nacht und unter der Erde. Im Alexandria des Jahres 1858 haben sich französische Abenteurer – fünf Männer und zwei Frauen – versammelt, um den legendären Sarkophag des mazedonischen Eroberers aufzuspüren. Das Unternehmen erweist sich als gefährlich. Ein skrupelloser britischer Archäologe und Grabräuber – so genau lässt sich das damals noch nicht unterscheiden – ist ebenfalls vor Ort; zudem wachsen, je näher das Ziel rückt, die Spannungen in der Gruppe.
Eine achterbahnfahrtähnliche Erfahrung, wie ein Indiana-Jones-Film sie bietet, darf man von „Das Grab Alexanders des Großen“ nicht erwarten. Nicht dass es hier keine Action gäbe, aber sie wird wohl dosiert eingesetzt. Isabelle Dethan, die Szenaristin, interessiert sich mehr für die Kunst der gleichen Gewichtung. Einerseits treibt sie die Handlung voran, andererseits gibt es immer wieder Momente, die der Charakterisierung der Figuren dienen. Ohne allzu sehr ins Anachronistische zu verfallen, gelingt es Dethan so auch, von autonomen Frauen zu erzählen – in einem Abenteuer-Comic versteht sich das immer noch nicht von selbst.
Das grundsolide französische Comic-Handwerk, das sich in „Das Grab Alexanders des Großen“ zeigt, nötigt großen Respekt ab – wo gäbe es bei uns Ähnliches?
Dieser Text erschien zuerst am 02.02.2013 in: Taz
Christoph Haas lebt im äußersten Südosten Deutschlands und schreibt gerne über Comics, für die Süddeutsche Zeitung, die TAZ, den Tagesspiegel und die Passauer Neue Presse.