Und überhaupt Kante, ahoi und danke!

Ein früher Rattelschneck-Cartoon aus der "Kowalski"-Zeit für Hans Kantereit

Wenn das Hamburger Wetter mal zu abträglich war für eine Tour mit dem Vélosolex-Mofa, nahm Hans Kantereit den 111er, um ganz kommod mit dem Bus an seinen Schreibtisch in der „Kowalski“-Redaktion zu kommen. So passierte er jedes Mal auf der Stresemann, Höhe S-Bahnbrücke (wo die Autovermietung ist) jene elektronische Anzeige, die er irgendwann mal in einer seiner kurzen Weltbetrachtungen so beschrieb: „Seltsames Ding: Zeigt immerfort erst welcher Tag, dann wie spät, dann wie viel Grad.“

So ähnlich jedenfalls; seine Originalversion war auf die Schnelle nicht zu finden. Aber es war das erste, was mir von ihm einfiel, als Günther Willen mich neulich informierte: „Unser alter Kowalski-Kollege Hans Kantereit ist gestorben. Wurde 61. Es tut mir sehr leid, denn ich mochte ihn. Möge er in Frieden ruhen.“

Kantereit und ich gehörten zur ersten Redaktionsbelegschaft „des legendären Hamburger Kowalski-Magazins“ („Titanic“), Willen kam später dazu. Eine Satirezeitschrift, die von den ehemaligen „Titanic“-Redakteuren Hans-Werner Saalfeld und Richard Kähler 1987 in Hamburg gegründet wurde. Finanziert vom Kieler Semmelverlach, der mit der Comicfigur „Werner“ reich geworden war, wollten sie „Kowalski“ als massentaugliches Witzblatt etablieren, das deshalb deutlich weniger politisch als die „Titanic“ oder deren Vorläufer „Pardon“ rüberkommen sollte. Aber dafür um Längen komischer. Was uns dann ja auch, hehe, gelang.

Als wir die erste Nummer produzierten und Hans mitbekam, dass ihm die Chefetage aus alter Verbundenheit 1000 Mark mehr zahlte, bestand er darauf, diese Differenz zu meinen Gunsten halbieren zu lassen. Er sehe nicht ein, sagte er Saalfeld und Kähler, dass Tietz und er für den gleichen Job unterschiedlich kassierten und nicht, wie’s dann tatsächlich auch so umgetütet wurde, beide 4500 im Monat statt wie vorher 5000 für ihn und bloß 4000 für mich. Tja, das waren noch Honorare damals. Als ich jetzt Kollege Günther davon erzählte, sagte er: „Hey, ich hab nur 4000 gekriegt. Aber macht nichts. Ich war ja nicht wegen der Kohle bei ‚Kowalski‘, sondern weil ich Bock drauf hatte.“

Und Kantereit? Für Willen war er „der geheimnisvolle Patron“ der Redaktion: „Man wusste eigentlich so gut wie nichts über ihn, nix Privates, nada, niente. Trotzdem ein guter Typ. Immer freundlich und lebensklug. Immer gute Umgangsformen – ideal.“ Ein Philosoph mit Witz, der einem die Welt erklären konnte und damit Sonne in die Herzen brachte, so fasst das Willen jetzt zusammen. „Kantereit schenkte mir übrigens mal einen Fischgrätenmantel, den er in London gekauft hatte, der ihm aber zu groß war und mir fast zu klein. Außerdem hat er mir geholfen, als ich mein Vorwort für mein Ami-Forscher-Buch umbauen musste. Auf den letzten Drücker, die Druckmaschinen liefen schon. Ich rief ihn an, und nach kurzer Überlegung fand er den einzig möglichen Dreh fürs Vorwort: Wie lange braucht ein Fünf-Minuten-Ei in einem Wasserkocher. Danke, Hans!“

Was bleibt mir da noch zu sagen? Freunde fürs Leben sind Hans und ich keine geworden. Aber so lange ich mit ihm beruflich zu tun hatte, erlebte ich ihn als feinen Kerl. Charmant, witzig, schlagfertig. Er konnte aber auch gut austeilen, wenn ihm was nicht passte. „Ja, machen wir uns nichts vor: Kantereit konnte klare Kante zeigen,“ sagt Willen. „Er war nun mal der heimliche ‚Kowalski‘-Chef. Und überhaupt: Kante! So nannte Marcus Rattelschneck ihn immer. Und machte dazu diese Bewegung: Handkante rechts auf ausgestreckte Handkante links mehrmals rhythmisch einschlagen und dabei lachend ‚Kante‘ sagen! Noch so ein Kante-Ding.“

Ein weiteres Kante-Ding war, dass das heute weltberühmte Zeichnerduo Rattelschneck seine ersten öffentlichen und dann noch zahllose weitere Auftritte in „Kowalski“ hatte. Und da waren einige Zeichner und Autorinnen mehr, die Kantereit ans Heft zu binden verstand. Fanny Müller zum Beispiel, als deren Entdecker und Förderer Hans ganz erheblich zum späteren Ruhm der großen alten Dame des Hamburger Humors beitrug. Indem er ihren lebensulkigen Geschichten aus dem Kiez stets den gebührenden Platz im Heft freiräumte. In „Zeichen, Zeiten, Tage & Wunder“ (ZZTW) vor allem, der mit Abstand bedeutendsten „Kowalski“-Rubrik ever. Natürlich eine Erfindung Hans Kantereits und von ihm bis zum bitteren „Kowalski“-Konkurs anno 1993 mit Hingabe redigiert. Viele, die damals schon bekannt waren, und mehr noch, die es später wurden, haben da für ihn geschrieben: Bov Bjerg, Wiglaf Droste, Gerhard Henschel, Kathrin Passig, Fritz Eckenga, Frank Schulz, Simon Borowiak, Martin Sonneborn, René Martens, um nur neun von zehn zu nennen.

In ZZTW brachte Kantereit aber auch den größten Teil seines eigenen Zeuges unter. Kleine, oft sehr drollige, mitunter aber auch bittersüße Miniaturen über die Zustände und Zumutungen der Welt – und des Hamburger Büchsenviertels, wie er die Gegend um den Redaktionssitz am Neuen Pferdemarkt immer nannte. Er konnte das einfach nicht begreifen: Halbliterbüchse Bier in der Hand! Und damit rumlaufen! Kantereit trank lieber aus bauchigen Rotweingläsern, war zudem auch immer ein bekennender Raucher. Und ein sehr guter Esser natürlich, was aber zuweilen nicht leicht umzusetzen war in dem Hamburg-St. Pauli jener Tage: Mit der „Pizzastückausgabeklappe zum Bürgersteig hin. Offen! Und genau darüber: ein Mauervorsprung mit Taubennest.“ Und dann das: „Taube brütet scheinbar. Jetzt steht sie im Nest auf und schüttelt sich. Geht einen Schritt rückwärts und schiebt (mit der Schwanzfeder) Dreck aus dem Nest. Das ganze Elend rieselt an der Hauswand runter, größerer Dreck an den Pizzastücken vorbei, leichterer Dreck ist Spielzeug der Winde, verwirbelt, landet auf dem Fraß. Taubenkacke, Milben, man fasst sich an den Hals und möchte würgen.“

Kein Wunder, dass dieser ausgewiesene Feinschmecker immer mal wieder direkt nach der Fertigstellung des neuen Hefts noch am Freitagabend den Nachtzug nach Marseille oder Nizza nahm, weil ihm einfach nach einer bestimmten Fischsuppe oder einem guten Rotwein war. Am Montag drauf saß er dann aber pünktlich zum Dienstbeginn wieder in seinem Kontor, das er liebevoll „Zelle 5“ nannte.

Ach ja. Hans Kantereit war schon ein Guter. Auch nach Kowalski zog er seinen Stiefel durch, lieferte als Dr., später Prof. Kartoffel zwei Erklärwerke vom Feinsten ab, schrieb lustige Drehbücher und traurige „Judith“-Geschichten, besorgte etliche Übersetzungen (aus dem Englischen wie Französischen) und landete schließlich bei „Effilee2, einem kulinarischen Kulturmagazin, für das er bis 2018, als er erkrankte, ausgiebig übers gute Essen schreiben konnte.

Seit dem 30. Januar sitzt er nun in einem ganz anderen Kontor. Alles klar da oben, Kante? Wir grüßen dich. Oder um es mit deinen Schlussworten zu sagen: Ahoi und danke!

mit freundlicher Unterstützung von G. Willen

Hans Kantereit war lange sehr krank, da blieb am Ende nicht viel über. Freunde sammeln hier für seine Beisetzung und eine Gedenkfeier: „Hans Kantereit hat sich einen Stein oder eine Tafel gewünscht, auf der ‚Weitermachen!‘ steht, und die würden wir ihm gerne gönnen. Auch hätte ein richtiges Grab (in Berlin!) den Vorteil, dass man gelegentlich hingehen und ein Gläschen auf ihn schütten könnte. Das würde ihn freuen.“

Dieser Beitrag erschien zuerst am 12.02.2021 in: Neues Deutschland

Fritz Tietz ist ein freier Autor und Produzent von überwiegend satirischen Texten, Hörstücken und Kurzfilmen. Er arbeitet für verschiedene Medien; zuletzt für Deutschlandradio, Konkret, Frankfurter Rundschau, Neues Deutschland, Eulenspiegel, TAZ-Wahrheit, Prinzessinnenreporter, NDR 1 Niedersachsen sowie (alias Headhunter Wolfram Knoth und Grenzschützer Sascha Bott) für TITANIC.